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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Wichtigkeit ihrer Thätigkeit durchdrungen zu sein; daher denn auch ihr unruhiges Gebühren, ihr lebhaftes Hin- und Herfliegen, ihr schwirrendes Flattern mit den Schwingen, ihr fast ununterbrochenes Singen, ihre kaum erklärliche Baulust, welche nicht blos errichtet, sondern, wie ich noch mittheilen werde, auch zerstört.

Während ihrer Arbeit haben diese fleißigsten aller Baumeister nur das eine Bestreben, so rasch als möglich fertig zu werden, ohne jedoch die Festigkeit und Sicherheit ihres Baues aus den Augen zu verlieren. Sie beginnen in durchaus sachgemäßer Weise mit der Grundlegung im weitesten Sinne, indem sie zunächst die Festigkeit der Zweige allseitig erproben. Unsere Webervögel fanden, daß die ihnen gebotenen, mannigfach sich durchkreuzenden Zweige des Fluggebauers für eine genügende Befestigung der Nester nicht die erforderliche Bürgschaft gaben, und hatten deshalb nichts Wichtigeres zu thun, als diese Zweige da, wo sie sich kreuzten, zunächst durch ein sorgfältig ausgeführtes Gewebe unter sich zu verbinden. Von einem „Instinct“ oder von einer helfenden „höheren Kraft“, und wie die schönen Ausdrücke traumseliger Wundergläubiger sonst noch heißen mögen, konnte wenigstens ich hierbei nichts bemerken: ich sah in dieser zweckmäßigen Handlung der Vögel nur einen Beweis ihres Verstandes, und zwar einen glänzenden, überzeugenden. Nachdem so die Grundlage hergestellt worden war, begann der Bau des Nestes selbst. Das arbeitende Männchen zupfte sich einen Bastfaden aus dem Bauer heraus oder erhob, und zwar weit lieber einen von den ihm gereichten biegsamen Grashalmen, begutachtete ihn, biß ihn nah der Aehre und ebenso am dicken Ende ab, damit er die passend erscheinende Länge erhalte, und flog mit ihm zu dem auserwählten Zweige empor. Hier, am liebsten in einer Gabel oder an einem der verbundenen Kreuzungspunkte, legte es das eine Ende über den Ast, flog, das andere Ende mit dem Schnabel festhaltend, ein- oder zweimal um den Ast herum und steckte nunmehr eines der Enden zwischen Ast und dem umgewickelten Halm durch, damit eine Art von Schlinge bildend. Eine Gabel oder zwei sich kreuzende Zweige erleichterten diesen schweren Anfang begreiflicher Weise sehr, während ein glatter Ast oft wiederholte Anstrengungen erforderte.

Im ersteren Falle begannen sie regelmäßig an der Theilungsstelle der Zweige mit der Befestigung des Baustoffes, webten dann aber in einem gewissen Abstande nach außen hin eine Brücke von Ast zu Ast und füllten hierauf das so gebildete Dreieck aus; in letzterem Falle gelang es ihnen zuweilen erst nach wiederholten Versuchen, den Grundhalm um den Ast zu wickeln,

Der Pfarrer Baldamus, dieser treffliche, nicht allein scharf beobachtende, sondern auch vernünftig beurtheilende Naturforscher, schilderte in einem hier in Berlin gehaltenen Vortrage den Nestbau unseres Pirols, welcher in ähnlicher Weise verfährt, und hob besonders hervor, daß dem bauenden Weibchen bei der Umwicklung der Aeste das Männchen behülflich ist, indem es den erstes übergelegten Faden mit dem Schnabel auf den Ast drückt und so festhält; – bei meinen Webervögeln fand etwas Aehnliches nicht statt; sie mußten sich allein behelfen, wurden auch sehr gut fertig. Ihr langgestreckter Finkenschnabel ist freilich ein vorzügliches Werkzeug. Sie benutzen denselben wie ein geübter Schneider seine Nadel; denn das Zusammenfügen der Halme ist thatsächlich mehr ein Nähen als ein Weben. Wenn sie erst einige Halme oder Bastfasern befestigt haben, sticken sie das übrige Nest mit Leichtigkeit zu einem festen Ganzen zusammen. Zuerst wird stets der oberste Theil desselben bis zu einer gewissen Vollendung gebracht, sodann der unterste in groben Umrissen angehängt, um die richtige Größe zu bestimmen, hierauf das unten sich öffnende Flugloch angesetzt und nun endlich die Wandung allseitig verdichtet.

Bei allen diesen Verrichtungen konnte man ihre Geschicklichkeit nicht genug bewundern. Schon die verschiedenen Stellungen, welche sie beim Bauen einnahmen und einnehmen mußten, waren in hohem Grade überraschend. Kein einziger unserer kletternden Finken, weder der Kreuzschnabel noch der Zeisig, ja kaum eine unserer Meisen thut es ihnen hierin im Entferntesten gleich. Man glaubt zuweilen, daß sie sich Hals und Beine verrenken müßten, so ungewohnt verdrehen sie den ersteren, so weit auseinander setzen, so unnatürlich verbiegen sie die letzteren. Anfänglich finden sie nur an den Zweigen selbst Halt- und Stützpunkte, weil das Nest in seinen ersten Grundlagen noch viel zu schwach ist, als daß es sie tragen könnte; später hängen sie sich mit ersichtlichem Vergnügen an dessen Wandungen an, und dann arbeiten sie selten, ohne durch beständiges Schlagen oder richtiger Schwirren mit den Flügeln ihrer Freude und verzehrenden Hast den ihnen passend erscheinenden Ausdruck zu geben.

