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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Was mag sie hierher führen – was mag sie wollen? Sollte sie Anschläge auf die Herzen unserer jungen, eleganten und lebensfrischen Officierswelt haben, sollten hinter diesen Absichten andere verborgen sein, sollte sie vielleicht etwas auszukundschaften suchen, und wäre sie von drüben als Sirene und Emissärin geschickt? Emissärin? Ach, das wäre vortrefflich! Eine Emissärin kann nur jung, schön, nur bezaubernd sein – eine Hospitalpfründnerin werden sie uns nicht schicken. Da ist sie. Jung? Ja, vielleicht sechsundzwanzig Jahre, wenn unsere verwöhnte Männerwelt dieses Alter noch für jung gelten lassen will. Schön? Das gerade nicht; eine kleine, wenn auch sehr graziös gebaute Gestalt, das Gesicht rund, wohlgebildet, aber bleich und abgehärmt, die Augen grau, groß und mit vielem Weiß, lebhaft blinkend, wenn auch wahrscheinlich vom Weinen etwas geröthet; der Mund anmuthig, die Lippen frisch und über der Oberlippe ein Merkmal, charakteristisch und allerdings auf Entschlossenheit deutend – ein leiser dunkler Flaum. Die Kleidung war einfach, aber von gutem Geschmack; der Anzug bestand aus einem dunkelbraunen Wollenstoffe, ohne die tausend Schnurrpfeifereien, mit denen die bonapartistische Ueppigkeit die herrliche Schöpfung des weiblichen Körpers zu verunstalten gesucht hat, auch der kleine Hut von braunem Stroh saß nicht so kühn und herausfordernd, wie es die geschmacklose Mode der letzten Saisons forderte, auf dem Kopfe; unter diesem Hute waren aber weder Flechten noch Locken noch sonst etwas zu erspähen – merkwürdigerweise – das Haar war gänzlich abgeschnitten.

Der Eindruck, den die ganze Erscheinung machte, war ein vertrauenerweckender; von dem Abenteuerlichen, das man sich versprochen, war nichts herauszufinden. Es that Einem innerlich wohl, wieder einmal eine anständige, wohlgekleidete Frauenerscheinung zu sehen; das Geschlecht war zwar in den Dörfern, in denen wir bisher rangirt hatten, nicht ausgestorben, aber mehr als das, es bestand fast nur in alten Weibern und die jungen, die man von der großen Mädchenflucht zurückgelassen hatte, waren des Ansehens nicht werth, trugen zerlumpte Kleider und Lederschuhe, die sich schon jahrelang nach etwas Wichse zu sehnen schienen. Die junge Dame, die hier saß, hatte ganz allerliebste Stiefeletten an, die einen kleinen, gewölbten Fuß umhüllten, und diesem Fuße entsprach die kleine, prachtvoll geformte weiße Hand, in die sie traurig ihren kleinen Kopf legte.

Ihr Erscheinen an diesem für eine Dame etwas ungewöhnlichen Orte, das Interesse und der Antheil, welchen sie vielleicht aus den sie umstehenden Officieren herausfühlen mochte, erleichterte die Anknüpfung einer Unterhaltung um ein Wesentliches. Lassen wir diese von dem Officier führen, in dessen Ressort die Fremde gehört.

„Wie die Meldung der Sie begleitenden Ordonnanz aussagt, kommen Sie, Madame, aus dem Hauptquartier des commandirenden Generals von ***.“

„So ist es, mein Herr. Ein Verwandter der Gemahlin des Generals hat mich an ihn empfohlen, in der Hoffnung, daß ich vielleicht durch die Fürsprache seiner Excellenz bei dem Prinzen Friedrich Karl meinen Zweck erreichen könnte.“

„Und welcher wäre dieser, wenn Sie mir die Frage erlauben?“

„Ich will nach Metz zu meinem Manne.“

„Sie verlangen gleich eine Unmöglichkeit, Madame.“

„Dasselbe sagte mir zwar auch der General von ***, aber ich bat ihn so lange, mir eine Empfehlung an den Obercommandirenden mitzugeben, daß er schließlich mir diesen Brief übergab. Hier ist der Brief – melden Sie mich Monseigneur, ich will einen Fußfall vor ihm thun. Wie man mir sagte, ist Monseigneur ein Mann von Herz und Edelmuth, auch er hat Frau und Kinder, und ich will ja nichts weiter, als zu meinem Manne, zu meinem armen, verlassenen Manne, der vielleicht in diesem Augenblicke verzweifelnd die Arme nach seiner Laurence ausstreckt, der vielleicht stirbt, ohne daß meine Arme ihn noch einmal umfangen, meine Lippen ihm zugeflüstert haben: Ich bin’s, mein geliebter Gaston, ich, Deine Laurence – aber ich bin nur allein, Lilli, unser Kind, ist nicht mitgekommen – ich konnte es nicht wagen, das Kind mit mir zu nehmen. O mein Herr, melden Sie mich Monseigneur.“

