Seite:Die Gartenlaube (1870) 846.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Namens für die Fehler und die Sünden des Kaiserreiches, von dem er sich von je in Thaten, Worten und Gesinnung abgewendet hatte, bessere Bedingungen zu erlangen. „O, der Prinz,“ äußerte er sich einige Tage später, „war so zart, so rücksichtsvoll! Welch nobles Herz – aber auch welch eiserner Wille! Die Armee und die Festung! war sein Wort; daran hielt er fest, trotz meiner Bemühungen, ihn von dieser Forderung abzubringen, und dabei war er mild und gut, wie ein Sohn gegen einen Vater. O, dieser Gang! Es war der schwerste in meinem ganzen Leben, schwerer als Alles; ich weiß, daß der Tod gegen ihn mir ein Leichtes sein wird.“

Auf der Straße von Corny nach Metz, rechts ab von der Ferme Tournebride; etwa tausend Schritte von derselben entfernt, blickt zwischen hohen Baumgruppen ein stattliches Schloßgebäude hervor, das Schloß von Frescaty. Ein schnurgerader Weg führt dahin, derselbe ist in der Nähe des Schlosses rechts und links von dichtem Laubholz eingefaßt; der Herbst hat dasselbe mit feinen glühenden Farben gemalt. Links kommt man an das Eingangsthor zu einem Parke, an dasselbe stößt ein Wärterhaus, nach dem Inwohner sucht man jedoch vergebens; nur hohle Fensteröffnungen starren Einem entgegen, die Fensterkreuze, die Thüren sind ausgebrochen, die Wände sind halbe Ruinen. Ein gerader Parkweg führt nach dem Schlosse. Wie herrlich mußte sich’s im heißen Sommer hier wandeln, als noch alte hohe Bäume diesen Weg beschatteten, Bäume, von denen man nur noch die mächtigen abgehauenen Strünke rechts und links erblickt! Ein Menschenalter und mehr noch ist in diesem Parke verwüstet. Diesem Bilde der Zerstörung entspricht auch das Schloß. Ein stattliches Gebäude, zwei Stockwerke hoch mit einem Schieferdache; seitwärts liegen die Wirthschaftsgebäude, vor demselben mag einstmals ein sorgsames Blumenparterre der Gegenstand der Freude und der Pflege des Besitzers gewesen sein, jetzt sieht man nur noch glatt niedergetretenen Boden. Das Vestibul des Gebäudes ist nicht so luxuriös, als man es in modernen Schlössern Frankreichs findet, aber die Reste, die man von der Decoration der Wände noch sieht, deuten an, daß es auf die Wohnlichkeit und Behaglichkeit der übrigen Räume schließen ließ. Vom Vestibul tritt man zu ebener Erde in ein ziemlich großes Gemach; jedenfalls war dasselbe ein Empfangssalon, von der ursprüglichen Einrichtung sind nur noch die Tapeten und die Lambrequins an den Fenstern übrig. Links von diesem Salon liegt ein kleinerer; hier ist es schon behaglicher; hier ist die ganze Einrichtung noch vorhanden; die Sophas, die Portièren, die Gardinen sind von türkischem Stoffe, auf dem Kamin, auf einem Spiegeltisch liegen Bücher, vorzugsweise englische, und auch Albums.

Aus einem derselben, das zu Photographien bestimmt war, sind dieselben herausgenommen; dafür aber befindet sich ein um so werthvolleres Zeugniß darin, das geschriebene Zeugniß eines preußischen Jägerofficiers, bekundend, daß er der erste Preuße war, der mit seiner Truppe hier einzog, und Alles bereits in dem verwüsteten Zustande vorgefunden habe; in welchem man es gegenwärtig sehe. In der Mitte dieses Schirms erhebt sich ein halbrunder Tisch von polirtem Ebenholz, um diesen sitzen auf Sesseln und Fauteuils fünf Officiere, an der Fensterseite General v. Stiehle und Hauptmann Steffen, ersterer als der Bevollmächtigte des preußischen Oberbefehlshabers leitet die Verhandlungen, letzterer führt das Protokoll; an der Wandseite gegenüber haben die Franzosen Platz genommen, der Bevollmächtigte Bazaine’s, General Jarras, neben ihm Oberst Fay, der dritte, Major Samuel, lehnt am Kamin. Die Gardinen sind zugezogen, die Lichter angezündet, es ist Ende October, heute der 27., die Nächte fangen früh an.

