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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Als meine Mittel der Kranken einige Erleichterung verschafften, die schmerzliche Erstarrung ihrer Gesichtszüge nachließ und die Todtenblässe einer natürlichen Farbe wich, kam mir das Antlitz der alten Dame sehr bekannt vor, nur wußte ich im ersten Augenblick nicht, an welchem Punkte meines Lebensweges mir dieses trotz seines Alters noch schöne Gesicht begegnet war. – Ich verließ die Nacht über meine Kranke nicht; das junge Mädchen ging mir zur Hand, so viel sie konnte, aber als die ersten Morgenstunden der Alten einen ruhigen Schlummer brachten, widerstand auch sie nicht länger, sondern gab ihrem erschöpften Körper nach und versank, am Fußende des Bettes auf einem niedrigen Schemel sitzend, in einen tiefen Schlaf. Ich wachte bei den beiden Schlafenden, weil ich eine Rückkehr des gefährlichen Anfalles befürchtete, aber die Kranke schlummerte fort, und als die ersten Strahlen der Morgensonne durch das Fenster drangen, stand ich leise auf, horchte noch einmal auf ihre regelmäßigen Athemzüge und beugte mich zu dem Mädchen nieder. Jetzt, da Angst und Schmerz das junge Antlitz nicht mehr entstellten, erkannte ich in ihr – mein angebetetes Gegenüber aus meiner Studentenzeit.

Ich hatte, aufrichtig gesprochen, in den letzten Jahren kaum noch an sie gedacht; dennoch freute es mich, sie jetzt wiederzusehen und ihr einen Dienst leisten zu können. Sie hatte damals den schmächtigen blonden Studenten, der ihr gegenüber, dicht unter den Wolken wohnte, wohl nicht bemerkt, aber dem jungen Arzt, der das Leben ihrer Großmutter gerettet, begegnete sie mit großer Freundlichkeit.

Ich erfuhr, daß Margarethens Eltern, welche damals mit ihr nach einer andern Stadt gezogen, in der Zwischenzeit gestorben waren, ohne sie in so glänzenden Verhältnissen zurückzulassen, wie die waren, in denen sie aufgewachsen war. Sie lebte nun hier mit ihrer Großmutter von deren Wittwenpension und den Resten ihres Vermögens, aber ich lernte die alte Geheimeräthin Wildhofen als eine gar stolze, unnahbare Dame kennen, deren Sinn alles Mißgeschick, das sie betroffen, nicht zu beugen vermochte.

Ich kam wochenlang täglich in das Haus, weil die alte Dame meiner noch bedurfte, dann aber auch, weil die braunen Augen ihrer Enkeltochter mich zuerst so freundlich willkommen hießen, bei meinen späteren Besuchen aber schüchtern den meinen auswichen und ein höheres Roth ihre Wangen färbte.

So geschah es eines Tages, daß die Frau Geheimeräthin uns überraschte, als mein Arm um Margarethens Schulter und ihr Kopf an meiner Brust lag. Wir erschraken wohl ein wenig bei ihrem unerwarteten Eintritt, aber ich hielt die Geliebte nur noch fester, als ich mich an ihre Großmutter wandte und um deren Segen zu unserer Verbindung bat.

Die alte Dame betrachtete mich kalt und prüfend, gleichsam als sei sie erstaunt über meine Kühnheit, dann fragte sie mich kühl, was ich denn neben meinem Herzen ihrer Enkeltochter zu bieten habe. Das war denn nun freilich nicht allzuviel, wenn sie die Aussichten auf eine bessere Stellung nicht gelten lassen wollte.

„Und noch eins, mein junger Herr Doctor,“ sagte sie endlich spottend, „der Sie so zuversichtlich um Fräulein von Rhoda werben, als erwiesen Sie ihr damit eine Ehre: aus was für einer Familie stammen Sie?“

Ruhig, das heißt so ruhig, wie ein Liebender in solchem Augenblick eben sein kann, gab ich ihr zur Antwort, daß mein Vater und meine Brüder, dem Beispiele ihrer Vorfahren folgend, das ehrsame Schneiderhandwerk betrieben und ich nur durch die Güte meines Pathen zu einer höheren Ausbildung gelangt sei.

Doch wozu soll ich länger bei diesem Gespräch verweilen – genug, daß mir die Geheimeräthin mit herben Worten das Haus verbot und ich meine liebe weinende Margareth verlassen mußte. Ich war jung und muthig, baute fest auf die Treue meiner Geliebten und sah hoffnungsvoll in die Zukunft. Doch sollte meine Zuversicht auf eine schwere Probe gestellt werden.

Es war an einem Novembertage, als die alte Dame mir die Thür wies; der Winter verging; der Sommer folgte ihm; es wurde wiederum Herbst und wiederum Winter, und die Erfüllung meines Herzenswunsches schien mir noch eben so unerreichbar fern zu liegen.