Die Zeit, welche der Bau eines und desselben Nestes beansprucht, ist verschieden, je nach der Beschaffenheit des Baustoffes, der vorhandenen Menge desselben und der mehr oder weniger treibenden Nothwendigkeit, fertig zu werden. Am schnellsten, aber auch am liederlichsten bauen sie, wenn man ihnen blos geeignete Grashalme (Schmeelen, wie wir Thüringer sagen) reicht, am langsamsten und sichersten, wenn sie nur Cocosbast zur Verfügung haben. Daß die Grashalme der ihnen, d. h. den in Rede stehenden Arten, natürliche und gewohnte Baustoff sind, merkt man sofort. Sie stürzen sich mit förmlicher Gier auf dieselben und lassen alles Uebrige liegen, bauen vom frühen Morgen bis zum späten Abend, lassen sich kaum zum Fressen Zeit und sind im Stande, ein Nest binnen drei Tagen zu vollenden. Während der Brutzeit darf man sie nicht eine Stunde lang ohne Baustoffe lassen; denn auch bei ihnen kennt Noth kein Gebot. Fehlt es ihnen an Baustoff, so gehen sie ohne Bedenken zu verwerflichen Ausschreitungen über, fallen über andere fertige oder halb fertige Nester her, zerstören sie am Zweige oder beißen deren Hängewerk ab, daß sie zu Boden fallen, und zerfasern sie hier bis auf den letzten Rest, um die räuberisch gewonnenen Stoffe zu verwenden. Sie stören sich dadurch auf das Empfindlichste und gefährden gegenseitig Eier und Brut. Ihrer Zerstörungssucht thut man nur durch Darreichung von Grashalmen Eintrag; denn ihnen gebotene Bastfasern pflegen unter solchen Umständen nicht berücksichtigt zu werden.

So lange die Brutzeit währt, bauen die Männchen ununterbrochen, gleichviel, ob das Weibchen bereits auf den bläulichen Eiern brütet oder nicht. Ihrer Bauwuth scheint ein einziges Nest durchaus ungenügend zu sein. Zunächst giebt es allerdings noch am ersten hinlänglich zu thun, wenn nicht der Thatsächlichkeit, so doch ihrer Einbildung entsprechend. Hier muß eine Stelle besser gedichtet werden, dort überragen die Enden verschiedener Halme die glatte Wand, was kaum geduldet werden darf, jetzt erscheint das Hängewerk, jetzt das Flugloch nicht in gehöriger Ordnung. Ist endlich glücklich Alles wohl besorgt, so wird mit dem Baue eines zweiten Nestes begonnen. Daneben muß das brütende Weibchen gefüttert, ihm ein Weihegesang dargebracht werden, ohne daß der Halm im Schnabel die dessen Oeffnung verlangenden schnarrenden Laute beeinträchtigt; kurz, freie Zeit für die geschäftigen Vögel giebt es nicht, unbedingt nicht, vielmehr Arbeit, nothwendige wie eingebildete, vom ersten Sonnenstrahl bis zum letzten.

Man sollte meinen, daß die eifrigen Vögel, welche dem Weibchen willig dienstbar sind, sich auch an der Fütterung ihrer Jungen betheiligen würden, bemerkt aber bald, daß dies nicht der Fall ist. Was ich bei Beobachtung der freilebenden Webervögel nur folgern durfte, konnte ich bei stundenlangem Verweilen vor dem Käfige der gefangenen mit genügender Bestimmtheit feststellen. Die Männchen überlassen den Weibchen alle Elternsorgen. Diese bebrüten die Eier, erwärmen, füttern die Jungen, reinigen deren Nest, ohne vom Männchen irgendwie unterstützt zu werden. Auch nachdem die kleinen Stummelschwänze ausgeflogen sind, bekümmert sich der Vater nicht um sie, während die Mutter nach wie vor ihrer Pflege sich widmet, fleißig sie ätzt und sie noch einige Tage allabendlich auf einem ihr sicher dünkenden Schlafplatze vereinigt oder sie in das Nest zurückbringt. Währenddem scheint das Männchen auch die treue Gattin gänzlich aus dem Auge verloren zu haben; man sieht es nicht in deren Nähe, vielmehr einzig und allein mit dem Bau des zweiten, dritten Nestes beschäftigt. Von ehelichen Zärtlichkeiten ist bei diesen merkwürdigen Vögeln überhaupt wenig zu bemerken; es scheint, als ob Bausorgen die Männchen, Muttersorgen die Weibchen vollständig in Anspruch nehmen.

Die Jungen machen sich sehr bald selbstständig. Noch ehe die Schwänzchen ihre volle Länge erreicht haben, nehmen sie bereit ihre Nahrung auf, fliegen und klettern im Käfige hin und her, auf und nieder, trennen sich von einander und gehen jedes seinen eigenen Weg. Bald treiben sie es ganz wie die Alten. Der eine nimmt ein Hälmchen vom Boden auf, wie er vom Vater es abgelauscht, knabbert spielend an demselben und schleppt es hin und her; der andere geht noch weiter und versucht schon die in seiner Familie erbliche Kunst zu üben, so ungeschickt er sich auch anstellt, so unbeholfen er ist. Mit der Zeit wachsen die Kräfte, vermehrt sich die Kenntniß. Bei keinem andern Vogel habe ich das „Wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_763.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)