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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

mehr, welche weniger, wäre schwer zu entscheiden und gefährlich zu sagen.

Ich setzte mich auch zu der kleinen Gesellschaft und wurde freundlich aufgenommen. Aus dem Gespräch ergab sich bald, daß die beiden Damen – Frauen, Fräulein, Mädchen, noch wußte ich nicht, wie sie eigentlich zu nennen wären – von einem nahen Dorfe hereingekommen und Abends wieder dahin zurückfahren würden. Das Dorf aber heiße Margreten.

„Margreten!“ wiederholte ich, „da waren einmal vor fünfundzwanzig Jahren zwei schöne Wirthstöchter, von denen damals viel gesprochen wurde.“

„Ja, ja,“ sagte die dunkelhaarige Gestalt, „sie waren sehr hübsch; auch Doctor Steub hat ihre Schönheit rühmend erwähnt.“

„Was mag aus ihnen geworden sein?“ fragte ich. „Wissen Sie etwas von ihnen?“

„O ja,“ antwortete die blonde Gestalt, „wir sind da sehr gut unterrichtet; es waren nämlich unsere ältesten Schwestern. Die eine lebt jetzt als Wittwe zu Trient, die andre reist als Directrice einer Tiroler Sängergesellschaft in Rußland.“

„In Rußland!“ sagte ich, „das ist weit weg!“

„Nicht so weit, als es scheint,“ entgegnete die Dunkelhaarige, „wenigstens nicht für uns. Wir waren Beide schon zehn Jahre dort.“

„Um Gotteswillen,“ sagte ich, „was hatten Sie denn da zu thun?“

„Wir haben gesungen,“ erwiderten beide Gestalten.

Jetzt war mir Manches klar. Ich ließ in meinen Forschungen eine Pause eintreten, welche die Dunkelhaarige benutzte um zu fragen:

„Aber mit wem haben wir die Ehre?“

„Sie haben mich soeben einer Erwähnung gewürdigt.“

„Ach so,“ sagte sie überrascht, „also Doctor Steub! Das wird unseren Schwager freuen; er wird gleich wieder da sein. Er kennt Sie ja auch von alten Zeiten her.“

Nun gut – soweit waren denn beide Theile entlarvt. Aus dem ferneren Gespräche aber will ich zur Ergänzung noch Folgendes nachtragen.

Die beiden Mädchen waren also jüngere Töchter aus dem Wirthshause zu Margreten, wo einst vierzehn Kinder rumorten, alle schön gestaltet und gut begabt, von denen jetzt noch ihrer sieben am Leben sind. Die dunkelhaarige Schwester nennt sich Therese, die blonde – Isabella. Die schwarzseidenen Kleider deuteten auf den Tod des Vaters, des Herrn Jacob Prantl, welcher vor wenigen Wochen in Margreten verschieden war, nachdem ihm die Mutter um drei Jahre vorausgegangen. Der Schwager aber, den sie erwähnt hatten, ist Ludwig Rainer, der mit ihrer älteren Schwester Anna vermählt ist. Alle jene, welche etwa mein Buch „Drei Sommer in Tirol“ auf ihrem Bücherrahmen haben, werden ihn Seite 543 geschildert finden (die beiden Wirthstöchter von Margreten stehen auf der vorhergehenden Seite), wie er damals vor sechsundzwanzig Jahren als schmucker Zillerthäler die Posaune blies, während die Söhne des Erzherzogs Franz Karl, darunter auch der jetzige Kaiser, zu Fügen ihren festlichen Einzug hielten.

Ludwig Rainer repräsentirt jetzt eigentlich als reisender Sänger einzig und allein die zweite Generation seiner berühmten Familie, denn Franz Rainer zum Beispiel, auf der Post zu Schwaz, auch ein Epigone, ist zwar ein guter Postmeister, reist auch mitunter, singt aber nicht. Die jüngeren Vettern zu Fügen dagegen singen zwar mitunter, reisen aber nicht. Andere Rainer, welche noch jodelnd in der Welt herumziehen, sind Pusterthaler und aus einem andern Stamm. Ludwig Rainer brachte die Liebe zum Gesang, den Unternehmungsgeist, die Thatenlust auch in die Wirthsfamilie zu Margreten und legte sich dort eine blühende Pflanzschule an, so daß er immer drei oder vier Kinder des Hauses in seinem musikalischen Gefolge mit sich führen konnte. So kamen auch Anna, Therese, Isabella und der Bruder Alois mit ihm nach Rußland, wo sie sich Jahre lang in Petersburg und Moskau aufhielten ja sogar bis Nischnei Nowgorod streiften. Das feine Leben in Rußland, die freundliche Aufnahme, die schönen Diners, den ewig knallenden Champagner daselbst, das wußten die beiden Fräulein auch nach Gebühr zu loben. Selbst der Kaiser von Rußland zeigte sich als begeisterten Liebhaber der Almenlieder; ja er sang oft selber mit und jodelte um die Wette mit den Zillerthalern.

