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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

scheinst, hat keines Deiner Werke die Grenze der Mittelmäßigkeit überschritten.“

Eugen biß sich auf die Lippen. „Du bist in der That sehr – aufrichtig.“

„Und Du hast es verlernt, die Wahrheit zu hören. Ich kann damit nicht zurückhalten.“

Reinert erhob sich verletzt, seine Eitelkeit ertrug einen Vorwurf nicht, dessen Gerechtigkeit er gleichwohl empfand; er war im Begriff, eine heftige Antwort zu geben, aber Hermann wendete sich plötzlich von ihm ab, und blickte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach der Thür, die sich in diesem Augenblick öffnete. Ein triumphirendes Lächeln zuckte um seinen Mund, er hatte Eugen nicht umsonst gerade in dies Cabinet geführt, er wußte sehr wohl, wer es durchschreiten mußte, um die Kinder, die sich um diese Zeit bei ihrer Mutter befanden, zur Unterrichtsstunde zu holen – dies erste Wiedersehen sollte und mußte beobachtet werden.

Auch Eugen hatte den Kopf gewandt, aber auf einmal fuhr er zurück und todtenbleich, die Arme wie gegen eine Erscheinung abwehrend ausgestreckt, stieß er einen Schrei des Schreckens aus.

„Gertrud!“

Es war in der That Gertrud, die auf der Schwelle stand. Sie wußte freilich, welche Begegnung ihrer heut noch wartete, aber dies Zusammentreffen jetzt und hier fand sie doch unvorbereitet. Auch sie erbleichte und machte eine Bewegung wie zur Flucht, als ihr Auge dem Hermann’s begegnete, das mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht ruhte, als wolle er durch dasselbe hindurch ihr tief bis in’s innerste Herz hineinsehen. Der Fuß des Mädchens schien plötzlich am Boden zu wurzeln, sie richtete sich hoch auf und gab ihm fest und stolz den Blick zurück. Es lag etwas in dieser Bewegung, das edler war als Trotz und mächtiger als Haß; er sah es, wie eine tiefe dunkle Röthe langsam in ihrem Antlitz aufstieg, während sie sein unverwandtes Anschauen aushielt, aber die Wimpern senkten sich nicht. So standen sie einige Secunden lang, Auge in Auge, dann wendete der Graf sich plötzlich ab, Gertrud schloß die Thür hinter sich, ging festen Schrittes, mit völlig fremdem Gruße, an den beiden Herren vorüber und verschwand in dem anstoßenden Gemache.

Hermann ballte in verhaltenem Ingrimm die Hand. „Unbeugsam! Ich wußte es! Dies Mädchen ist nicht zu demüthigen; zwang sie nicht beinahe mich, das Auge vor ihr niederzuschlagen?“

Eugen, der während der ganzen Scene wie angewurzelt dagestanden hatte, kam erst jetzt wieder zur Besinnung.

„Hermann, was bedeutet das? – War das meine – war das Gertrud Walter? – Wußtest Du davon? – Um Gotteswillen, sprich – sprich!“

Der Graf lehnte sich mit gekreuzten Armen an den Pfeiler, sein Gesicht trug jetzt völlig jenen abstoßenden Ausdruck, der ihm in Momenten der höchsten Gereiztheit eigen war, und in seinem Tone lag eine wahrhaft erschreckende Herbheit, als er erwiderte:

„Mademoiselle Walter befindet sich gegenwärtig als Erzieherin im Hause meines Oheims Sternfeld, und ist mit dessen Familie hierhergekommen. Ich begreife, daß dies Zusammentreffen Euch Beiden peinlich sein muß, aber Du siehst ja, daß sie Tact genug besitzt, Dich völlig zu ignoriren, und was Dich betrifft, so wirst Du sie leicht vermeiden können, da sie sich ausschließlich den Kindern widmen muß, und wenig oder niemals in der Gesellschaft erscheint.“

Eugen schien die letzten Worte nicht zu hören, sein Auge hing noch immer wie magnetisch gebannt an der wieder geschlossenen Thür. „Gertrud hier!“ wiederholte er noch immer fassungslos, „und ich muß sie jetzt, muß sie so wiedersehen! O, das ist nicht das Kind mehr das ich einst verließ! Wie schön, wie unendlich schön ist sie geworden!“

Mit einer heftigen Bewegung richtete sich Graf Hermann aus seiner nachlässigen Stellung empor. „Ich dächte, es wäre jetzt Zeit, daß wir uns zu Antonie begeben, sie muß längst mit ihrer Toilette fertig sein, und ich führe Euch dann sofort zu der Großmutter. Komm!“

„Nein, nein!“ rief Eugen leidenschaftlich, „jetzt nicht! Nach diesem Wiedersehen, in dieser furchtbaren Aufregung ertrage ich nicht die steife Förmlichkeit einer solchen Vorstellung. Ich kann jetzt nicht!“

„Mein lieber Eugen,“ die Stimme des Grafen klang wieder vollkommen ruhig, aber sie war von einer schneidenden Schärfe, „diese steife Förmlichkeit bedeutet die Anerkennung Deiner Heirath von Seiten der Familie Deiner Frau, und Du wirst dieser Familie die Rücksichten erweisen, die Du ihr schuldig bist. Habe die Güte, Deine Gefühlswogen zu beherrschen, und folge mir. Meine Großmutter, die Präsidentin von Sternfeld, ist nicht gewohnt zu warten.“

Und mit der ganzen gebietenden Autorität, die er einst über den jungen Maler ausgeübt, nahm er auch jetzt den Arm des Herrn von Reinert, und führte den Widerstrebenden mit sich fort.




