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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

jener dort auf seinem Rossesrücken thronen mochte, die begehrliche Hand mit charakteristischer Bewegung nach Osten hin ausgestreckt, seine Majestät schien leerer Theaterpomp geworden vor der des deutschen Volks in Waffen, das, hier in so vielen bedeutenden, festen, tapferen Gestalten vertreten, sich um den heldenhaften Prinzen schaarte. Als der in seiner markigen Anrede an die Soldaten hinwies auf die Größe dieses Augenblickes, und seine stolze Freude gestand, sie die für Deutschland so heroisch gekämpft, geblutet und gesiegt hätten, gerade hier an dieser Stelle, unter dem stolzen Bilde des Übermüthigen alten und schlimmen Feindes ihres Volks und Vaterlandes, mit den wohlverdienten geweihten Zeichen schmücken zu können, mit welchen der oberste Kriegsherr die Thaten der Deutschen ehre, sah man auch jene festen, eisernen Männer ringsum von der tiefsten Bewegung ergriffen und erschüttert. Als sie einzeln aufgerufen wurden und zum Prinzen herantraten, dann aus seiner Hand die Eisenkreuze hinzunehmen, erbebte die manches Empfängers, und manche Thräne der freudigen Begeisterung rann aus Männeraugen, welche ohne zu zucken dem Tode in hundert Gestalten in’s Antlitz zu sehen gewohnt sind.

Was die gewaltige geschichtliche Wendung, die sich hier vollzog, vielleicht noch schärfer zum Bewußtsein bringt, als selbst diese Scene unter dem Erzbild Ludwigs des Vierzehnten, das ist der Anblick, welchen gegenwärtig die von Gold, Bilder- und Marmorpracht strahlenden Säle und Gallerien in beiden Etagen des Schlosses gewähren. Nicht zum fürstlichen Wohnsitz für die nun in Versailles residirenden Heerführer hat man sie gewählt, sondern zum Lazareth für die Verwundeten sind diese weiten Räume eingerichtet worden. Und nie wohl hat verwundete Soldaten eine schönere und bessere, zu ihrer Heilung geeignetere Stätte aufgenommen, trotzdem deren Erbauer und Begründer sicher unter allen denkbaren einstigen Bestimmungen dieser Räume am wenigsten auf die Möglichkeit einer solchen Rücksicht genommen haben.

Im Erdgeschoß hatte man gleich in den ersten Tagen die schwerer Verwundeten vom Gefecht des Neunzehnten (Petits Bicêtres) untergebracht. Dort zieht sich, den ganzen Mitteltheil des Schlosses einnehmend, die sogenannte „Gallerie Ludwig des Dreizehnten“ zwischen Flur und Parkterrasse hin. Große Gemälde der Haupt- und Staatsactionen dieses Königs und seines Richelieu decken die Rückwand. Die flache Decke wird von rothen weiß geäderten Marmor- oder Porphyrsäulen getragen. Die hohen Fenster gegenüber reichen bis zur Erde nieder. Die Wandpfeiler zwischen ihnen sind mit prächtigen Arabeskencompositionen geschmückt, welche verschiedene Porträts der weiblichen und männlichen Berühmtheiten jenes glänzenden Hofes umrahmen. Abwechselnd damit stehen in Nischen die lebensgroßen Statuen des Königs und seiner Nächsten. Von der Terrasse her, auf welche man unmittelbar von der Mittelthür hinaustritt, weht die frische reine Luft, die über den weiten Park über die großen Bassins hinstreicht, und strömt gleichsam den würzigen, mit dem Blumenduft von hundert Beeten gemischten, heilkräftigen Waldeshauch ungehemmt durch die offenen Säle. In diesen aber walten still und freundlich sorgend die französischen barmherzigen Schwestern zwischen den Betten der Leidenden. Die Lagerstätten stehen in zwei Reihen, mit den Fußenden gegen einander gerichtet, einen breiten Gang dazwischen frei lassend, jedes von allen Seiten bequem zugänglich für die Pflegerinnen und die Lazarethdiener. Da liegen die Verwundeten (bei meinem ersten Besuche fand ich meist Baiern), so weit der Grad ihrer Schmerzen das überhaupt gestattet, in vollem Behagen ausgestreckt, in der gesundesten Atmosphäre, von bedeutenden schönen und interessirenden Gegenständen umgeben, und von draußen lacht ihnen eine herrliche vornehme Landschaft, die grüne laubprangende Nähe hier, die blauduftige bergige Ferne dort zu Fenstern und Thüren herein. Die leichter Verwundeten oder schon in der Besserung begriffenen sitzen in den Fensternischen, oder auf Stühlen oder Lagern auf die Terrasse selbst hinausgetragen, wo sie all diese wohlthätige Schönheit gleichsam unmittelbar und aus erster Hand empfangen.