Da theilte mir mein Vater mit, der Wiesenheimer Arzt gehe mit der Absicht um, nach einer größeren Stadt überzusiedeln, und bat mich, den Wunsch der ganzen Familie zu erfüllen und in meine Vaterstadt zurückzukehren, an Praxis werde es mir, als geborenem Wiesenheimer, der überdies mit den angesehensten Bürgern des Ortes durch Bande des Blutes, der Verschwägerung oder doch der Gevatterschaft verbunden sei, noch weniger fehlen als meinem Vorgänger. Bei meiner tiefgewurzelten Anhänglichkeit an die Meinigen und die alte kleine Stadt hätte mir nichts erwünschter sein können, wenn nicht der Wechsel des Wohnortes zugleich eine vollständige Trennung von meiner geliebten Margareth bedeutete. Wenn ich auch seit jenem Herbsttage nie wieder ihr Haus betrat, so sah ich sie doch zuweilen am Fenster oder es glückte mir auch, auf der Straße oder bei einer uns beiden befreundeten Familie ein paar Worte mit ihr zu wechseln, wenn sie eben nicht von ihrer Großmutter begleitet war. Und nun sollte ich auch diesen letzten kargen Trost von mir weisen? Unmöglich! Und doch – es war eine schwere Wahl, vor welcher ich stand.

Zum Glück ließ man mir Zeit zur Ueberlegung. Der Arzt, dessen Nachfolger ich werden sollte, beabsichtigte seine Uebersiedelung erst zum Frühjahre auszuführen, und zu dieser Jahreszeit konnten die Wiesenheimer immer noch am leichtesten eine Zeit lang sich mit dem alten Wundarzt begnügen; der Ort war, wie ich schon gesagt habe, sehr gesund und die meisten Krankheitsfälle zeigten sich bei seinen Kindern im Herbste, wenn das Obst zu reifen begann. Aber gerade jetzt, wo ich am dringendsten eine Unterredung mit Margarethen ersehnte, gelang es mir nicht, ihr irgendwo zu begegnen, und ich erfuhr, daß eine neue Erkrankung ihrer Großmutter sie an’s Haus fessele. Das arme Mädchen, wie mochte sie meines Beistandes, meines Trostes bedürfen! Der Zustand der Großmutter verschlimmerte sich, und endlich überwog Margarethens Herzensangst ihre Furcht vor dem Zorne der Kranken: sie ließ mich rufen.

Anfangs wagte ich mich nicht an das Bett der Leidenden, aus Furcht, durch Aufregung ihren gefährlichen Zustand noch zu verschlimmern, aber bald trat heftiges Fieber und völlige Bewußtlosigkeit bei ihr ein, so daß ich ihr beistehen konnte, ohne von ihr erkannt zu sein. Der kräftige Körper der alten Dame widerstand der Krankheit lange, und nachdem ich schon jede Hoffnung auf Genesung aufgegeben hatte, kamen immer noch Tage, an welchen sie sich wieder zu erholen schien. Meine arme Margareth war sehr unglücklich bei dem Gedanken, ihre letzte Verwandte verlieren zu sollen, und jeder Gedanke an ihre Härte verschwand vor der Erinnerung an die zahlreichen Liebesbeweise, die sie dem verwaisten Mädchen gegeben hatte.

„Wenn sie stirbt, ohne unseren Bund gesegnet zu haben, kann ich selbst an Deiner Seite niemals glücklich werden, Franz!“ Es waren traurige, bange Tage für uns Beide.

Darüber brach der Frühling herein, und zwar ein Frühling, der seinem Namen Ehre machte. Margareth, an das Bett der Großmutter gebannt, fühlte nicht die balsamische Luft, konnte sich nicht an dem Anblick der Blüthenbäume, dem Dufte der Blumen, dem Gesange der Vögel erfreuen.

Als ich mich eines Tages, mit diesen Gedanken beschäftigt und von innigem Mitleide für sie erfüllt, auf dem Wege nach ihrem Hause befand, bot mir ein kleines ärmlich gekleidetes Mädchen einen Strauß blühender Fliederzweige zum Kauf. Ich nahm ihn an mich und begab mich damit in’s Krankenzimmer.

Die Geheimräthin lag in ruhigem Schlummer, und ich setzte mich an’s Fenster, wo Margareth mit einer Handarbeit beschäftigt war. Sie empfing freudig den Strauß aus meiner Hand und athmete den süßen Duft. Wie mich die Fliederblüthen an meine Heimath erinnerten, besonders an den Garten des alten Hartlieb und den daranstoßenden, in welchem der Geist der Sabine lustwandeln sollte! Zum ersten Male erzählte ich meiner Geliebten Näheres über den Pathen, der mir ein zweiter Vater geworden war, und schilderte ihr sein freundliches kleines Besitzthum. Ich sprach auch von seinen Eigenthümlichkeiten, von jener auffallendsten, daß er bei dem Tode des Nachbars dessen Haus und Garten angekauft, ohne das Grundstück je zu benutzen und ohne auch einem fremden Fuße den Eintritt zu demselben zu gestatten.

Ein Seufzer vom Bette her unterbrach meine Erzählung. Die Kranke lag mit geöffneten Augen, die so mild und freundlich blickten, wie ich sie nie zuvor gesehen. Sie winkte uns, zu ihr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 833. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_833.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)