Unter diesen Gesprächen trat endlich auch Ludwig Rainer ein, welcher von einem Besuche zurückkam. Seit jenem Tage in Fügen haben wir uns zwar nicht mehr gesehen, aber immer in Gedanken behalten, so daß wir uns damals in Schwaz mit vollem Rechte als alte Bekannte begrüßen durften. Ludwig Rainer, weltgewandt, unverzagt und schlagfertig, ist auch äußerlich ein wohlgebauter, starker Mann. Namentlich in der Tirolertracht, wenn er als Zillerthaler Schütze auftritt, stellen sich seine Formen imponirend dar. Sein Auge ist lebhaft, ebenso sein Gespräch. Sein Wesen und sein Charakter wird aus dem biographischen Denkmal hervorgehen, welches wir aus seinen eigenen Bausteinen ihm hier zu setzen gedenken.

Damals fragte ich nämlich Herrn Ludwig Rainer, ob er mir keine Materialien zur Geschichte seiner Familie mittheilen könne – es sei eine zweite Auflage der „Drei Sommer“ im Anzug und mein Wunsch wäre, die in der ersten vorkommenden dürftigen Notizen über die Rainer etwas erweitern und ergänzen zu können.

„Da kann ich Ihnen schon behülflich sein,“ entgegnete er. „Ich habe Einiges niedergeschrieben, was ich Ihnen gern zur Benutzung überlasse. Uebrigens sollten Sie jetzt mitkommen nach Margreten. Dort ist unser Familienmuseum – dort haben wir alles zusammengestellt, was wir von unseren Reisen als Erinnerungen und Andenken mitgebracht: Bilder, Photographien, Pokale, Kränze, Bänder, Fahnen und allerlei mitunter sehr werthvolle Geschenke. Das würde Sie gewiß interessiren!“

Leider war es schon Nacht geworden, und da ich am andern Morgen auswärts gegen Innsbruck zu fahren gedachte, so war Margreten, das abwärts liegt, mit meiner Richtung nicht zu vereinigen. Ich lehnte daher dankend ab und versparte mir den Besuch auf ein ander Mal, habe ihn aber bisher noch nicht ausgeführt.

Ludwig Rainer sandte mir bald darauf zwei handschriftliche Foliobände, deren einer die Geschichte seiner Jugend, der andre aber das Tagebuch enthält, welches er auf der Reise von Tirol nach Amerika in den Jahren 1839 bis 1843 geführt. In dem ersteren dieser Foliobände findet sich nun Mancherlei, was der Mittheilung nicht unwerth scheint. Ludwig Rainer’s Jugendgeschichte ist ein farbenreiches Lebensbild aus dem Almlande und wird hoffentlich alle Leser ansprechen, welche den frischen, kecken, liederlustigen, nur etwas leichtblütigen Zillerthalern freundlich zugethan sind. Sollte sich hin und wieder ein Bestandtheil zeigen, der etwas unwahrscheinlich klingt, so wollen wir die Ehre, für die Wahrheit, falls sie bestritten würde, einzutreten, gern Herrn Rainer selbst überlassen.




2.

In dem schönen Zillerthale, beginnt die Erzählung, im lieblich gelegenen Pfarrdorfe Fügen, lebte einst unter Anderen ein Metzgermeister mit Namen Joseph Rainer. Er war ein braver alter Deutscher und hauste auch mit seiner Gattin ganz glücklich, obgleich er sich, da er acht Kinder, sechs Knaben und zwei Mädchen, zu ernähren hatte, nicht ohne Mühe durch’s Leben schlug. – Vater Rainer war einer der ersten Tenoristen seiner Zeit, wußte seine weltlichen Liedlein sehr angenehm vorzutragen, hatte aber auch jährlich einen geringen Gehalt von der Pfarrkirche, weil er an Sonn- und Feiertagen auf dem Chore mitsang. Auch fünf seiner Kinder waren mit musikalischen Anlagen gut ausgestattet, den drei übrigen aber fehlte das Talent. Unter diesen letzteren war übrigens ein Mädchen, Helene mit Namen, von so großer Schönheit, daß sie in der ganzen Gegend zu Berg und Thal die schöne Lene genannt wurde. Auch ihr ältester Bruder, Johann, war ein Musterbild von einem Zillerthaler Burschen, und wenn die schöne Lene mit diesem im Feiertagsstaat durch die Straßen von Fügen ging, blieben die Leute gern stehen, um das Geschwisterpaar zu bewundern.

Nun folgt eine Episode von Marie Rainer, der schönen Lene Schwester, die minder hübsch, aber sehr gutmüthig und fleißig war und in ihren jungen Jahren eine Liebschaft mit einem andern Rainer einging, welcher eines Baders Sohn, übrigens nicht mit ihr verwandt gewesen ist, wie es denn überhaupt im Zillerthale mehrere Geschlechter giebt, die jenen Namen führen, ohne einen gemeinschaftlichen Stammvater anzuerkennen. Marie also und der Baderssohn liebten sich, aber gegen den Willen ihrer Eltern.

Nichtsdestoweniger war ihre Liebe so heiß, daß Marie sich vergaß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_799.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)