In den noch viel prachtvoller ausgestatteten Sälen des oberen Hauptstockwerks ist der Contrast zwischen ihrer ursprünglichen und ihrer gegenwärtigen Bestimmung noch größer. Dort liegen im Mittelbau, der nun hauptsächlich zum Lazareth für leicht Verwundete eingerichtet ist, die berühmten Säle und Gallerien Ludwig des Vierzehnten selbst, deren ganze malerische und plastische Decoration von ihm ausschließlich der eigenen Selbstvergötterung geweiht wurde. Für deren Dienst ist aller Geschmack, alle Pracht und aller Pomp aufgeboten worden, über welche die üppige und ausschweifende, aber immer doch imponirende Kunst und Decoration jener glänzenden Epoche nur gebot. Die Verschwendung mit edlen Marmorarten, mit vergoldeter Bronce, mit Spiegeln, mit Stuckatur, und Plafondmalerei in diesen Räumen, besonders in der riesigen, durch Lebrun’s Deckenbilder so berühmten Gallerie ist ungeheuer. Aber selbst in der üppigen und oft barocken Ueberladung durch kostbares Material und Decorationenschmuck verleugnet sich nicht das in Rücksicht der heutigen Kunstepoche so seltene, sichere und fast unbewußte Stylgefühl, welches dem Ganzen die Einheit seines Charakters aufprägt und dasselbe zum voll entsprechenden harmonischen Ausdruck jener Zeit der ungebrochenen, zur höchsten Vollendung gebrachten, selbstherrlich königlichen Machtfülle stempelte. Und nun – in diesen Räumen unsere braven tapferen Burschen, wie sie blessirt vom Schlachtfelde oder erkrankt vom Marsche hereingebracht waren! Es ist, als ob jene Portraits der geschminkten Schönheiten des Hofes von Versailles, jene parfümirten Cavaliere des Oeil de Boeuf, jene Prinzen, Minister, Officiere, die dort in den zahllosen Bildern von leeren Hof- und Staatsceremonien die Wände decken, jene Gottheiten eines gepuderten Olymps vom Plafond noch entrüstet die hohen, höchsten und allerhöchsten Nasen rümpfen über den unerhörten Frevel dieser Invasion der geheiligten Hallen durch diese deutschen „Dickköpfe“, die so gründlich verachteten Bauernsöhne, „Schneider und Schuster“ in des Königs Rock. Aber diese sind sehr ruhig, sehr „unverfroren“ dabei, fühlen sich in des großen Ludwig Sälen bereits so ungenirt zu Hause wie daheim in ihrer posener, schlesischen oder fränkischen Schlafkammer und Wohnstube und lassen sich von ihren französischen Pflegern, wie es sich gehört, bedienen.

Der Krieg, und zumal ein so gewaltiger wie dieser, bietet und bringt der Leiden ein so überschwengliches Maß auch den Siegern. Aber der Anblick einer solchen Wendung, einer solchen vollständigen Abrechnung und gründlichen Heimzahlung alter Schulden und Sünden, wie sie sich damit vollzogen zeigt, kann für Vieles trösten und entschädigen, und jeder Deutsche, dem es vergönnt war, diese Tage des Triumphes zu erleben und nun gar lebendige Bilder wie die in Ludwigs Stadt und Schloß gesehen zu haben, mag sein Geschick segnen.




Taubenhöhlen im Karst.
Von Brehm.


Als ich in diesem Frühjahr über den Karst, die bekannte Kalksteinhochebene des östlichen Krains, fuhr, bemerkte ich mit großem Erstaunen mitten auf der öden Fläche mehrere kleine Flüge der Felsentaube, der Stammmutter unserer Haustaube. Vergeblich spähte ich an den Abhängen des Gebirges, an welchen sich die Eisenbahn dahinzieht, um nach Triest zu gelangen, nach dem Vogel: gerade da, wo Felsenwände mehr oder minder steil gegen das Meer hinabfallen, war er nicht zu finden. Oben auf der Höhe des Karst vermochte ich keinen einzigen geeigneten Brutplatz zu erkunden; der breite Rücken des Gebirges zeigte außer den kesselförmigen Einsenkungen keine einzige höhere Felsenwand, wie unsere Taube sie liebt, sondern nur das dem Karst eigenthümliche Gewirr von Felsblöcken, welche sich hier und da höchstens bis zu fünfzig oder sechszig Fuß über die Ebene erheben, der Felsentaube aber doch bestimmt nicht zum Aufenthaltsorte dienen konnten. Das Räthsel wurde mir erst in Triest gelöst.

Ich muß vorausschicken, daß die Felsentaube ein alter Bekannter von mir ist, und daß ich ihrer in meinen Schriften auch gebührend Erwähnung gethan habe. Sie und bezüglich ihre blaurückige Verwandte oder Spielart wurde von mir an allen geeigneten und selbst ungeeignet scheinenden Stellen Nordafrikas und ebenso in Spanien beobachtet. In Ostafrika gehört sie, wie ich bereits in den „Ergebnissen meiner Reise nach Habesch“ erzählt, zu den gemeinsten Vögeln des Landes: sie belebt hier, halb wild, alle Dörfer Oberägyptens;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_750.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)