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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Oberst v. Gottberg und in nächster Nähe, im Kürassierüberrock und Mütze, Herzog Ernst’s von Coburg hohe Gestalt. Dann farbig und waffenblitzend eine Wolke von Reitern – Prinzen, Generalstabs-, Ordonnanzofficiere, fremde Militärs ohne bestimmte Reihenfolge; der unschuldige Anlaß dieses furchtbaren Kriegs, Prinz Leopold von Hohenzollern; Herzog Eugen von Württemberg, ein graubärtiger ritterlicher Herr mit einem Paar kühner dunkler Augen hinter den Brillengläsern; der blonde jugendliche Thronfolger desselben Königreichs, Prinz Wilhelm; der Erb-Großherzog von Sachsen-Weimar in Husarentracht; der von Strelitz in preußischer Infanterie-Uniform, neben ihm sein hochgewachsener Begleiter Oberst v. Gagern; Fürst Putbus mit der rothen Kreuzesbinde der Johanniter am Arm, Graf von Frankenberg, und Major v. Knesebeck desgleichen, letzterer in gewisser Entfernung von dem schlank und straff im Sattel sitzenden General v. Herkt, dessen Erscheinung eine durch die gleiche Landwehrkürassieruniform noch unterstützte Aehnlichkeit mit der des Grafen Bismarck zeigt; die jüngeren persönlichen Begleiter des Kronprinzen, Rittmeister v. Schleinitz, der ihm im letzten Winter in den Orient folgte, und der Kammerherr Graf Seckendorf, ein nicht blos hochgebildeter, sondern auch künstlerisch auf’s Glücklichste begabter Officier, der während des abyssinischen Feldzugs dem britischen Hauptquartier attachirt war.

Hier wird England seinerseits vertreten durch den Militärbevollmächtigten Oberst Walker, einen hochgewachsenen frischen rüstigen Herrn mit grauen Bartcoteletten, goldgeränderter blauer Mütze und rother englischer Husarentracht, geborener Cavallerist und erfahrener Zeuge von bereits fünf großen Kriegen unserer Zeit. Württemberg wird durch den Militärbevollmächtigten Oberst v. Fabre-Dufour, die herrlichste Mannesgestalt in jener über Alles kleidsamen württembergischen Officiertracht; Baiern durch den schlanken Major v. Freyberg als Militärbevollmächtigten, außerdem durch General v. Bothmer, Graf Xylander, Freiherrn v. Godin vertreten.

Es würde zuviel, sie alle aufzuzählen, die Ordonnanz-, die Generalstabs-, Ingenieur-, Artillerie-, Husarenofficiere, alle jene verwegenen, unermüdlichen schneidigen Cavaliere, die Hoffnung der preußischen Armee: Lieutenant v. Blumenthal, der kluge feine Sohn des Generals (von den Frankfurter Dragonern), Major v. Hahnke, der Recognoscirer par excellence, mit den merkwürdigen tiefen dunkelblauen Augen unter den dichten schwarzen Brauen, ein Charakterkopf, den man nie wieder vergißt, Rittmeister v. d. Lancken, Hauptmann Lenke, Hauptmann v. Carnatz, Lieutenant v. Delbrück, v. Bronsart, Lieutenant v. Gustadt, v. Mutius, v. Sommerfeld, Hauptmann Bosse, Graf Harrach, der berühmte Maler, der in solcher Zeit und solcher Pflichtübung, wie die eines Ordonnanzofficiers (erstes Garde-Landwehrkürassierregiment) ist, doch noch Augenblicke findet, sein außerordentliches Talent in mancher Meisterzeichnung und Aquarelle aus der gewaltigen und mannigfachen Wirklichkeit um ihn her zu bethätigen. Eine der für ein Malerauge erquicklichsten unter diesen Reitergestalten aber giebt, wenn er sich dieser glänzenden Gesellschaft einmal zu Pferde anschließt, der Generalarzt Dr. Wilms. Das unvergleichlich edel, groß und fein geschnittene Antlitz dieses um Menschenwohl so hoch verdienten Meisters ist durch die Photographie allbekannt. Die Aehnlichkeit mit dem ersten Napoleon in seiner Consulperiode ist überraschend. Wenn Wilms aber so auf seinem Schimmel neben uns dahinreitet, wird sie, abgesehen von der Uniform, bis zur Illusion vollständig.

Viel von seinem Glanze verliert natürlich dieser brillante Reitertrupp, welchem sich nach den Armeegensd’armen und Ordonnanzen unmittelbar die lange Reihe der bepackten Handpferde mit ihren berittenen Geleitern (sämmtlich mit Schleppsäbeln bewaffnete Lakaien, Stallknechte oder Soldaten) anschließen, wenn statt des sommerlichen lachenden Morgensonnenscheins, wie er so häufig auf der reichen wechselvollen Landschaft um uns her lag, der auch nicht eben seltene Regen dicht eindringend ohne Aufhören niederströmt. Dann birgt sich all’ das lustige und farbige Schimmern und Blitzen unter der schwarzen wie polirtes Gußeisen glänzenden Hülle der langen, bis fast zu den Füßen niederreichenden Gummiregenmäntel und Kapuzenröcke. Ja der Kreis wird, wenn das Unwetter gar zu stark und unerträglich anwährt, auch wohl gelichtet, indem mancher hohe Herr es dann doch vorzieht, statt ihm im Sattel auf kothiger Landstraße zu trotzen, Zuflucht davor unter dem Verdeck und hinter dem Spritzleder seines für ihn immer bereiten Wagens zu suchen.