Die vierzehn Tage, welche zum Aufenthalt der Gäste festgesetzt waren, nahten sich ihrem Ende. Man hatte sie in einem förmlichen Wirbel all’ der Vergnügungen und Zerstreuungen hingebracht, die das Landleben nur zu bieten vermag. Die Präsidentin, der ihr hohes Alter sonst Ruhe und Zurückgezogenheit zur Pflicht machte, konnte sich diesmal unmöglich all’ den Besuchen und Einladungen entziehen, die hauptsächlich ihrem Enkel galten. Graf Arnau war in der That bereits eine Berühmtheit geworden, man drängte sich aus der ganzen Nachbarschaft herbei, ihn zu sehen, ihn zu bewundern, und das Gerücht, er beabsichtige, sich in nicht allzuferner Zeit zu vermählen, trug noch mehr dazu bei, ihn zum Mittelpunkt von allseitigen Aufmerksamkeiten zu machen, die doch im Grunde sämmtlich in dem Bestreben wurzelten, diese in jeder Hinsicht glänzende Partie für irgend eine Tochter, Schwester oder Anverwandte zu acquiriren. Der Graf nahm das Alles in seiner kühlen, zurückhaltenden und sarkastischen Weise hin, ohne das mindeste Gewicht darauf zu legen.

Den geselligen Verpflichtungen unterzog er sich mit jener Resignation, mit der man eine peinliche, aber unabwendbare Nothwendigkeit erträgt, denn er fand in diesen unaufhörlichen Besuchen und Zerstreuungen den wirksamsten Ableiter für den Gährungsstoff, welcher trotz der sogenannten Versöhnung noch überreich im Schooße der Familie verborgen lag. Zwar war die Präsidentin, trotz ihrer aristokratischen Vorurtheile, eine feingebildete Frau und ließ es nicht an der Höflichkeit und Rücksicht fehlen, die sie den von ihr selber eingeladenen Gästen schuldete, aber sie verstand es nichtsdestoweniger, es ihrer Enkelin und deren Gatten fühlbar zu machen, daß sie nur geduldet seien und daß sie selbst diese Duldung nur dem Einflusse Hermann’s verdankten. Diese Erkenntniß diente natürlich nicht dazu, Beiden den Aufenthalt angenehm zu machen; Antonie zeigte sich bei jeder Gelegenheit empfindlich und verstimmt, Eugen fortwährend gereizt und erbittert, oft war es nur Hermann’s Dazwischentreten, das den stets drohenden Bruch verhinderte, und das Zusammenleben wäre ein sehr unerquickliches gewesen, wenn nicht die häufige Gegenwart Fremder allen Theilen einen heilsamen Zwang auferlegt hätte.

Es war am vorletzten Tage des Hierseins der Gäste, gegen Abend. Die Präsidentin hatte die Kinder zu sich holen lassen und Gertrud benutzte eine von den wenigen freien Stunden, die ihre Stellung ihr übrig ließ, um allein in den Park zu gehen. Sie hatte ihn während dieser beiden Wochen so viel als möglich gemieden, ihn wenigstens nur in Begleitung ihrer Zöglinge betreten, um einer etwaigen peinlichen Begegnung auszuweichen, aber heut’ Abend war sie sicher; sie wußte, daß Abschiedsbesuche in der Nachbarschaft gemacht wurden, und gab sich in dieser Gewißheit freier dem lang entbehrten Genusse eines einsamen Spazierganges hin.

Ein Buch in der Hand ging sie langsam zu ihrem Lieblingsplatze,

der Bank unter dem großen Ahornbaum. Der Park schien um diese Zeit völlig einsam und verlassen; die Abendsonne lag goldig auf den Gebüschen und Rasenplätzen, von drüben her schimmerte das weiße Gefieder der Schwäne, die im Teich auf und nieder zogen, kein Laut unterbrach die tiefe Stille ringsum. Gertrud setzte sich nieder und stützte den Kopf in die Hand. So waren sie denn nun endlich zu Ende, diese so sehr gefürchteten vierzehn Tage des Beisammenlebens, und waren im Ganzen besser vergangen, als sie gehofft. Von keiner Seite hatte man ihrem sichtbaren Bestreben, sich zurückzuziehen, ein Hinderniß in den Weg gelegt. Die Präsidentin hegte ausgesprochenermaßen eine Antipathie gegen „Mademoiselle Walter“, und Antonie, obgleich sie von deren früheren Beziehungen zu ihrem Gemahl keine Ahnung hatte, liebte durchaus nicht die Gegenwart dieser Gouvernante, welche die Impertinenz besaß, so blendend schön zu sein, daß sie selbst vornehme Frauen durch ihr bloßes Erscheinen in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_795.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)