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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Der große Frankenheld, dessen Erzbild heute den Platz vor dem alten Rathhause zu Aachen schmückt, schlummert nun auch in der alten Kaisergruft, im Tode mit seiner geliebten Fastrade auf’s Neue vereint. Der Zauberring der schönen Kaiserin aber bewährt noch heute, nach mehr als tausend Jahren seine alte Kraft: Wie einst der alte Kaiser, so möchte man auch noch heute unter den schattigen Bäumen an dem See ruhen, wo sich so schön träumen läßt, und in die Fluthen hinabschauen, in denen das Kleinod versenkt ist, während die rauschenden Bäume und das flüsternde Schilf und die nickenden Wasserrosen uns alte Geschichten aus ferner Zeit erzählen.

Doch nicht allzu lange mehr wird es dauern, und der Zauber wird gebrochen sein. Die frische, duftende Wiese, der rauschende, schattige Wald, der stille, geheimnißvolle See und die alte Kaiserburg darin, sie werden, wie so manches andere Stück alter Romantik dem zerstörenden Geiste der Zeit erliegen. „Wohnungsnoth“ heißt das arge Zauberwort, welches hier einem tausendjährigen Heiligthume mit Vernichtung droht. Schon hat eine Actiengesellschaft dieses schöne Fleckchen Erde angekauft, um ein neues Stadtviertel darauf zu errichten. Noch wenige Jahre und wo heute der Fuß des Wanderers über den weichen Wiesenteppich oder unter schattigen Bäumen dahin schreitet, wird eine von abgetriebenen Pferden gezogene Droschke über das Straßenpflaster rumpeln. In der Fluth, die den Zauberring birgt, wird man dann vielleicht die Wäsche reinigen, während die alte Kaiserburg längst zu einer Restauration umgewandelt worden ist, wenn man sie nicht bis dahin etwa ganz abgebrochen und ihre Steine zu einem Neubau benutzt haben wird.

„So ist die Welt. Das schöne, würd’ge Alte,
Es stürzt im Lauf der flücht’gen Zeit
Und die Cultur, die rechnende, die kalte,
Baut rastlos fort auf der Vergangenheit.“

Rudolf Scipio.




Follen, Sand und Löning.


Neues Licht in altes Dunkel, aus den Erinnerungen von Friedrich Münch in Missouri.


Vorbemerkung der Redaction. Zu den Partien unserer Geschichte, welche der Aufklärung noch ganz besonders bedürfen, gehören die Zeiten der sogenannten demagogischen Umtriebe und Verfolgungen. Die Schuld an so mancher ungerechtfertigten Behauptung, welche noch heute in dieser Hinsicht ein Geschichtsschreiber vom andern auf Treue und Glauben annimmt, ruht auf einer doppelten Verschlossenheit: der der Archive, die zum Theil vielleicht aus Schamhaftigkeit zugehalten wurden, und der der zumeist betheiligten Menschen. Wer aber von all den Verhörten, Verurtheilten, Vertriebenen oder nach jahrelanger Haft Begnadigten hätte sein Erlebtes von damals aufdecken sollen? Alle, die in Deutschland blieben, waren mundtodt; dafür hatte Metternich durch die Karlsbader Beschlüsse und den deutschen Bundestag bestens gesorgt. Ehe in Deutschland die Preßverhältnisse nach zwei Volks- und zwei Fürstenerhebungen so weit vorgeschritten waren, daß die Wahrheit aus jener Zeit gedruckt werden konnte, ohne durch den Inhalt die Veröffentlicher in Strafe zu bringen, waren von den Betheiligten die meisten alt und morsch geworden, im Staatsdienste ergraut, in der Fremde verkommen oder gestorben; jenen Lebenden verging die Lust am öffentlichen Auftreten, und die Todten sind still.

Nur Wenige im sichern Auslande, wie Arnold Ruge, konnten mit der Wahrheit an den Tag treten; Andere machten sie versöhnlicher durch ein poetisches Gewand, wie Fritz Reuter, und wieder Andere, und vielleicht nicht Wenige, legten sie in einer „Hauschronik“ nieder, wie der Friedländer Niemann, der Wartburgfestredner von 1817. Viel Klarheit kann noch geschöpft werden, wenn diese reinen Quellen sich eröffnen. Und eine dieser Quellen ist’s, aus welcher wir das Nachfolgende mittheilen.

Ein Vielgenannter und ein Raschvergessener werden noch einmal an das Licht gezogen, Sand und Löning. Beide galten bis jetzt für junge überspannte Leute, „die aus eigener Bewegung und nicht, wie fälschlich behauptet worden, von einer patriotischen Vehme dazu bestellt, das Amt von Blutrichtern übernahmen.“ So behaupteten unsere Geschichtsschreiber. Und doch beweist ein Zeitgenosse jener beiden Opfern einer unglücklichen Zeit jetzt das Gegentheil.

