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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

neue rothdamastne Kleid, welches ich anhatte, ging mir ganz zu Schanden, aber auch das schöne Schiff zerbrach in viele Stücken. Obgleich nun bei männiglich ein groß Gelächter war, wurde ich doch berichtet, daß der Herr Fugger unter der Hand gesagt, er wollte lieber hundert Gulden als das Schiff verloren haben. Es geschah aber ohne meine Schuld, denn ich hatte weder gegessen noch getrunken. Als ich aber später einen Rausch bekam, stand ich fester und fiel hernach kein einziges Mal, auch im Tanze nicht. Dabei waren die Herren und wir alle lustig.

Der Herr Fugger führte Seine Fürstlichen Gnaden im Hause spazieren, einem gewaltig großen Hause, so daß der römische Kaiser auf dem Reichstage mit seinem ganzen Hofe darin Raum gehabt hat. Herr Fugger hat in einem Thürmlein Seiner Fürstlichen Gnaden einen Schatz von Ketten, Kleinodien und Edelsteinen gewiesen, auch von seltsamer Münze und Stücken Goldes, die köpfegroß waren, so daß er selbst sagte, er wäre über eine Million Gold werth. Danach schloß er einen Kasten auf; der lag bis zum Rande voll von lauter Ducaten und Kronen. Die gab er auf zweimalhunderttausend Gulden an, welche er dem König von Spanien durch Wechsel übermacht hatte.

Darauf führte er Seine Fürstlichen Gnaden auf dasselbe Thürmlein, welches von der Spitze an bis an die Hälfte hinunter mit lauter guten Thalern gedeckt war. Er sagte, es wären ohngefähr siebenzehntausend Thaler. Dadurch erwies er Seiner Fürstlichen Gnaden große Ehre und daneben auch seine Macht und sein Vermögen. Man sagt, daß der Herr Fugger so viel hätte, ein Kaiserthum zu bezahlen. Er verehrte mir wegen des Falls einen schönen Groschen, der ungefähr neun Gran schwer war. Fürstliche Gnaden versahen sich auch eines guten Geschenks, aber damals bekamen sie nichts als einen guten Rausch. Gerade damals versagte der Fugger einem Grafen seine Tochter, und man erzählte, daß er ihr außer dem Schmuck zweimalhunderttausend Thaler mitgäbe.“

Wir können uns heutzutage kaum mehr eine richtige Vorstellung von dem Reichthume und dem Handel der Fugger im sechszehnten Jahrhundert machen. Auch der größte Maßstab, den wir nach unseren modernen Begriffen zur Vergleichung anlegen würden, würde uns kein zutreffendes Bild geben. Denn die Fugger waren nicht blos die größten Capitalisten, sie galten auch als die mächtigsten Grundbesitzer des damaligen Europa’s. In ihren Händen waren die Bergwerke Tirols, Steiermarks, Kärnthens, Istriens, Ungarns und Spaniens. Welche Schätze mögen sie allein aus dem letztgenannten damals auf der Höhe seiner Blüthe stehenden Lande gezogen haben! Noch heute nennt sich eine Straße Madrid’s nach ihnen, und ein Volkssprüchwort heißt: „rico come un Fucar“ („reich wie ein Fugger“). An allen wichtigen Handelsplätzen hatten sie ihre Factoreien, deren Geschäfte von Vertrauten des Hauses geleitet wurden: in der „goldenen Schreibstube“ des Fugger-Palastes in Augsburg liefen die Fäden wie die Radien eines Kreises im Mittelpunkt zusammen.

Vor mir liegt ein Rechnungsbuch des Handlungshauses vom Jahre 1564, das zwar nur über ausständige und zum künftigen Neujahr fällige Forderungen im Waarenhandel (Tuch, Specereien etc.) berichtet; aber auch hier, in diesem geringfügigsten Geschäftszweige, der nur so nebenher, mehr aus Pietät als des Gewinnes wegen betrieben wurde, gehen die Forderungen bei den einzelnen Factoreien (Wien, Nürnberg, Leipzig, Danzig, Krakau, Antwerpen, London, Lyon, Venedig, Genua) nach Millionen. Nur so verstehen wir, wie jene bekannte Sage sich bilden konnte, welche Anton Fugger – den „Fürsten unter den Kaufleuten“, wie Guicciardini ihn nennt – den Schuldschein Karl’s des Fünften in dem mit Zimmetholz genährten Feuer des Kamins verbrennen läßt. Geschichtlich beglaubigt ist dagegen die gleichfalls bekannte Erzählung, Karl der Fünfte habe, als ihm sein königlicher Wirth von Frankreich die Schätze der Pariser Residenz gezeigt, gegen diesen geäußert: „Alles dies kann ein deutscher Leineweber in Augsburg bezahlen.“

