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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 47. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften 5 Ngr.


Hermann.
Novelle von C. Werner.
(Fortsetzung.)


Dem jungen Maler schien es unter dem Blicke seines Freundes, der unverwandt auf ihm ruhte, immer unbehaglicher zu werden. „Ich will Gertrud überhaupt nicht durch eine Darlegung meiner Verhältnisse zu Antonien verletzen,“ sagte er hastig. „Sie mag glauben, daß es Gründe anderer Art, daß es Verluste oder Unglücksfälle sind, die mich zu einem Bruche zwingen. Ich habe bereits auf ernste mich bedrängende Unannehmlichkeiten hingedeutet. Aus der Ferne und brieflich erklärt sich das leichter – Du begreifst, daß ich sie so viel als möglich zu schonen wünsche.“

„Schonen? Und deshalb willst Du das Mädchen wochen-, vielleicht monatelang foltern mit der Ungewißheit ihrer Zukunft, mit der Sorge um Dich? deshalb willst Du ihr das Gift tropfenweise eingeben und, nachdem Du all’ ihre Zärtlichkeit und Angst um Dich entfesselt hast, sie der grenzenlosen Demüthigung aussetzen, zu erfahren, daß der Bräutigam, den sie vielleicht in Noth und Verzweiflung glaubt, als erwählter Gemahl der reichen und gefeierten Gräfin Arnau eine der glänzendsten Partien des Landes macht? – in der That eine eigenthümliche Art von Schonung!“

Eugen sah ihn im vollsten Erstaunen an. „Aber Hermann, was hast Du denn heute? Du bist ja ganz und gar verändert!“

„Es handelt sich hier nicht um mich, sondern darum, ob das, was Du mir soeben sagtest, wirklich Dein Ernst ist.“

Der junge Mann schwieg.

„Also wirklich?“ nahm der Graf wieder das Wort und rief dann: „In der That, das hätte ich doch nicht geglaubt!“

„Ich begreife nicht,“ begann Eugen, gereizt durch den verächtlichen Ton seines Freundes, „wie gerade Du mein Benehmen so streng beurtheilen kannst. Warst Du es nicht, der von Anfang an gegen diese Verbindung eiferte, der mich unaufhörlich antrieb, sie zu lösen, der mich halb mit Gewalt zur Erklärung gegen Antonie zwang? Ich habe doch wenigstens gekämpft und gelitten, Du aber bist eine von jenen Eisnaturen, die gleichgültig über das Wohl und Wehe Anderer hinschreiten, unbekümmert, ob sie Menschenherzen dabei brechen oder nicht. Du hast Dich von jeher offen zu diesen rücksichtslosen Principien bekannt, was hat Dich denn auf einmal so verwandelt, daß Du Dich zum Anwalt des Gegentheils aufwirfst und mich verdammst, weil ich Deinem Beispiel folge?“

Hermann schwieg einen Moment lang – ob der Vorwurf traf? es lag nur allzuviel Wahres darin, indessen Graf Arnau blieb selten eine Antwort schuldig, und so erwiderte er auch jetzt vollkommen gefaßt: „Du irrst! Ich war gegen diese Verbindung und bin es noch, weil ich kein Heil für Deine Zukunft darin sehe. Daß Du sie lösen mußtest, steht fest, nur über das Wie gehen unsere Meinungen auseinander. Ich bin rücksichtslos, wo es die Erreichung eines Zieles gilt, da hast Du Recht, und ich hätte in Deinem Falle wahrscheinlich mit der ganzen vollen Wahrheit das Herz des Mädchens gebrochen, aber Ausflüchte suchen, um ihr zu verbergen, was sie doch endlich erfahren muß, mich als Märtyrer eines grausamen Schicksals hinstellen und mich dabei in ein Gewebe von Unwahrheiten aller Art verstricken – das, Eugen würde ich nicht thun, denn, um Dir die Wahrheit zu sagen, ich finde ein solches Benehmen ziemlich feige.“

„Hermann!“ brauste Eugen auf.

„Laß Deine Empfindlichkeit!“ sagte der Graf gebietend, „sie ist hier nicht am Platze. Ich habe Dir meine Meinung offen ausgesprochen, jetzt thue, was Dir beliebt. – Uebrigens scheint das Wetter näher zu kommen, ich muß in’s Schloß zurück, Du bist wahrscheinlich auf dem Wege nach dem Dorfe, Adieu!“

Eugen antwortete nicht, er wendete sich um und ging trotzig, ohne Gruß und Abschied dem Dorfe zu. Hermann zuckte die Achseln, er kannte dies Schmollen und wußte, daß es nicht von langer Dauer sein werde. Dergleichen Scenen waren zwischen ihnen nichts Seltenes. Reinert pflegt nach einer solchen stets den Beleidigten zu spielen, um sich schließlich doch der Ueberlegenheit seines Freundes zu fügen.

Der Himmel hatte sich inzwischen immer finsterer umzogen, der Wind erhob sich und brauste in den Wipfeln der Bäume, Graf Arnau warf einen prüfenden Blick nach den Wolken und trat dann gleichfalls den Rückweg an. Da fuhr ein Windstoß hernieder und bog die Gesträuche und Gebüsche weit voneinander, es schimmerte zwischen ihnen wie ein helles Frauengewand. Von einer plötzlichen Ahnung durchzuckt, blieb Hermann stehen und blickte scharf durch das Gezweige; es war nichts mit Bestimmtheit zu erkennen, rasch that er einige Schritte seitwärts und stand in der nächsten Minute vor Gertrud Walter.

Das Mädchen lag auf den Knieen, den Kopf gegen eine Baumwurzel gelehnt und das Gesicht in beiden Händen verborgen. Auch nicht mit einem Laute hatte sie sich verrathen; aber sie war zusammengebrochen unter der plötzlichen Erkenntniß, die die Ahnungslose wie ein Blitzstrahl getroffen. Hermann bedurfte nur dieses Anblicks, um sofort Alles zu begreifen und zu fühlen, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_773.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)