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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Ernte schon begonnen hatte und hochaufgeschichtete Garben ihrer Einfuhr nach der Tenne entgegensahen. Ringsum lag Friede – nur in der Mühle nicht. Aus ihr klangen kreischende Stimmen, wildes Geschrei, toller Lärm.

Der Mühlenbesitzer Friedrich Gottlieb Fischer, seine Frau und die sogenannte Kleinemagd, Namens Christine Birke, rannten tobend in der Wohnstube hin und her. Auf dem Tische lagen mehrere Plättstähle, ein Hirschfänger, eine Axt, ein Spaten, eine Heugabel. Bald ergriffen sie die eine, bald die andere Waffe und drohten damit hinaus in den Hof unter dem Geschrei: „Der Teufel ist todt – Gott hat’s befohlen! – Wir haben ein gutes Werk vollbracht!“

Das jetzt angekommene Leisniger Justizamt schritt sofort ein, und obgleich die Müllerin sich bedeutend zur Wehr setzte und den Amtswachmeister mit dem Hirschfänger verwundete, so waren doch die drei Tobenden bald in Ketten gelegt. Hatten sie sich aber schon vorher gerühmt, daß sie. „den Teufel getödtet und ein Gott wohlgefälliges Werk vollbracht“ hätten, so rühmten sie sich dessen in ihren Ketten noch mehr.

Als sie gefragt wurden, wo der Häckerlingsschneider sei, versicherten sie: „Der ist nicht hier; seine Stunde kommt später; uns hat’s Gott befohlen.“

Nun wurde nach dem Häckerlingsschneider gesucht – Niemand sah und fand ihn. Ich aber sah und fand, was ich nie vergessen werde. In der Mitte des Mühlhofes lag der Gemordete – an dessen Grabe wir ja schon auf dem Friedhofe standen – in seinem Blute, mit gespaltenem Haupte, mit hoch über dem Gelenke abgehackten Füßen und Händen, mit mehreren Degen- und Heugabelstichen im Rücken. Die Hände – ich kann einen genaueren Vergleich nicht geben – leuchten im Abendscheine wie rothe Stulphandschuhe, die Füße wie rothe Halbstiefeln. Auch der weiße Leinwandkittel war mit Blut getränkt.

Seitwärts von dem Todten – Christoph Friedrich Flohr war sein Name – befand sich die Düngerstätte, auf der sich ein aufgeschichteter Hügel erhob. Das war, wie man sich allgemein sagte, der Opferaltar. Er trug die Opferstücke: einen todten, noch blutenden Ziegenbock und fünf Stück blutige Enten. Drei Pferde, von denen besonders das jüngste und beste zum Opfer ausersehen war, weil in ihm „der Teufel am lebendigsten rumorte“, hatte der Mühlknappe Claus, der von der Tollheit frei geblieben war, hinausgeritten in den Wald, die Kinder der Müllersleute aber waren von der sogenannten Großemagd, Namens Wartig, gerettet worden, während die vorhin genannte Kleinemagd, theils verführt und gezwungen, theils von dem Fanatismus mit ergriffen, sich unter den Mördern befand.

Mittlerweile hatte sich der mildeste Sommerabend niedergesenkt. Es war, als wolle die Natur die Menschheit beschämen. Der Mond – es mochte ziemlich Vollmond sein – stieg auf und beleuchtete wie mit traurigem Angesichte die schaurige Stätte. Die Männer der Gerichtsbehörde ließen einen Wagenkorb über den Leichnam stülpen und ordneten an, daß bis zum nächsten Tage, wo die gerichtliche Aufhebung erfolgen sollte, zwei Wächter an die Stätte gestellt wurden. Dann fuhr ein Leiterwagen vor. Der Müller Fischer, seine Frau und die Kleinemagd mußten den Wagen besteigen, und ich sehe es noch heute, wie der Mond ihre blutbefleckten Sonntagskleider beleuchtete.

Der Wagen fuhr ab. Vor, hinter ihm, an den Seiten desselben schritten Menschen. Die Leute von Leisnig verhielten sich still, denn in der ganzen Stadt hatte der Häckerlingsschneider Kloß kaum ein Dutzend feste Anhänger. Unter den Landleuten aber, von denen viele aus den benachbarten Dörfern herbeigekommen waren, zeigte sich Aufregung und Bewegung. Man nahm den Häckerlingsschneider in Schutz, und es klang aus diesen Schutzreden stark ein pietistischer, oft mystischer Ton.