„Nach alledem, Madame, ist Ihr Herr Gemahl in Metz?“

„Ja. Verzeihen Sie, mein Herr, daß ich in der Verwirrung meiner Verzweiflung, die noch durch Ihr Schweigen erhöht wird, ein Schweigen, das wie ein Nein klingt – o sagen Sie es nur – es ist ein Nein – sagen Sie es, ich kann Alles hören, ich habe seit Wochen so unsäglich viel gelitten. O mein Mann, mein angebeteter Mann! Drei Jahre erst sind wir verheirathet, und wie lieben wir uns! – Aber ich vergesse, was ich Ihnen erzählen wollte. Mein Mann heißt T. F. und ist Capitain im Generalstab, wir wohnen in Paris. Bei Ausbruch des Krieges wurde er Adjutant des Generals B., der eine Gardedivision commandirt, und wurde bei St. Privat am 18. August verwundet. Wer von der französischen Garde wäre an diesem Tage überhaupt nicht verwundet worden! Ich erfuhr es einige Tage später – ich war mit unserem Kinde in Paris zurückgeblieben. O, wenn Sie Gaston und Lilli sehen könnten! Beide ein Gesicht – ein Herz! – Auf diese unglückselige Nachricht hin begab ich mich zum Kriegsminister General Trochu; er kennt meinen Mann, er achtet ihn sehr. Vielleicht, daß es durch seine Vermittelung mir gelang, nach Metz zu kommen, das die Preußen bereits cernirt hatten. Seine Antwort war ein ‚Unmöglich!‘ Seine Macht über Metz war durch die Preußen genommen. Mein Jammer, meine Verzweiflung gingen ihm zu Herzen. ‚Vielleicht können Sie Ihren Zweck auf einem Umwege erreichen,‘ sagte er nach einigem Nachdenken. ‚Ich habe Nachrichten von Marschall Mac Mahon, daß er von dem Lager von Chalons aufgebrochen ist und sich nach dem Norden gewendet hat, um an der belgischen und luxemburgischen Grenze entlang Thionville zu erreichen und von da zum Entsatze von Metz den Preußen in den Rücken zu fallen. Ich werde Ihnen eine Empfehlung an den Marschall geben.‘ Mit dieser Empfehlung reiste ich in den letzten Augusttagen von Paris ab. Ich hatte Sachen für meinen Mann mitgenommen, ich hatte Wäsche und einige Toilette für mich und dazu zweitauseud Franken, die ich in einem kleinen Koffer bei mir trug. In Beaumont traf ich den Marschall, der mich auf das Schreiben des Generals Trochu hin sehr liebenswürdig aufnahm, meinen Absichten förderlich sein zu wollen mir versprach, und mich einer Ambulance zutheilte. In einen der Wagen wurden meine Sachen gebracht, die Wagen fuhren auf dem Markte auf, und in einem dabeiliegenden Hôtel ließ ich mir ein Zimmer geben. Das Herz wurde mir nach langer Zeit wieder einmal leicht; ich wagte wieder einen Gedanken der Hoffnung zu fassen. Alle Welt versprach sich von dem Unternehmen des Marschalls Erfolg, und ich selbst am meisten, mein Herz wünschte ihn doch; denn nur so konnte ich meinen geliebten Gatten wiedersehen. Aber ach – alle diese süßen Hoffnungen wurden durch die Niederlage meines Beschützers, des Marschalls, mit einem Male vernichtet. Der Angriff durch die Preußen und Sachsen, Baiern und Schlesier –“

„Bitte, Madame, Schlesien gehört zu Preußen.“

„Ah – Pardon! Ich dachte, Schlesien wäre eines von den unzähligen Fürstenthümern Deutschlands. Wir Frauen in Frankreich treiben Geographie nur mit unseren Herzen. – Ich weiß nicht, welche von den Deutschen bei der Schlacht von Beaumont waren, man muß so viele Namen merken, wenn man darüber orientirt sein will; aber Mac Mahon wurde geschlagen. Der Angriff war so heftig, der Kampf so blutig! O, wenn ich an diese Stunden der Entscheidung denke, die auch die Entscheidung über mein Schicksal in sich bergen! Von meinem Fenster aus konnte ich einen Theil der Schlacht mit ansehen – bald war ich an diesem Fenster, bald lag ich auf den Knieen betend, schluchzend, jammernd! Plötzlich hieß es: ‚Die Franzosen sind geschlagen. Die Preußen kommen!‘ Die Panique war entsetzlich. Ich stürzte hinab. Ich wußte nicht, was ich wollte, ich hatte keinen klaren Gedanken mehr, ich war sinnlos vor Schmerz, daß auch hier wieder das Schicksal meinen Weg hemmte, der mich an das ersehnte Ziel führen sollte; nur noch eine dunkle Idee hatte ich, mich meines Eigenthums, das auf einem der Ambulance-Wagen untergebracht war, zu versichern. Als ich unten im Flur des Hôtels angekommen war, verbarrikadirte ein dichter Menschenknäuel den Ausgang, Alles schrie, jammerte, tobte: ‚die Preußen, die Preußen!‘ Der einzige Ausgang, der noch blieb, war rückwärts nach dem Garten, von dort konnte man ins Freie gelangen. Ich hatte keinen Gedanken, keinen Willen, nur ein dumpfes instinctives Gefühl ließ mich an meine Selbsterhaltung denken, und so wurde ich mit fortgeschoben. In der Ambulance, der mich der Marschall zugewiesen hatte, hatte ich einen Arzt kennen gelernt, den ich jetzt plötzlich wieder an meiner Seite sah. ‚Wo ist unser Wagen, wo ist mein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_778.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)