Friedrich Münch, in den ersten dreißiger Jahren viel genannt als mit Paul Follen an der Spitze der nun auch vergessenen „Gießener Auswanderungsgesellschaft“ stehend, hat seinem dreiundsiebenzigjährigen Kopf noch die Aufgabe gestellt, seine und seiner nächsten Freunde und hessischen Landsleute Vergangenheit zu erzählen; er gestattete uns vor dem so eben beginnenden Druck Einsicht in das Manuscript und beliebige Benutzung desselben.[1] Münch war in Gießen Studiengenosse der drei sämmtlich sehr begabten Brüder Follen und in innigster Freundschaft namentlich mit Karl und Paul verbunden; er war auch Mitglied des von Karl gestifteten „Bundes der Schwarzen“, einer ursprünglich studentischen, später auch Männer-Verbindung mit rothester politischer Färbung. Solche Freunde, wie Münch und Follen, hatten kein Geheimniß vor einander, und darum ist es ganz natürlich, daß Münch über die verhängnißvollste Periode von Karl Follen’s Leben besser unterrichtet ist, als dessen Wittwe, welche eine außerdem höchst schätzenswerthe Lebensbeschreibung ihres Gatten in englischer Sprache veröffentlicht hat.

Ueber Karl Follen’s Leben und Wesen giebt Münch uns ein in vieler Beziehung neues und wahrhaft prächtiges Bild. Wir sehen ihn als Knaben im Vaterhaus, dann zu frühzeitiger Selbstständigkeit des Charakters herangereift, als freiwilligen Jäger mit den Hessen in den Befreiungskrieg ziehen, dann, heimgekehrt, den Ernst der Zeit in das Studentenleben übertragen und den Bund der Schwarzen gründen. Als Privatdocent der Rechte in Gießen fesselt er ebenso durch seine Persönlichkeit, wie seine politischen Lehren Staunen, Begeisterung und Grauen erwecken. So steht er auch in Jena da, bis die Folgen von Sand’s That ihn vertreiben. Dann als Flüchtling herumgehetzt in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, siedelt er schließlich nach Amerika über, wirkt dort als Lehrer und Redner Außerordentliches und findet endlich (1840) bei einer Dampfschiffexplosion zwischen New-York und Boston seinen Tod in den Wellen.

Hier theilen wir aus Münch’s Manuscripte ausschließlich diejenigen Stellen mit, welche den innigen Zusammenhang von Karl Follen’s Lehren mit Sand’s und Löning’s Thaten darthun. Gestehen wollen wir aber und ganz besonders betonen, daß unsere jetzt so gesicherten und gefestigten vaterländischen Zustände dazu gehören, um solche Mittheilungen ohne Bedenken in einen Leserkreis zu bringen, wie er die „Gartenlaube“ gegenwärtig ehrt; heute weiß Jedermann, daß man solche „Grundsätze“ nicht in dieser Weise darlegt, blos um sie unter die Leute zu bringen, sondern daß man es für seine Pflicht hält, sie an das Licht zu ziehen, weil nur dadurch Wahrheit in die noch vielfach gefälschte Geschichte unseres Volkes gebracht werden kann.

Eine solche Fälschung hat die Geschichte dem Urtheil der Demagogenrichter nachgesprochen, welche für Sand’s That die deutsche Burschenschaft verantwortlich machen wollte. Trotzdem in den (weiter unten in der Anmerkung genannten) bezüglichen Schriften der Brüder Keil schon 1858 und 1865 die Beziehungen Follen’s zur Burschenschaft auf das Klarste dargelegt sind, müssen wir doch in dem siebzehnten Bande der weitverbreiteten Becker’schen Weltgeschichte (gedruckt 1867) lesen: daß „einzelne Führer (der Burschenschaft), wie z. B. der damalige Privatdocent und Doctor der Rechte Karl Follenius, der bei Gründung der Burschenschaft und auf der Wartburg besonders hervorgetreten, einen unbegrenzten Einfluß auf ihre jugendlichen Genossen ausgeübt hätten“. Nun hat zwar Follen an der Gründung der Burschenschaft in Jena gar keinen

  1. Das Werk erscheint in den nächsten Wochen und unter dem Titel: „Erinnerungen aus der Zeit der ersten Anfänge von Deutschlands Wiedergeburt“, enthaltend die Biographien von Karl und Paul Follen und die Selbstbiographie Fr. Münch’s. Neustadt an der Haardt, Verlag der Witter-Gottschick’schen Buchhandlung. Mit den Bildnissen von Karl Follen und Münch. Dasselbe bedarf wohl nach unserer Mittheilung daraus keiner weiteren Empfehlung.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_722.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2018)