Noch weit stärker und voller von Nacht und Wahn durchtränkt waren die Reden, welche die Gefangenen vom Wagen herab an das Publicum hielten. So oft auch der Wachmeister hinaufrief: „Haltet Ruhe!“ immer wieder predigte besonders die junge, sechsundzwanzigjährige Müllerin laut und gehoben, aber in abgebrochenen Sätzen: „Wir haben recht gethan. Wir sind getrost und wollen gerne leiden; auch die Apostel haben gelitten. Die Teufel müssen getödtet werden. Abraham wollte ja auch seinen Sohn opfern, aber da kam Gott und brachte den Widder; der Sohn Isaak blieb lebendig, und Flohr, in welchem der Teufel war, wird auch wieder lebendig werden. Gott wird bald kommen und das Weltgericht halten, aber die Teufel müssen wir erst tödten, die noch in der Welt sind, da ja geschrieben steht: ‚Der Teufel geht umher, wie ein brüllender Löwe.‘“

Ich ging immer dicht am Wagen; ich hörte Alles und blieb bei dem Wagen, bis er in Leisnig an dem alten Schlosse Mildenstein vor dem Gefangenhause hielt. Hier wurden die Drei heruntergehoben; ich hörte noch das Geklirre der Ketten, dann entfernte ich mich. Erschüttert und still durch die laue Mondnacht schreitend, sagte ich zu mir: „Diese armen Leute liegen nun in Ketten, weil sie geknechtet liegen unter religiösem Wahnsinne.“

Für den Secundaner war’s vielleicht genug. Heute, wo ich Greis bin, sage ich allerdings noch mehr.




Am andern Morgen, obgleich die Nacht ziemlich schlaflos für mich verging, war ich doch früh schon auf dem Platze. Fest entschlossen, heute nicht nach Grimma in die Fürstenschule zurückzukehren, hing ich das schon geschnürte Bündel an die Wand, muthig und getrost auf die Carcertage schauend, die mich als Strafe für mein Außenbleiben erwarteten. Wie hätte ich auch gehen können! Die Stadt war lebendig; Cavallerie zog vorbei und belegte viele umliegende Dörfer, von denen man wußte, daß sie von der pietistischen Seuche ergriffen waren. Und in der That hatte sich diese weit verbreitet; auch in der Gegend von Döbeln, Mügeln, Oschatz etc. waren viele Dörfer angesteckt – der Häckerlingsschneider stand in Renommée.

Aber warum griffen die Behörden nicht früher ein? Man hielt die Sache für unschädlich; hatte doch Kloß auf der Superintendentur zu Oschatz und anderweit, wo er eine Art Examen bestehen mußte, wenn auch nicht schriftlich, doch mündlich das Wort erhalten; man war der Ansicht, daß seine „Vermahnungen“ unschädlich seien. Unschädlich aber waren seine Vorträge durchaus nicht.

Ein Jahr früher hörte ich ihn selbst einmal. Die Bauernstube, in welcher er sprach, war von Menschen gedrängt voll. Tabak durfte nicht geraucht werden, und man sagte mir, Kloß dulde das Rauchen nicht; er behaupte, der Tabak sei das Unkraut, welches der Teufel unter den Weizen gesäet habe, und aus den Untersuchungsacten ergiebt sich, daß Kloß gelehrt habe: „wie jetzt der Rauch aus dem Munde des Tabakrauchers komme, so werde er auch in der Hölle aus seinem Halse hervorbrennen.“ Wie stets bei seinen Vermahnungen, so saß der Apostel Johann Gottlieb Kloß auch damals auf einem Stuhl, der in der Bauernstube auf den Familientisch gestellt wurde. Er war ein stattlicher Mann, dreißig Jahre alt, und unverheirathet. Er wohnte eigentlich auf einem Dorfe bei Roßwein, zog aber seit einigen Jahren, Häckerling schneidend und predigend, besonders in der Leisniger Gegend umher. Die bunte Kattunjacke und die gelblichen Lederhosen, die er trug, gaben ihm ein besonderes Ansehen. Auf dem Tische stand ein Glas, mit Bier gefüllt, aus welchem er während seiner Rede oft trank. Ehe diese begann, wurde ein orthodoxes Lied gesungen. Dann erhob er seine volle, klangreiche Stimme und ermahnte die Anwesenden zur Gottesfurcht und Tugend, weil sie sonst nicht mit ihm eingehen könnten in’s „gelobte Land“. Bald vermengte er aber das „gelobte Land“ mit dem „Paradiese“, das es ja ebenfalls geben müsse, weil sonst der Herr Jesus gelogen hätte am Kreuze, wo er auf das Paradies noch hingewiesen. Dann sprach er von seinen Träumen, Visionen, Offenbarungen, von seinem durch Gott ihm befohlenen Lehrberufe etc. Nach einer Pause schlug er die Bibel auf und las mehrere Verse aus der „Offenbarung Johannis“. In schauerlicher Weise legte er dieselben aus, sprach drohend von Krieg und Theuerung, Uebel, welche eintreten müßten, wenn sich die Menschen nicht bessern würden, und verkündete dumpf und mit prophetischem Tone die Nähe die jüngsten Tages und des Weltgerichts. Todtenstille herrschte unter den Anwesenden. Gegen Tanz, Spiel, Musik, Schänkenbesuch eiferte er heute nicht, obgleich er das sonst in jeder „Vermahnung“ zu thun pflegte, wohl aber forderte er am Schlusse alle Anwesenden auf, niederzuknieen. Willig kam man dieser Aufforderung nach, während er selbst vom Stuhle sich erhob und auf dem Tische niederkniete.

Ich schlich still zur Thür hinaus, hörte aber draußen das sinnverwirrende Gebet, das er laut und feierlich sprach. Als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_825.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)