Seite:Die Gartenlaube (1870) 775.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

erregt und zu den schönsten Erwartungen für die Zukunft berechtigt, aber diese Voraussetzung erfüllte sich nicht. Mit jenem Bilde, das ihm die Hand des Originals eintrug und ihm allerdings einen Namen in der Kunstwelt schuf, schien er seine beste Kraft erschöpft zu haben. Er malte zwar noch immer ausschließlich Portraits aus den aristokratischen Kreisen, denen er durch seine Gemahlin nahe getreten war, und in welchen seine Arbeiten natürlich für genial und unerreichbar gehalten wurden, aber die eigentlichen Kunstkenner hielten nicht viel davon, und im Publicum beachtete man sie wenig. Eugen’s Hauptfehler, der Mangel an Energie und Ausdauer, trat mit der Zeit immer deutlicher hervor. Er schwankte fortwährend zwischen allen möglichen Studien hin und her, fing Alles an und brachte Nichts fertig, entwarf die großartigsten Pläne, um keinen auszuführen, und verschwendete sein so großartig angelegtes Talent an den distinguirten, aber nichtssagenden Gesichtern von Grafen und Excellenzen und den Albumblättern vornehmer Damen. Seit das Glück ihm mühelos all’ die Güter in den Schooß geworfen, die er einst durch die Kunst zu erreichen gehofft, war seine Lust am Schaffen und damit auch seine Kraft ermattet. Wozu auch noch arbeiten? Der Reichthum, den seine Gattin ihm zugebracht, die Verbindungen, zu denen er durch sie gelangte, und das glänzende Haus, welches sie machten, sicherten ihm allen Lebensgenuß und eine unbestrittene Stellung in der Gesellschaft, und als ihm nun vollends im Laufe der letzten Jahre, wegen seiner „künstlerischen Verdienste“, der Adel ertheilt ward, schien er die höchste Staffel irdischen Glückes erstiegen zu haben.

Während dies einst so viel versprechende und viel bewunderte Talent allmählich zu Grunde ging, hatte sich in aller Stille ein anderes entwickelt, an das Niemand gedacht, dessen Dasein Keiner geahnt hatte. Graf Hermann Arnau, der seines kalten, schweigsamen und verschlossenen Wesens halber wenig gekannt und noch weniger geliebt worden war, hatte plötzlich einen Aufschwung genommen, der Alles in Erstaunen setzte. Nach der Rückkehr von einer größeren Reise, die er zu seiner ferneren Ausbildung unternommen, trat er in den Staatsdienst und ging mit der Gesandtschaft seines Fürsten nach Wien. Aber kaum zwei Jahre vergingen, und der jüngste Attaché war bereits die rechte Hand des nicht sehr befähigten Gesandten, sein Rath und seine Stütze in allen schwierigen Fällen, schließlich sein Vertreter, der all die Geschäfte leitete, zu denen Seine Excellenz den Namen hergab. Ein Zufall enthüllte dem Fürsten die Art dieser Geschäftsführung; er wurde aufmerksam auf den jungen Grafen, er berief ihn zurück, um ihm in der Residenz eine für seine Jahre bedeutende Stellung zu übertragen, und es dauerte nicht lange, so hatte Hermann auch hier allen Einfluß und alle Autorität an sich gerissen. Sein scharfer Blick, der jede Sache bis auf den Grund durchschaute, die rücksichtslose Energie, mit der er überall vorging, und die fast unglaubliche Thätigkeit, die er entwickelte, verschafften ihm Erfolg auf Erfolg. Er stieg von Stufe zu Stufe und stand jetzt im Alter von kaum zweiunddreißig Jahren bereits auf einem der ersten Posten des Landes, an der Spitze der Verwaltung und an der Schwelle des Ministeriums, das sich beim nächsten Umschwunge der Politik ihm öffnen mußte. Allerdings thaten das alte Grafengeschlecht, dem er entstammte, sein Reichthum und die persönliche Gunst des Fürsten das Ihrige zu dieser schwindelhaft schnellen Carrière; aber sie dienten im Grunde nur dazu, ihm den Weg zu ebnen und Hindernisse wegzuräumen, die ein Bürgerlicher erst hätte bekämpfen müssen. Hunderte mit dem gleichen Range und Vermögen blieben am Fuße oder in der Mitte jener Leiter stehen, deren oberste Stufe er jetzt schon erklomm – in Wahrheit verdankte er jene Erfolge doch nur sich selber.

Auf dem Gute der verwittweten Präsidentin von Sternfeld hatte man Vorbereitungen zum Empfange verschiedener Gäste getroffen. Der älteste Sohn, Baron von Sternfeld, befand sich mit seiner Gemahlin und seinen beiden kleinen Töchtern bereits seit einer Woche dort, Graf[WS 1] Arnau war heute Morgen aus der Residenz eingetroffen, und Herr und Frau von Reinert wurden am nächsten Tage erwartet.