Es ist die zweite Zusammenkunft, die zwischen diesen Herren hier stattfindet; die erste hatte hier General v. Stiehle am 25. Nachmittags, aber nicht mit den Anwesenden, sondern mit dem General Cissey, der für den Marschall die Bedingungen der Capitulation in Empfang nahm. In dem General Cissey nahte dem Marschall das Schicksal, dessen eisernem Arme er seit siebzig Tagen sich zu entwinden bemüht war, in ihm nahte sich die Nemesis, und vielleicht tauchte in dem Augenblicke, wo er die Bedingungen der Ergebung empfing, Menschen und Zeiten jenseits des Oceans vor ihm auf, vielleicht flüsterte ihm etwas in das Ohr und in die erschreckte Seele: Metz für Mexico. Aber die Bedingungen, Armee und Festung zu übergebe, sind hart. Noch suchte er Schwierigkeiten zu erheben, trotzdem der Hunger überall die Zähne fletschte und aus den hohlen Augen stierte; in den Zelten lagen, stöhnend nach Nahrung, von Fieber geschüttelt, die Soldaten, ein Bild des Grauens und Entsetzens, und noch schrecklicher war der Anblick der Pferde, sie hatten sich bei lebendigem Leibe angefressen. Vielleicht war aber doch noch eine Möglichkeit vorhanden, diesen Bedingungen zu entgehen. Wenn man mit der Armee noch einen letzten verzweifelten Versuch machte! Was der planvollsten Ueberlegung oft nicht gelingt; kann vielleicht dem bis zum Aeußersten, bis zur Grenze des Wahnsinns angespannten Willen gelingen. Womit aber diesen Versuch machen? Mit der Armee? Da mußte der Marschall eine Kunde vernehmen, die alle weitere Widerstandsgedanken in ihm lähmen mußte, die ihm entsetzlicher klangt, als vielleicht die Meldung von der letzten Tagesportion, die Nachricht, daß in der Armee, namentlich unter den Ingenieur- und Artillerie-Officieren eine Verschwörung gegen die Generale bestände, daß dieselben sämmtlich am 29. October Mittags verhaftet werden sollten. Da hatte es für ihn kein Zögern, kein Bedenken mehr gegeben, und jetzt - die Uhr zeigt auf acht - tauchen die Generale v. Stiehle und Jarras die Federn in das Tintenfaß, ein Federzug - die Capitulation von Metz ist unterzeichnet, die Bevollmächtigten reichen sich gegenseitig die Actenstücke und fünf Minuten danach sprengt ein Ordonnanzofficier, der im anstoßenden Salon die Wache gehabt, durch den Park und die Straße nach Corny entlang – er bringt dem Prinzen Friedrich Karl die Nachricht: Metz ist über!




Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)


Saltenowen und Hermersdorff waren nicht ohne vornehme Nachbarschaft. Drüben im Walde, in dem Exile verbannter Geister und Götter, stand auf einem Hügel ein altes verwittertes Jagdschloß, mit seinen spitzen Thürmchen die spitzen Wipfel der Tannen überragend. Der See warf sein Bild inmitten der düsteren Schatten, die es umlagerten, unsicher und verschwommen zurück, man glaubte die auf seinem Grunde versunkene Stadt aus der Tiefe aufragen zu sehen, und das Volk hier glaubte es auch, denn der Haasznensee ist tückisch und hat schon manchen Baum und manche Deichhütte vom Ufer hinabgespült. Das alte Schloß Schornkehmen im Walde war so still und todt wie sein Spiegelbild in der Fluth. Es war von grauer Vorzeit her im Privatbesitz der Fürsten von D. und den Grafen Schorn zu Lehen gegeben. Dort lebte der Senior der Familie, der stolze Graf Friedrich Schorn, ein wunderlicher Junggeselle, abgewendet der Welt und den Menschen. Er war immer ein Sonderling gewesen, aber seit sein Bruder Egon, den er mehr als Alles auf der Welt liebte, schimpflich aus dem Johanniterorden ausgestoßen worden, hatte er sich ganz zum Einsiedler gemacht.

Unkraut wuchs auf der Schwelle des Hauses. Die Spinnen woben ihre Netze, die Waldmeister ihre Zauberreihen um die Pforte und die Wetterfahne krächzte mit den Raben dem Einsiedler ein trauriges Schlummerlied. Jenseits des Sees und des Lykflusses lagen die Schorn’schen Ländereien, ein großes Areal; sie wurden von armen Pächtern bewirthschaftet, denn der alte Herr mochte sich nicht mehr darum kümmern; er mußte dabei zu viel unter Menschen stehen. Er hatte einen Verwalter, dem er Alles anvertraute. Es war ein Schweizer mit Namen Schmetthorn, mehr wußte Niemand von ihm. Nur wenn er betrunken war, prahlte er bisweilen geheimnißvoll: „Wenn ich nicht wäre - da stünde es schlimm um des Grafen Bruder,“ woraus die Leute schlossen, daß er diesem einst einen großen Dienst geleistet und nun dafür mit Amt und Würden belohnt ward. –

Dieser Schmetthorn war schon Feldheim von je ein Dorn im

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_846.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)