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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

so ruhigen besonnenen Manne, blieb unentschieden, denn in diesem Augenblicke wurde leise an die Klinke der Thür gefaßt.

„Was giebt’s? Wer stört uns?“ fuhr Hermann auf. Er schob den Riegel zurück, draußen stand ein Diener mit sehr verlegenem Gesicht.

„Der Herr Graf verzeihen die Störung, ich wußte nicht, daß die Herrschaften sich eingeschlossen, ich wollte melden –“

„Nun, was – was?“

„Mademoiselle Walter ist im Vorzimmer und wünscht den Herrn Grafen zu sprechen.“

„Mademoiselle Walter?“

„Mich?“

Die Präsidentin faßte sich zuerst, sie war augenscheinlich im Begriff, eine Abweisung auszusprechen, doch ihr Enkel kam ihr zuvor.

„Ich – lasse bitten!“

Der Diener verschwand.

„Hermann, Du darfst sie jetzt nicht sprechen! Du verräthst Dich in dieser furchtbaren Aufregung! Und was kann sie wollen?“

Der Graf hatte auf einmal seine Fassung wieder, aber ein Ausdruck unendlicher Bitterkeit erschien in seinem Gesicht. „Beruhige Dich, Großmutter! Ich weiß, weshalb sie kommt, es steht in keiner Beziehung zu dem, was wir eben verhandelten. Es muß schon eine Todesangst sein, die sie zwingt, meine Schwelle zu überschreiten.“

Die Präsidentin fand keine Zeit, Aufklärung über diese letzten, völlig räthselhaften Worte zu verlangen, denn der Diener hatte inzwischen die Thür geöffnet und ließ Gertrud eintreten. Der Graf hatte Recht, es kostete ihr eine furchtbare Ueberwindung, seine Schwelle zu überschreiten, und als es endlich geschehen war, blieb sie regungslos stehen, das Auge zu Boden geheftet, wie eine Schuldbewußte. Die Züge schienen ruhig, aber das Antlitz hatte etwas Furchtbares in seiner starren leichenhaften Blässe, alles Leben schien daraus entflohen.

Hermann trat ihr entgegen. „Sie wünschten mich zu sprechen mein Fräulein?“

„Ja.“ Das Ja fiel leise, fast unhörbar von ihren Lippen.

„Allein zu sprechen?“

„Ja.“

„So verzeih’, Großmutter – darf ich Sie bitten?“

Er schlug die Portiere des anstoßenden Cabinets zurück und folgte ihr dort hinein. Die Präsidentin blieb allein zurück, sie ging zur Thür und schob den Riegel wieder vor, dann trat sie leise zu der wieder geschlossenen Portiere und schob unhörbar die Falten derselben etwas bei Seite – Hermann war in dieser Stimmung zu Allem fähig, er durfte nicht unbewacht bleiben.

Noch war zwischen den Beiden kein Wort gefallen. Der Graf stand scheinbar ruhig, die Hand auf den Tisch gestützt, und wartete schweigend, aber noch mit demselben bitteren Ausdruck in den Zügen, daß Gertrud reden solle. Sie versuchte es auch, aber, war es wirklich die Todesangst, von der er vorhin gesprochen, die Stimme versagte ihr; sie war keines Lautes fähig.

Hermann’s Lippen zuckten, er sah wohl, daß er zuerst das Wort nehmen müsse. „Ich errathe, was Sie zu mir führt. Sie sahen mich unverletzt zurückkommen und zittern nun für das Leben meines Gegners. Beruhigen Sie sich! Unser Rencontre ist, wenn auch nicht unblutig, doch ungefährlich verlaufen, Herr von Reinert hat eine leichte Wunde am Arme, die auch die Ursache war, daß seine so sichere Waffe mich fehlte. Er ist vorläufig im Forsthause zurückgeblieben, der Arzt ist bei ihm und nicht die mindeste Gefahr zu befürchten.“

Gertrud hatte bei seinen ersten Worten fast entsetzt das Auge gehoben; aber sie senkte es sofort wieder.

„Ich danke Ihnen, Herr Graf, für die Nachricht, aber Sie sind im Irrthum – es ist nicht das, was mich herführt.“

Nicht das! Also war es auch nicht diese Angst, die ihre Wangen so furchtbar gebleicht, ihr diese leichenhafte Starrheit und Leblosigkeit gegeben hatte – die Augen des Grafen leuchteten plötzlich auf wie am gestrigen Abend; der bittere Ausdruck verschwand; hastig trat er ihr einen Schritt näher.

