Seite:Die Gartenlaube (1875) 009.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

[all]en Wirbeltieren und auch beim Menschen während des [Em]bryonalzustandes besteht und wie dies bei dem niedrigsten Wirbeltiere, dem fischähnlichen Lanzettthierchen (Amphioxus) zeit[le]bens vorkommt.

Die Wirbelthiere entstammen also einer Wurmart (den [Ma]ntelthieren) und die Ueberbrückung von den Wirbellosen zu den [Wirb]elthieren wird durch die Ascidie und das Lanzettthierchen hergestellt. Innerhalb der Wirbelthierclassen steigert sich nun die Vervollkommnung in folgender Reihe. Auf der niedrigsten Stufe stehen die Schädellosen, welche vom Amphioxus repräsentirt werden; an sie schließen sich dann die fischähnlichen Rundmäuler, welche in der Gegenwart nur durch die Schleimfische und Lampreten (Pricken) vertreten sind und die zur Entwickelung der Fische den Grund legten. Letztere traten zuerst als haifischähnliche Urfische (Selachier) auf, welche nicht nur den Schmelz- und Knochenfischen, sondern auch den zwischen diesen und den Amphibien mitten innestehenden Lurch- oder Molchfischen zur Entwickelung dienten. Diese leben theils auf dem Lande, theils im Wasser und nehmen als Doppelathmer Luft durch Lungen und Wasser durch Kiemen auf. Bis auf wenige (den amerikanischen, afrikanischen und australischen) Molchfische sind sie bereits ausgestorben. Aus ihnen gingen die Amphibien oder Lurche (Proteus, Axolotl, Landsalamander, Wassermolche, Frösche) hervor, aus denen sich dann theils die Reptilien oder Schleicher (Eidechsen, Schlangen, Krokodile und Schildkröten), theils die Säugethiere entwickelten. Dem Landleben angepaßte Reptilien sind die Vögel, von welchen noch eidechsenähnliche Versteinerungen (Flugeidechsen) existiren. – Ein interessantes Beispiel, wie schnell sich Verwandlungen im Thierreiche vollziehen können, bot im Pariser Pflanzengarten der mit äußeren Kiemen im Wasser lebende Axolotl (aus Mexico). Unter Hunderten dieser Thiere krochen nämlich eine kleine Anzahl an’s Land, verloren hier die Kiemen und waren nun von einem kiemenlosen Erdsalamander nicht mehr zu unterscheiden. Aehnliches findet auch bei den Fröschen statt, welche in kurzer Zeit drei Stufen der Verwandlung durchlaufen, zuerst die der Kiemen-, dann die der Schwanz- und schließlich die der kiemen- und schwanzlosen Froschlurche.

Die Säugethiere stehen an der Spitze des Thierreichs und haben sich, wie ihre Entwickelungsart und ihr innerer Bau ergiebt, direct aus den Amphibien (nicht aus den Reptilien) hervorgebildet. Nach der Vollkommenheit des Baues der Säugethierorgane ist die Reihenfolge ihres Auftretens folgende: Die niedrigsten Säugethiere sind die Cloaken-, Schnabel- oder Gabelthiere (mit Cloake und ohne Brustdrüse), an sie reihen sich die Beutelthiere, mit einem Beutel für ihre Jungen (Opossum, Känguruh, Beutelratten), von denen die sogenannten affenfüßigen Handbeutler mit lockerem Daumen in die Halbaffen übergehen, und Placentarthiere, zu denen nun alle höheren Säugetiere gehören, von denen für uns die Halbaffen insofern von der allergrößten Wichtigkeit sind, als aus ihnen die nächsten thierischen Vorfahren des Menschen, die eigentlichen Affen nämlich, hervorgingen.

