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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

ganze Sache übechaupt nicht auffällig zu machen, hatte man die luxemburgischen Aerzte ihm beigegeben, unter ihrer Allgemeinheit sollte seine Besonderheit verschwinden, aber wie sich Achilles unter den Töchtern des Lykomedes verrieth, so der Mann des Schwertes unter den Männern der Lancette.

Welches aber war der Zweck dieser trotz der erwähnten Broschüre und angeblichen Enthüllungen derselben noch immer geheimnißvollen Entführung des Generals Bourbaki? Die Anhaltepunkte des genannten Schriftstückes sind ungenügend, die Motive unklar. Nach den von Herrn Reignier gemachten Mittheilungen hat er die Mission auf eigenen Antrieb unternommen. Graf Bismarck ist aber nicht der Mann, welcher dem ersten besten Privatmann, den die unbezwingbare Lust, Politik zu treiben, anwandelt, Gehör schenkt, noch weniger einen Geleitschein und jedenfalls eine Vollmacht giebt. Der Betreffende muß mit seiner ganzen Persönlichkeit auf einer sehr festen, solidarischen gesellschaftlichen Basis fußen, er muß schon sehr gewichtige und sichere Anhaltepunkte bieten, um ein solches Vertrauen zu verdienen und zu rechtfertigen. Wie aus den Mittheilungen sonst gut unterrichteter englischer Blätter verlautet, sei dagegen die Kaiserin der ganzen Intrigue fremd und sehr erstaunt gewesen, als sich der General Bourbaki bei ihr melden ließ, während diesem und dem Marschall Bazaine von dem Unterhändler Herrn Reignier doch versichert worden sei, daß die Gemahlin Napoleon’s des Dritten einen der Generale von Metz zu sehen wünsche. Wo ist in diesem Gemenge und Gewirre von Möglichkeiten, Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüchen die Wahrheit? Jedenfalls beim Grafen Bismarck.

Nach meiner Auffassung hat Reignier scheinbar aus eigenem Antrieb, factisch aber im Auftrag der bonapartistischen Emigration in London, der Mitglieder der Regentschaft der Kaiserin und im Einverständniß mit dieser selbst, sich in das große Hauptquartier begeben, nachdem man dessen Geneigtheit kannte, zum Zwecke von Friedensverhandlungen mit demjenigen Regierungskörper wieder anzuknüpfen, mit dem man abgebrochen hatte, nämlich mit der Regentschaft der Kaiserin. Dabei bleibt die Annahme gar nicht ausgeschlossen, daß die Kaiserin, ehe sie auf die Vorschläge der bonapartistischen Emigration einging, den Rath eines der dem Kaiser ergebensten Generale hören wollte, und als solcher galt von jeher der Commandeur der kaiserlichen Garde, General Bourbaki, der mit Bazaine in Metz eingeschlossen war. Durch ihn aber wird die Kaiserin die Abtretung von Elsaß und Lothringen als eine der wesentlichsten Friedensbedingungen kennen gelernt haben, und es bedurfte gar nicht erst des militärischen Rathgebers, um ihr zu sagen, daß, wer für Frankreich einen solchen Frieden unterzeichne, für Frankreich auch verloren sei. Erst dann mag man sich veranlaßt gesehen haben, der Sache für die Oeffentlichkeit eine Wendung zu geben, nach welcher die Kaiserin diese ganze Fügung der Dinge von sich abgewiesen hätte und ihr vollständig fremd gewesen wäre.

General Bourbaki hatte nach seiner politischen Odyssee nach Metz zurückkehren wollen und ein darauf bezügliches Gesuch, wie man hört, von Luxemburg aus an das Obercommando der zweiten Armee gerichtet. Ehe dies jedoch beantwortet war, reiste Bourbaki nach Brüssel ab. Von da hat er sich bekanntlich nach Tours begeben und der Republik zur Verfügung gestellt. Unter ihr bildete er die Armee von Lille, deren Commando er allerdings bald wieder abgab, doch wohl nur, um später ein anderes Corps zu übernehmen.

Einen Tag nach dem Erscheinen der luxemburgischen Aerzte in Corny, an einem herrlichen Sonntagmorgen voll Wärme und Sonnenschein, fuhr ich nach Toul; die Festung war zwei Tage vorher, am Dreiundzwanzigsten, gefallen, und ich wollte mir das Aufathmen einer seit acht Wochen eingeschlossenen und durch die Capitulation befreiten Stadt ansehen. Auf dem Bahnhofe von Pont à Mousson herrschte das lauteste lebendigste Treiben und trotz aller Mühsale und alles Elends des Kriegs die heiterste Sonntagslaune. In allen deutschen Mundarten frugen die Schaffner die Coupés ab, ob „Niemand Neues“ vorher eingestiegen sei – da ließen sich französische Laute vernehmen, der Schaffner des Waggons, in welchem ich saß, hatte das Coupé bereits geschlossen, riß jetzt aber die Thür desselben noch einmal auf, um noch einen Passagier einsteigen zu lassen. Wer war dieser? Der graue Mann aus Corny, damals immer noch der angebliche Bruder Jules Favre’s. Er fuhr mit mir bis nach Frouard; er sagte mir, daß er an diesem Tage nur bis Nancy gehe. Wohl war die Unterhaltung ziemlich einseitig; er schien nicht Lust zu haben, eine solche anzuknüpfen und ich wollte keine solche erzwingen. Seine Geheimnisse hätte er mir doch nicht offenbart. Im Laufe der Fahrt nahm er ein kleines altes Buch heraus, das mir eine Miniaturausgabe eines französischen Classikers zu sein schien, und chiffrirte. Im Uebrigen hatte der Mann gar nicht das Aussehen eines Abenteurers; sein Auzug war gewählt, ohne gesucht zu sein, seine Manieren die besten, sein Französisch das vollendetste.