„Nicht? Und was war es denn, Gertrud?“

Sie wich mit einer zuckenden Bewegung von ihm zurück; langsam ließ er die ausgestreckte Hand wieder sinken. Das Mädchen rang nach Athem.

„Ich komme – Ihnen etwas mitzutheilen. Es betrifft Sie – uns Beide. – Ich bin gezwungen, dies Haus heute noch zu verlassen; mein Brief an die Baronin enthält einen Vorwand – Ihnen bin ich Wahrheit schuldig.“

Sie hatte die Worte mühsam mit halberstickter Stimme herausgestoßen und vermied es dabei mit sichtbarer Angst, seinem Blicke zu begegnen. Graf Arnau richtete sich entschlossen auf; er wußte, was jetzt kam.

„Ich gehe als Ihre Feindin; aber ich will es nicht heimlich, nicht hinterrücks sein. Sie fragten mich gestern, ob ein Geheimniß zwischen uns liege – Sie sollen es jetzt erfahren.“

„Ich weiß es bereits.“

„Wie?“

„Seit einer Stunde kenne ich Ihren wahren Namen und damit auch den Grund Ihres Hasses gegen mich.“

Sie hob wie vorhin den Blick zu ihm, aber jetzt sprach das vollste Entsetzen daraus.

„Das ist unmöglich, das können Sie nicht! Sie können nichts wissen, nichts, als daß es der Name eines Betrügers war, der sich das Leben nahm; als er sein Vergehen entdeckt sah. So hat man es Ihnen erzählt, nicht wahr? Oder – wüßten Sie mehr?“

Hermann gab keine Antwort; sein Blick haftete düster am Boden.

„Antworten Sie mir; Graf Arnau! Wenn Jemand auf Erden ein Recht hat zu fragen, so bin ich es. Was wissen Sie?“

„Alles!“

In seinem dumpfen gebrochenen Tone lag die ganze niederschmetternde Gewalt dieses einen Wortes; das Mädchen stand einen Moment lang wie vom Blitze getroffen.

„Sie wußten es und schwiegen?“

„Es war mein Vater, Gertrud!“

Sie richtete sich plötzlich mit einer fast wilden Energie empor. „Sie haben Recht, Graf Arnau, es war Ihr Vater – und es war der meinige! Das werde ich nicht vergessen.“

Es folgte eine schwere, drückende Pause; endlich hob Hermann wieder das Haupt. „Wir sind jetzt auf einen Punkt gekommen, wo nichts mehr verschwiegen und geschont werden kann. Wollen Sie mir sagen, wer Ihnen das Geheimniß entdeckte?“

Mit dem Mädchen war seit dem Geständniß des Grafen eine seltsame Verwandlung vorgegangen. Die Angst, der Kampf, die sich bisher in ihrem Wesen verriethen, waren einer unnatürlichen Ruhe gewichen; der Blick, der so scheu den seinigen gemieden, traf ihn jetzt voll und drohend, und ihre Stimme klang fest und kalt bei der Erwiderung:

„Meine Mutter weihte mich ein, als ich alt genug war; es zu begreifen. Sie hatte keine Beweise, ihr Recht geltend zu machen, nichts als die unumstößliche Ueberzeugung ihres Innern. Mein Vater durfte es nicht wagen, den Verdacht, der sich schon zuvor gegen den mächtigen einflußreichen Vorgesetzten in ihm erhoben, laut werden zu lassen; nur seinem Weibe sprach er ihn aus noch am Morgen des verhängnißvollen Tages, und deshalb war nur sie im Stande, die Wahrheit zu ahnen. Sie wußte, daß ihr Gatte kein Betrüger war, daß er nur das Opfer eines Verbrechens, eines überlegten hinterlistigen Meuchelmordes –“

„Nein, Gertrud, nein, das war es nicht!“ fiel ihr Hermann ungestüm in’s Wort. „Ein Verbrechen des Augenblicks, eine That der Verzweiflung, aber kein Plan. Ich weiß es – ich war Zeuge davon!“

„Ah – Sie waren Zeuge!“

Der Blick des Grafen schweifte forschend durch das Cabinet; es hatte nur einen Ausgang, und der, das wußte er, stand unter sicherer Hut; dennoch sank seine Stimme zu einem Flüstern herab,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 835. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_835.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)