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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Mittheilungen. Mögen diese Darstellungen wenigstens den Nutzen haben, selbstsüchtige Seelen, die im Hinblick auf einen künftigen Revanchekrieg mit Frankreich vielleicht schon jetzt an eine erbärmliche, vaterlandslose Neutralität denken, darüber zu belehren, daß im Jahre des Unheils 1806 dieselbe Neutralität unserem Fürstenthum ebenso wenig genützt hat, wie durch dasselbe Mittel genau drei Wochen nach dem Unglückstage von Greußen, am sechsten November, die freie Hansestadt Lübeck der Besetzung durch Blücher und allen Gräueln der Erstürmung durch die Franzosen entging.

Sieben schwere Jahre voll von Kriegsdrangsalen und kaum erschwinglichen Contributionen folgten der Schlacht von Jena nach. So lange brauchte damals der deutsche Michel, bis er warm wurde und mit seinen kräftigen Armen die Feinde vor sich niederschlug, und dieses Warmmachen haben die Franzosen glücklicher Weise zu allen Zeiten redlich verstanden. Welches Volk hätte auf die Dauer Zustände ertragen können, bei denen zum Beispiel meinem Großvater bei seinem damaligen Einkommen von fünfhundert Thalern in einem einzigen Jahre die Einquartierung achthundert Thaler kostete?

Aber endlich im Jahre 1813 schlug die Stunde der Erlösung. Damals erst durfte es ein Bürger unserer Stadt, den seine Zeitgenossen unter dem seltsamen Namen „Keck Meister Eberhardt“ kannten und der nicht zehn Worte zu sprechen vermochte, ohne einmal zu sagen: „Ich setze den Fall“, wagen, die auf unserem Batzenhäuschen zechenden Franzosen mit den Worten von der Bank zu schieben: „Platz da! Ich setze den Fall, Ihr geltet nichts mehr.“

Uns Sondershausenern aber verblieben noch auf lange Jahre zwei Andenken an jene schwere Zeit. Das Eine war der wackere Lecharby in Jechaburg, der sein Regiment, die französischen Chasseurs à cheval, aus irgend welchen Gründen verlassen hatte, um sich hier eine friedliche Heimath zu gründen, und der als Sergeant der fürstlichen Grenadiergarde bis zum Tode des verstorbenen Fürsten seine „Schuldigkeit“ that. Das Andere ist ein prächtiger Schimmel von bester Race, den Friedrich Wilhelm der Dritte seinem Retter nach den Befreiungskriegen schenkte. Dieser ist noch jetzt ausgestopft auf dem fürstlichen Naturaliencabinet als ein stillberedtes Erinnerungszeichen fürstlicher Hochherzigkeit und königlichen Dankes zu sehen.[1]


K. Chop.




Ehrenrettung für einen Todten.


Im Begriffe, den Jahrgang 1873 der Gartenlaube der stattlichen Reihe seiner älteren Brüder anzureihen, stoße ich bei nochmaliger Durchsicht desselben auf eine in einem fremden Artikel enthaltene, mir früher entgangene Stelle, die zur Ehrenrettung für den Angegriffenen eine Berichtigung dringend erheischt, und zwar um so mehr, als der unverdiente Angriff in einem Weltblatte, wie die Gartenlaube, und am Grabe des Angegriffenen erfolgt ist. Ich meine die in dem interessanten Aufsatze von Moritz Müller „Eine Wanderung durch die Friedhöfe Weimars“ enthaltene, auf Riemer bezügliche Stelle.

Ich kann schon dem dortigen Tadel der Riemer’schen Dichtungen als „Goethe ängstlich nachgedrechselter kalter Verse“ nicht beipflichten. Riemer, der seine erste Gedichtsammlung unter dem Titel „Blumen und Blätter von Silvio Romano“, seine späteren Dichtungen unter eigenem Namen edirte, besaß entschiedenes poetisches Talent, war Meister im sinnigen Sonett, im schwungvollen Festgedichte, im witzigen Epigramm und hat auf diesen Gebieten Vorzügliches und in so gediegener Form geleistet, daß er sich schon dadurch einen geachteten Namen in der deutschen Literatur gesichert hat. Graf Reinhard, Goethe’s Freund, sagte gewiß nicht zu viel, als er die Riemer’schen Dichtungen „talentvolle Durchführung der Eigenthümlichkeiten einer geistreichen und erheiternden Manier“ nannte. Eben dies, und in noch höherem Maße, gilt auch von den noch ungedruckten, in meinem Besitze befindlichen späteren Dichtungen Riemer’s.

Wenn aber jener Artikel über Riemer ferner sagt, daß der Letztere zu den strenggläubigsten Goethe-Anbetern gehört habe und sich sogar zu der Behauptung habe fortreißen lassen: alles Gute, was Schiller gehabt, habe er seinem Freunde Goethe listig abgeschwatzt oder gestohlen, – so muß das Andenken eines so vielfach hochverdienten Mannes, wie Riemer, gegen diese ungerechte Beschuldigung geschützt werden. Es richtet sich jene Anschuldigung gegen Riemer’s Werk „Mittheilungen über Goethe“ (1841). Ich bin weit entfernt davon, dies wahrhaft classische Werk von dem längst erhobenen Vorwurfe, daß es die Lichtseiten Goethe’s behandele und darstelle, ohne seiner Schattenseiten, seiner Mängel in gleicher Weise zu gedenken, freizusprechen; aber man darf bei dieser Beurtheilung die Veranlassung und den Zweck des Ganzen nicht außer Acht lassen.