Im Gartensaal des alten Herrenhauses, an der geöffneten Glasthür, die auf die breite steinerne Terrasse hinausführte, saß Hermann an der Seite seiner Großmutter. Das Aeußere der nunmehr siebenzigjährigen Frau zeigte noch immer die ungebrochene geistige und körperliche Kräftigkeit, mit der sie nach wie vor den Mittelpunkt der Familie bildete und die alle Autorität darüber ausübte. Die kraftvolle Gestalt schien sich nur widerwillig dem Alter zu beugen; das Haar war schneeweiß, das Gesicht voller Runzeln und Falten, aber es war eben ein Gesicht, dem das Alter nicht viel anhaben konnte. Es hätte weder den vorherrschenden Ausdruck von Energie verwischen, noch das scharfe, klare Auge trüben können, und wenn auch der Rücken sich etwas unter der Last der Jahre neigte; der Kopf ward noch ebenso aufrecht getragen wie früher.

Graf Arnau hatte sich im Laufe der Zeit kaum verändert; sie schien spurlos an diesen festen, kalten Zügen vorübergegangen zu sein. Der Blick war vielleicht noch schärfer, die eigenthümliche Linie um den Mund noch herber geworden, und die Haltung zeigte bei aller Einfachheit ein größeres Selbstbewußtsein; aber auffallender als je trat jetzt die Aehnlichkeit mit seiner Großmutter hervor, deren Gesicht sich fast Zug für Zug in dem seinigen wiederholte, wie sein Charakter Zug um Zug dem ihrigen glich.

Man hatte lange von der Residenz, von der jetzigen Stellung Hermann’s, von seinen Aussichten für die nächste Zukunft gesprochen und sich dabei immer mehr in ein politisches Gespräch vertieft; jetzt fragte der Graf endlich, auf ein anderes Thema übergehend: „Morgen treffen also Eugen und Antonie ein?“

„Deinem bestimmt ausgesprochenen Wunsche nach – ja. Ich bringe Dir ein großes Opfer damit, Hermann! Ich, das weißt Du, werde Antonien diese Mesalliance nie verzeihen, und wenn ich mich dessenungeachtet überwand, sie und den Herrn Maler Reinert einzuladen, so geschieht es einzig und allein um Deinetwillen.“

„Ich danke Dir, liebe Großmutter; ich weiß, was es Dich kostet; aber diese Anerkennung der Heirath Deinerseits war mit der Zeit doch nothwendig geworden. Im Uebrigen ist ja der äußeren Form Genüge geschehen, und Du begehst keinen gesellschaftlichen Verstoß mehr, wenn Du Herrn und Frau von Reinert als Verwandte empfängst.“

Die Präsidentin zuckte die Achseln. „Die Verleihung des Adels war eine Nothwendigkeit, nachdem Antonie einmal jenen wahnsinnigen Schritt gethan hatte. Sie ist und bleibt trotz alledem eine Gräfin Arnau und kann als solche nicht einfach bürgerlich Frau Reinert heißen, wenn sie hierher zurückkehrt. Aber eine Rücksicht, zu der man der Welt gegenüber gezwungen war, um den Familienscandal zu verdecken, hat auf mein Urtheil keinen Einfluß. Mir bleibt Herr Reinert nach wie vor bürgerlich.“

Hermann sah vor sich nieder und eine leichte Falte legte sich zwischen seine Augen. „Ich hoffte, Eugen würde sich einen Künstlernamen erringen, der diese Adelskomödie überflüssig machte; leider ist es nicht geschehen.“

„Wie?“ Die Stimme der Präsidentin nahm unwillkürlich einige Schärfe an. „Willst Du damit sagen, daß der Ruhm eines Malers die angeerbte Grafenkrone aufwiegen kann?“

„Aufwiegen – nein! aber in gewisser Hinsicht ersetzen, zumal bei einer so romantischen Natur, wie die Toni’s ist.“

Das Gesicht der Präsidentin zeigte, wie wenig sie mit dieser Antwort zufrieden war. „Du hast von jeher eine Schwäche für diesen Reinert gehabt,“ sagte sie mit unwilligem Kopfschütteln.

„Er war mir einst sehr lieb!“

„Er war es?“

„Ja. Es hat sich so Manches erkältend und entfremdend zwischen uns gedrängt. Ich setzte die größten Hoffnungen auf sein Talent, auf seine Zukunft – er hat nicht eine davon erfüllt.“

Die Präsidentin richtete sich in ihrem Lehnstuhle empor und fixirte ihren Enkel scharf. „Ich gestehe Dir offen, Hermann, daß ich früher ernstliche Besorgnisse wegen dieses Umgangs hegte. Du hieltest sonst streng an den aristokratischen Traditionen Deiner Familie; aber dieser Reinert war Dir immer und überall eine Ausnahme. Unter meinen Augen hätte es Toni allerdings nicht gewagt, ihre Freiheit in solcher Weise zu mißbrauchen. Ich war leider abwesend, aber Du warst ihr nahe. Du mußtest an meiner Stelle eintreten und die Ehre der Familie wahren. Statt dessen begünstigtest Du ganz offen jene Verbindung, führtest sie in Rom zusammen, nahmst sogar mir gegenüber ihre Partei. Ich fürchtete damals im vollen Ernste für Deine Grundsätze.“

Der Graf lächelte, es war sein altes sarkastisches Lächeln; das nicht eine Spur von Heiterkeit in sich schloß. „Das war eine grundlose Furcht; Du, Großmutter, hättest mich doch besser kennen müssen.

Ich bin eben aus einem anderen Stoff gemacht; und was ich bei

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Grau
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_775.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)