Das war der Ausgang der ersten Unterhandlung. Um jeden Preis wollte der Marschall Bazaine einem Schicksal ähnlich dem von Sedan entgehen; vielleicht hätte er doch noch einen gewaltsamen Durchbruch versucht, wenn ihm unsere wirkliche Truppenstärke um Metz bekannt gewesen wäre, so aber hatte er dieselbe, wie sich später herausstellte, um die Hälfte zu hoch taxirt. Was er durch Gewalt nicht erreichen konnte, konnte ihm vielleicht auf dem Wege diplomatischer Vereinbarung gelingen. Ich habe den Marschall Bazaine am Nachmittag des 29. October in Corny gesehen, er kam unter strömendem Regen mit seinem Stabe in den Schloßhof geritten und schwang sich trotz seiner Jahre und seiner Corpulenz leicht und elastisch aus dem Sattel; ein Officier des Prinzen Friedrich Karl kam ihm entgegen, um ihn nach den Gemächern des hohen Herrn zu führen. Während der Beauftragte mit ihm sprach, hatte ich Gelegenheit, mir den „Kaiser von Metz“ so recht in nächster Nähe anzusehen und dabei bekam ich durch ihn weniger den Eindruck eines Feldherrn als den eines Condottiere des römischen Mittelalters. Alles an dieser festen, gedrungenen Gestalt, mit den rapiden, entschlossenen Bewegungen, mit diesem kurzgeschorenen Kopfe, mit der wie aus Eisen gegossenen Stirn, mit diesen dunklen glühenden und verschlagenen Augen, alles das deutete auf einen Charakter, der sich mit seinem Rechte auf sich selber stellt, der den Erfolg über die Mittel setzt, und sich und seine selbstbestimmende Kraft als den Anfang und das Ende der Dinge betrachtet. Einer solchen Natur muß es eine unerträgliche Pein und Marter sein, ein Schicksal wie eine unerbittliche Nothwendigkeit sich nahen zu sehen, anstatt dasselbe durch eigene Machtvollkommenheit zu bestimmen, ein Gefangener zu sein, wo er als Gebieter auftreten, wo er mit seiner Armee die künftigen Schicksale Frankreichs leiten, der Regent des künftigen Regenten sein konnte. Darum seine neuen Anerbietungen im Hauptquartier von Versailles durch den General Boyer; er wollte seine Armee derjenigen Regierung zur Verfügung stellen, die der herrschenden Anarchie ein Ende machen würde, er wollte sich mit derselben in irgend einen Theil von Frankreich zurückziehen und so lange mit derselben eine passive Haltung bewahren, bis der Friede hergestellt sei. „Ja, die Armee – gut – aber die Festung Metz? Wird diese zugleich übergeben werden?“ mag General v. Moltke gefragt haben. „Ohne die Festung können wir es einmal nicht thun.“ Darauf ein achselzuckendes Schweigen des Generals Boyer und die Relais zurück bis Nantreuil und von da die Locomotive bis Ars sur Moselle wurden für den Unterhändler ohne Resultat bestellt.

Etwa zehn Tage später schickte der Marschall wieder einen Brief an den preußischen Oberbefehlshaber und einige Stunden darauf hielt ein Wagen vor der Freitreppe, die zu den Gemächern des Prinzen Friedrich Karl führt; zwei preußische Officiere stiegen aus und halfen einem Greise in der Uniform der französischen Generale aus dem Wagen. In seinen blauen Capottenmantel gehüllt stieg derselbe langsam die Stufen hinauf, scheinbar ruhiger, als er wirklich war; man sah ihm an, er wollte nicht bemerken lassen, wie die Kniee unter ihm zitterten. Man meldete dem Prinzen den General Chaugarnier. Der preußische Oberbefehlshaber kam dem greisen Helden mit den Anzeichen der höchsten Verehrung entgegen, die Thüren schlossen sich hinter den Beiden nach einer halben Stunde öffneten sich dieselben wieder. Der Abschied des preußischen Feldherrn von dem berühmtesten militärischen Manne Frankreichs war wahrhaft herzlich, General v. Stiehle geleitete ihn entblößten Hauptes die Treppe hinab, Alles beugte sich in Achtung vor ihm und er selbst war am meisten gebeugt. Ein tragisches Schicksal hatte dieses greise Haupt getroffen, über welches die Kugeln und die Donner so und so vieler. ruhmvollen Schlachten dahingesaust waren; in der Stunde der Gefahr hatte er seinen vielbewährten Degen, der allein eine Armee werth war, zur Verfügung gestellt, nicht dem Kaiser, nicht den Napoleoniden, nur dem Vaterlande, für das er stets gekämpft und gesiegt hatte, und nun ward er bestimmt, mit dem Zauber der Gewalt seines ruhmvollen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_843.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)