Aber auch die lachendste Blüthe birgt schon den Keim des Verfalls in sich; denn der ist nahe, trotz allen äußeren Glanzes, sobald der höchste Ehrgeiz der Familie nicht mehr ist, freie Bürger einer freien Stadt zu sein. Denken wir daran, wie fortgesetzt und mit welchem Ingrimm Ulrich von Hutten in seinen Gesprächen gegen die Fugger zu Felde zieht! Kirchlich und politisch gehörten sie zur Reactionspartei. Anton war es, der im schmalkaldischen Kriege an der Spitze der Schwachmüthigen stand, der Augsburgs Fürsprecher war, als die Reichsstadt auf seinen und seiner Anhänger Rath, statt Widerstand zu leisten, Begnadigung erflehte, und so ihrer alten Größe, Selbstständigkeit und Herrlichkeit den Stoß, von dem sie sich nie erholt hat, versetzte. – Noch eine Zeit lang werden einzelne Glieder der Familie als hochsinnige Beförderer der Wissenschaft, ja als gründliche Gelehrte gepriesen. Hieronymus Wolf, der berühmte Hellenist, war lange Jahre Bibliothekar des Anton Fugger[WS 1] gewesen, ehe er die Leitung des protestantischen Gymnasiums zu Sanct Anna übernahm. Von den Söhnen Raymund’s war der eine, Johann Jakob, ein noch heute geschätzter Geschichtsschreiber, während der andere, Georg, als einer der vorzüglichsten Mathematiker und Astronomen seiner Zeit galt. Ein dritter Sohn, Ulrich, war der einzige Fugger, welcher sich offen zum Protestantismus bekannte und deshalb – unter dem Vorwande, daß er sein Vermögen mit Gelehrten und Künstlern vergeude – von seinen Brüdern unter Curatel gestellt wurde. Später war er sogar genöthigt, vor den Verfolgungen seiner Familie Schutz bei dem Kurfürsten Friedrich dem Dritten von der Pfalz zu suchen. Auf seinem Todtenbette bestimmte er sein Vermögen zu Unterrichtsstipendien für arme Jünglinge; die kostbare Bibliothek vermachte er der Universität Heidelberg. Einem seiner Neffen, Philipp Eduard (1546 bis 1618), gebührt das zweifelhafte Verdienst, die Jesuiten in seine Vaterstadt eingeführt und ihnen zur Gründung ihres Collegiums bedeutenden Besitz, darunter sogar alte Familienstiftungsgelder im Betrage von dreißigtausend Gulden, zugewendet zu haben. Ein späterer gleichnamiger Fugger verkaufte die alte werthvolle Familienbibliothek für zehntausend Reichsthaler an Kaiser Ferdinand den Dritten, der sie der Wiener Hofbibliothek einverleiben ließ.

Schon in den letzten Jahrzehnten des sechszehnten Jahrhunderts[WS 2] macht sich ein rasches Sinken des alten Flors der Fugger’schen Handlung bemerkbar. Wir dürfen dies freilich nicht einseitig den in Trägheit und Ueppigkeit versunkenen Trägern des berühmten Namens in die Schuhe schieben. Die Zeit war eben auch eine andere geworden. Andere Nationen, vorab die Niederländer und Engländer, waren in der Ausbeutung des Welthandels obenauf gekommen und hatten den deutschen und italienischen Freistaaten nur kümmerliche Brosamen des alten Ueberflusses übrig gelassen. Der dreißigjährige Krieg, wie er unserm nationalen Wohlstande die tödtliche Wunde schlug, vernichtete auch vollends den Wohlstand des Fugger’schen Hauses. Die Fugger, in unzählbare Linien getheilt, verlieren sich von da an unter dem deutschen Landadel und tauchen nur dann und wann im Dienste des Kaiserhofs oder der Kurfürsten von Baiern wieder auf.

Oede waren die Plätze und Straßen der üppigen Reichsstadt geworden: wo sonst das lustige Geräusch der Arbeit aus den Häusern ertönte, hallte jetzt die Gasse nur noch von den Schritten eines einsamen Wanderers. Noch heute, nachdem mehr als zweihundert Jahre in’s Land gegangen sind, kann sich der Fremde dieses Eindrucks des Ausgestorbenen nicht erwehren. Augsburg gilt als eine einsame, verödete Stadt, die nur bei besonderen Gelegenheiten und an vereinzelten Stellen das fröhliche Gewühl eines belebten Ortes zeigt, das einst auf allen Straßen der Stadt bis tief in die Nacht hinein geherrscht hatte. Ganze Quartiere tragen heute noch den Charakter, als ob in ihnen vor vielen Jahren Menschen gewohnt und geschafft hätten, die nun weggezogen oder ausgestorben wären; man athmet schwerer unter dem Alpdruck der Phantasie, die, Jahrhunderte übersteigend, uns von einstiger Lebenslust erzählt, welche die todten Mauern erfüllt hat. Ein ähnliches Gefühl beschleicht uns, wenn wir in dem märchenhaft schönen, stillen und grasbewachsenen Arcadenhof des Fugger-Palastes stehen und beim Anschauen der verblichenen Wandbilder Altorfer’s von 1516 lebhafte Sehnsucht nach der einstigen Herrlichkeit in uns erwachen fühlen. Mit Gewalt reißen wir uns los und treten aus dem verödeten Raume heraus an das volle Sonnenlicht des Tages, wo der schrille Ton eines gegenüberliegenden Fabrikschlotes uns eine neue Bestätigung der alten Wahrheit giebt: „Nur der Lebende hat Recht“.

Archivar Dr. Chr. Meyer in Augsburg.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Richtig wäre: des Johann Jakob Fugger.
  2. Vorlage: Jahrhunders
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_594.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2021)