Nachdem Riemer (geboren zu Glatz 1774) als Erzieher in der Familie Wilhelm’s von Humboldt dieselbe 1802 nach Italien begleitet hatte und von dort 1803 mit Fernow in die Heimath zurückgekehrt war, wurde er von Goethe als Lehrer und Erzieher seines Sohnes August in sein Haus aufgenommen. Er blieb in dieser Stellung, wie nachher als Lehrer am Gymnasium zu Weimar und als Oberbibliothekar fast dreißig Jahre der Freund, der Vertraute Goethe’s. Er ist von der literarischen Thätigkeit Goethe’s durchgängig Zeuge, Mitgehülfe, gelegentlich auch Begutachter, zum wenigsten Monent, Corrector und Revisor der Manuscripte gewesen. Aber dem Menschen Goethe, dem „Menschen voll allgemeinen und besonderen Wohlwollens gegen seine Mitbrüder, dem liebreichen Vater, dem zärtlichen Gatten (? D. Red.), dem theilnehmenden Freunde, dem heitern Gesellschafter, dem patriarchalischen Greise im Kreise seiner Enkel, dem freundlichen und gütigen Herrn gegen Diener und Untergebene, dem leutseligen ansprächigen Manne gegen Niedere und Unglückliche“, hat er als vertrauter Freund nahe gestanden.

Als nun nach dem Tode des Dichters die einseitige Darstellung Falk’s über ihn erschienen war, als die Fälschungen Bettina’s („Briefwechsel Goethe’s mit einem Kinde“) das Bild des Verewigten verunstalteten und überdies die Originalität seiner schönsten Dichtungen aus der späteren Zeit, der Sonette und des Divan, zu schmälern suchten, als es in der deutschen Literatur von allerlei wirrem Getöse gegen Goethe erbrauste, und Frömmler, Dichter, Philosophen und allerlei deutsche Publicisten in bunter Reihe die heftigsten Angriffe gegen ihn richteten, da hielt es Riemer, welchem die Person, der Charakter und die schriftstellerische Thätigkeit des Dichters vor Allen bekannt und vertraut war, für seine Pflicht, wahrhaftes Zeugniß über ihn abzulegen, und in diesem Sinne, „als eine Apologie des vielverkannten und vielfach verunglimpften Mannes“, schrieb er sein Buch über Goethe, in dem er über dessen Leben und Schriften, zumal aus der früheren weimarischen, noch wenig bekannten Epoche, die interessantesten Aufschlüsse mittheilte. Dasselbe machte das allgemeinste und größte Aufsehen. Kanzler von Müller, welcher, wie der Moritz Müller’sche Artikel selbst bemerkt, für die Erscheinungen in der Literatur ein seltenes Verständniß besaß, war laut eines mir vorliegenden, noch ungedruckten

  1. Der in Sondershausen bis auf die neueste Zeit hier und da verbreitete Glaube, daß der König hier übernachtet habe und dann vom Fürsten selbst weiter gefahren worden sei, beruht nicht auf Wahrheit. Zunächst lag für den flüchtigen Monarchen wahrlich kein Motiv vor, nach einer Fahrt von höchstens acht Wegstunden schon wieder ein Nachtquartier zu machen; im Gegentheile drängte die ganze Sachlage und die gefährliche Nähe der Franzosen zur möglichsten Eile. Die wirklichen Zeitgenossen, wie Mundschenk Kobert hier und Herr Schulter in Nordhausen, wissen auch nichts von diesem Uebernachten, sondern behaupten, der König sei am 16. October gleich nach seiner Ankunft weitergefahren. Wie hätte der König, bei den damaligen Wegen über den Harz etc., schon am achtzehnten von Magdeburg abreisen können (Förster’s Geschichte, Band 1, Seite 789), wenn er erst am siebenzehnten von Sondershausen aufgebrochen wäre? Gelangte der Herrscher doch erst in der Nacht vom zwanzigsten auf weit bequemeren Wegen von Magdeburg nach Berlin und am einundzwanzigsten nach dem nahen Küstrin. Weshalb hätte ferner Fürst Hohenlohe am siebenzehnten von Nordhausen über die Ansammlung der Truppen brieflich berichten sollen (Förster, S. 797) wenn der König selbst am gleichen Tage durch Nordhausen gekommen wäre? Der Leibkutscher und spätere Stallinspector Schwendt, welcher den König fuhr, bedauerte übrigens später nach Wegführung der Pferde dem etc. Kobert gegenüber, daß er den König nicht bis Magdeburg weiter gefahren habe, da hierdurch seine Pferde vielleicht gerettet worden wären.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_200.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)