Wie lang auch der vorgeschriebene Marsch des Lagers sein möge, ob man ihn zu Pferde, ob als Angehöriger oder gastlich eingeladener Beisitzer eines der Wagen mitmache – es ist immer dafür gesorgt, daß die Zeit schnell und angenehm verstreicht. Die umgebende Landschaft, all’ diese hübschen in Parks und Gärten halb verborgenen koketten Villen, die gothischen Kirchen, alterthümliche Schlösser, an denen diese Departements so reich sind, die herrlichen Weinberge, die schattigen sonnendurchblitzten Wälder, die wohlgehaltenen Canäle, die weiten Fernsichten von der Höhe der wiederholt schroff aufsteigenden Landstraße und all’ das bedeutsame und großartige kriegerische Leben, das die ländliche Arbeit in den Feldern, den friedlichen Verkehr in Städtchen, Dörfern und auf den Chausseen abgelöst hat, all’ jene endlosen Wagen- und Truppenzüge, die sich auf allen Straßen neben uns, und so weit das Auge reicht, langsam, aber unaufhaltsam vorwärts wälzen (nur die Schienenstraßen stehen verödet und die Bahnhöfe verlassen), die Bivouacs auf den Feldern am Wege, wo die Soldaten vom Lager unter den Laubhütten oder von den Feuern aufspringen und zur Chaussee heraneilen, um den Prinzen mit ihren Hurrahs zu begrüßen – all’ diese tausend wechselnden Bilder geben unerschöpflichen, immer interessanten Stoff der Betrachtung, stets neu, stets eigenthümlich von allem sonst Gewohnten abweichend, in welcher Beleuchtung, in welchem Wetter sie sich auch zeigen mögen.

Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, deren Zeuge man gewesen, wie diejenigen, dere Erfüllung man von der nächsten Zukunft erwartet, die Erinnerungen aus der fernen Heimath, die man verlassen, die Persönlichkeiten, zwischen denen man lebt, die kleine oft ziemlich pikante Chronik des Quartiers bilden ebenso viele Gegenstände des unterhaltendsten Geplauders mit den Mitreitern oder Wagennachbarn, Intendanten, Officieren, Aerzten etc. Und diese stete Bewegung in frlscher freier Luft reizt so wohlthuend „die Begier nach dem Mahl“; Jeder scheint jeder Zeit mit dem besten Appetit gesegnet zu sein. Kaum ist die erste Stunde der Fahrt oder des Ritts vorüber, so fängt Einer oder der Andere an, in den Sattel. oder Wagentaschen zu suchen. Keiner ist ganz, ohne weise Vorsorge zu treffen, aus dem Quartier der letzten Nacht geschieden; denn Jeder wußte, daß er unterwegs auf keine gastliche Stätte rechnen durfte, die den durstigen oder hungrigen Wanderer labe. Hier erscheint eine Flasche trefflichen Cognacs, dort eine guten Rothweins, hier ein paar harte Eier, dort Brod und Speck. Quantitäten feuriger Flüssigkeit, die sonst ihren Mann sofort umwerfen würden, lernen auch zarte Naturen in sich aufnehmen ohne irgend andere als nur munter erhöhende, wärmende, erfrischende Wirkungen. Die gegenseitige Gastlichkeit ist unbegrenzt, und die vielgeplagten vorbeijagenden Armeegensd’armen dürfen sich ebensowenig über einen Mangel an derselben von Seiten der Wageninsassen beklagen. Oft geht der ganze Zug stundenlang nur im Schritt: zum Beispiel, wenn der Prinz in solcher Gangart der voraufmarschirenden Infanterie-Escorte folgte. Aber das wird den Reitern bald langweilig und ermüdend. Plötzlich sieht man über das Verdeck der Vorwagen weit vorn die schwarzweißen Fähnlein an den Lanzenspitzen der Ulanen sich schneller flatternd bewegen, und die ganze Cavalcade setzt sich in Trab, rasselnd gefolgt von der Mannschaft der Handpferde, die Wagen im scharfen Jagen hinterher, daß die weißen Staubwolken Alles verhüllend aufwirbeln, oder der nasse Koth des vom Regen erweichten Weges bis in die Gesichter der Wageninsassen sprüht und spritzt.

Ungefähr um die Mitte des Tagemarsches ertönt der von Wagen zu Wagen fortgepflanzte Ruf: „Rendezvous!“ und Alles hält wie angewurzelt. An irgend einem wohlausgewählten geschützten Platze, auf einer Wiese am hohen Chausseedamme, in einem lustigen Wäldchen am Wege hat der Hofmarschall oder der Kronprinz persönlich den Frühstücksplatz ausgewählt. Die Herren der Hauptquartiers sind von den Pferden abgestiegen, lagern oder stehen im Schatten der sonnendurchschimmerten grünen Wipfel, oder auch unbekümmert und ungeschützt im niederströmenden Regen, die Feldflaschen kreisen, man bietet und nimmt Brod, Chocolade, kalte Hühner. Hier erschallt lautes Lachen über irgend ein gutes Bonmot, zu dem ein aufgefundenes Pariser Journal Veranlassung gegeben hat; dort stehen andere Gruppen ernst prüfend über

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_838.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)