Die Halbaffen, Lemuriden, welche den heute noch lebenden Loris, Indois und Makis ähnlich sind und von den Handbeutlern stammen, haben mit den eigentlichen Affen keine andere Gemeinschaft, als den Besitz des sehr beweglichen, greifenden, entgegenstellbaren Daumens. Ohne Zweifel haben sich sodann aber die eigentlichen Affen (Platt- und Schmalnasen) aus lemuridenartigen Thieren herausgebildet. Die neuweltlichen geschwänzten Plattnasen (Platyrrhinen) haben plattgedrückte Nasen, so daß die Nasenlöcher nach außen und nicht nach unten stehen, sie besitzen sechsunddreißig Zähne (vier Backzähne mehr als die Schmalnasen und der Mensch) und ähneln noch sehr den Halbaffen und Nagethieren. Die Schmalnasen (Katarrhinen) oder die Affen der alten Welt (Asien und Afrika) besitzen eine schmale Nasenscheidewand und die Nasenlöcher sehen, wie beim Menschen, nach unten, auch haben sie wie dieser nur zweiunddreißig Zähne und den gelben Fleck auf der Sehhaut. Es giebt von ihnen eine geschwänzte, noch dicht behaarte und eine schwanzlose Art. Von letzterer, den sogenannten Menschenaffen oder Anthropoiden, welche die nächste Blutsverwandtschaft mit den Menschen haben und zu denen die noch lebenden Gorillas, Chimpansen, Gibbons und Orang Utangs gehören, wurden ausgestorbene Arten durch Verlust des Schwanzes, die allmählich zunehmende Enthaarung des Körpers (welche übrigens bei den Eingeborenen des Vincent-Golfes und in der Umgebung von Adelaide noch nicht beendigt zu sein scheint), ferner durch die vollständige Angewöhnung an den aufrechten Gang, die Entwickelung der Hände und Beine, sowie des Gehirns und Schädels, zu Affenmenschen oder sprachlosen Urmenschen, diese endlich aber durch weitere Ausbildung des Kehlkopfs, des Gehirns (der Stirnlappen) zum echten sprechenden Menschen. Dieser unterliegt nun gerade so den Entwickelungsgesetzen, der Veränderlichkeit durch natürliche Züchtung und im Kampfe um’s Dasein, sowie durch Vererbung, und der stetigen Vervollkommnung, wie dies bei den Thieren der Fall ist. Es verheißt demnach der Darwinismus dem Menschengeschlecht eine immer menschenwürdigere Zukunft.

Bock.


Die Hauptacteurs im Drama „Arnim“.
Zur Erinnerung.

Er ist in der That ein großes Ereigniß, der Proceß Arnim, denn einem gewaltigen Steinwurfe in’s Wasser gleich, zieht er an der Oberfläche der Gesellschaft seine Kreise über ganz Europa, ja selbst über das Weltmeer hin.

Ich glaube daher den Lesern der Gartenlaube, auch wenn bei Ansicht dieser Zeilen das Schauspiel längst zu Ende gegangen ist, einen nicht uninteressanten Beitrag zur Geschichte dieses Processes zu liefern, wenn ich ihnen noch einmal die Persönlichkeiten vorführe, welche in dem Drama die Hauptrolle inne hatten. Ich entwarf diese Schilderung noch während der Sitzungen des Gerichtshofes und setze selbstverständlich voraus, daß meine Leser über Wesen und Inhalt der Anklage unterrichtet sind.

Es hat kaum zehn Uhr geschlagen, und schon drängt sich in der Reichshauptstadt eine große Menschenmenge zu Fuß und Wagen nach dem Molkenmarkte, dem Herzen unserer Metropole zu. Da, wo im fünfzehnten Jahrhundert der Roland mit blankem Schwerte drohend von der steinernen Säule herabschaute, steht heute das fragwürdige Gebäude, in dessen Innerem die Wage der Themis ihre Schalen hebt und senkt. Wie ein summender Bienenschwarm drängt sich die Schaar der Neugierigen über den kleinen Markt mit seinen düstern Häuserfronten. Equipagen rollen hin und her; Herren in eleganter Kleidung, von vornehmem Gange und mit jenem frostigen Lächeln, das so vielen Mitgliedern der sogenannten guten Gesellschaft eigen ist, steigen aus und eilen rasch dem Stadtgerichte zu. Juristen von Ruf, Literaten, Mitglieder des Reichstags, Professoren und reiche Kaufleute: alle drängen sie sich in buntem Knäuel dem schmalen Eingange zu. Selbst jene Damen der hohen Aristokratie, welche unter der Führung der Baronin Schleinitz einen Bazar etablirten, um dem Wagner-Theater zu Baireuth neue Hülfsquellen zu eröffnen, werden der Jordan’schen Vorlesung seiner Nibelungen-Trilogie untreu und eilen der prosaischen Proceßverhandlung zu. Erhabene Musen, wenn das Wahnfried wüßte! Die auf dem Trottoir vorübergehenden Handwerker und Geschäftsleute schauen aus Neugierde dem bunten Treiben zu; Theilnahme ist auf keinem Gesichte zu lesen. Die Droschkenkutscher sind um der reichen Trinkgelder willen zu Scherzen aufgelegt: „Du, Ehde,“ ruft einer, „mich hat Madai eenen Erlaß unterschlagen, und des unterjräbt meine janze Stellung; et is der Fahrschein. Darnach aberst kräht naturellement keen Hahn.“

„Wende Dir an Bismarcken,“ entgegnet sein struppiger College mit heiserer Stimme, reckt sich aber gleichzeitig in die Höhe, denn eben fährt der Wagen des Grafen Arnim vor.

Auf den Arm seines Sohnes gelehnt, steigt der ehemalige

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_009.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2018)