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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


lang hatte er seine liebsten Wünsche und höchsten Pläne in seiner Brust zusammenpressen müssen: konnte es nun anders kommen, als daß sie in unbändigem Sturm und Drang hervorbrachen? Alles aber diente der Förderung seines Hauptbestrebens, sein Reich mit den so verschiedenartigen Bestandtheilen zu einem gleichartigen zu verbinden, und zwar durch die deutsche Sprache. Sie sollte die Universalsprache desselben werden. „Ich bin der Kaiser des deutschen Reichs,“ schrieb er an einen Ungarn; „dem zu Folge sind die übrigen Staaten, die ich besitze, Provinzen, die mit dem ganzen Staate in Vereinigung einen Körper bilden, von dem ich das Haupt bin.“

Sofort begann er mit der Durchführung dieses Gedankens. Damit stand in engem Zusammenhange die Verbesserung des Schulwesens und die Fortführung seiner religiösen (josephinischen) Ziele. Unsere Leser erlassen uns wohl die Anführung aller reformatorischen Thaten Joseph's. Der Jubel aller Freunde des Fortschritts und der Aufklärung feierte ihn, wie ihn das Gift der Finsterniß bespritzte, als er es sogar wagte, in dem hyperkatholischen Oesterreich den größten Theil der Klöster aufzuheben: in acht Jahren siebenhundert solcher Nester mit über dreißigtausend Nichtsthuern und Nichtsthuerinnen. Papst Pius der Sechste, Nachfolger des Züchtigers der Jesuiten, reiste selbst nach Wien, um dem „hereinbrechenden Verderben seiner Kirche“, wie er glaubte, Einhalt zu thun. Aber er konnte deutlich sehen, was er erreichen würde, als der originelle Kaunitz die Hand, die er ihm zum Kusse reichte, derb schüttelte und Joseph das Hochamt nicht besuchte, bei dem er um eine Stufe tiefer sitzen sollte als der Papst.

Der Besuch war fruchtlos, und Joseph's Reformen gingen wacker vorwärts. Als Letzterer das Erzbisthum Mailand als Landesherr nach seinem Gutdünken besetzte, stand ein Bruch zwischen Kaiser und Papst bevor. Joseph beabsichtigte dies auch insofern, als er sein Reich ganz von der römischen Oberherrschaft in Kirchensachen trennen und den Staat an die Stelle des Papstes setzen wollte. Dies durchzuführen begab er sich selbst nach Rom, begnügte sich dann aber mit dem Wahlrecht der Geistlichen in der Lombardei, das der Papst ihm überließ. Das war der Anfang der Reaction gegen seine Schöpfungen. Bald griff in Ungarn die Empörung der fremden Nationalitäten und der eifrigen Katholiken gegen die Oberhand des deutschen Elementes und die religiöse Toleranz um sich. Später folgten die flämisch-wallonischen und stark katholischen Niederlande, deren Austausch an das pfälzische Wittelsbacher Haus gegen Baiern ihm nicht gelungen war, mit vollendeter Revolution, Hand in Hand mit der gleichzeitigen französischen, bis zum völligen Abfalle von Oesterreich. Auch der Plan einer Theilung der Türkei mit Rußland, den er mit Katharina zu Cherson besprach, wo nach der Thor-Inschrift der Weg nach Constantinopel ging, hatte keine andere Folge als einen gemeinschaftlichen, aber fruchtlosen Türkenkrieg, an dem Joseph selbst Theil nahm und bei dem er sich durch Klima und Beschwerde – den Tod holte.

Verzweifelnd an der Zukunft seiner Schöpfungen, erließ der Kaiser vom Todenbette die Aufhebung seiner auf Ungarn bezüglichen Reformen mit Ausnahme des Toleranz-Edictes und damit die Herstellung der Unabhängigkeit Ungarns; dies hielt im Lande auf ein halbes Jahrhundert den Fortschritt zurück. Unter Stürmen des Aufstandes im Westen und dem Scheitern seiner Hoffnungen im Osten nahte seine letzte Stunde. Am 12. Februar 1790 nahm er von seinem Neffen und zweiten Nachfolger Franz – es war dessen Geburtstag – Abschied, an den folgenden Tagen von seinen bewährten Kriegshelden Laudon, dem gefeierten Eroberer von Belgrad, und dem alten treuen Haddik, von der Gattin seines Neffen, Elisabeth von Württemberg, die er zärtlich liebte und die noch vor ihm an den Folgen einer Niederkunft starb, weiter von dem Feldmarschall Lascy, dem Oberkammerherrn Graf Rosenberg und dem Oberstallmeister Graf Dietrichstein. Am 19. Februar hatte Joseph noch Staatsgeschäfte besorgt; am Morgen des 20. Februar fühlte sein Leibarzt Störk beinahe keinen Puls mehr. Er erwähnte des Beichtvaters, den der Kaiser nun eintreten hieß. Er mußte ihm aus seinem Gebetbuche vorlesen. Als er an die Stelle kam: „so bleiben nun Glauben, Hoffnung und Liebe“, – sprach der Kaiser das Wort „Glauben“ mit fester Stimme nach, dann „Hoffnung“ mit leiser und endlich „Liebe“ mit warmem inbrünstigem Gefühle. Dann sagte er zum Beichtvater: „Nun ist es genug. Dieses Gebetbuch brauche ich nun nicht mehr. Ich schenke es Ihnen.“ Seine letzten Worte waren: „Ich glaube, meine Pflicht als Mensch und Fürst gethan zu haben.“ Gegen halb sechs Uhr früh gab er seinen Geist auf.

Unser Bild zeigt als geschichtliche Gestalten zur Rechten des Sterbebettes den alten Marschall Laudon, auf den Stock gestützt, neben ihm den Marschall Lascy und den ungarischen Grafen Batthiany. Vor dem Bette hingesunken eine der „fünf Damen“, die Gräfin Kinsky, und auf dem Sessel im Vordergrunde sein einundzwanzigjähriger Neffe, der spätere Kaiser Franz. Zur Linken steht das weinende Hofgesinde der Burg; selbst ein alter Ungar im nationalen Pelzkleide ist mit seinem Enkel von der Pußta herbeigeeilt; sinnig deutet der Künstler durch die hereindrängenden Massen im Vorzimmer auch den Schmerz des Volkes über das Hinscheiden des geliebten Herrschers an. Mit Joseph dem Zweiten starb einer der sehr wenigen „römisch-deutschen“ Kaiser, welche ein Herz für das Volk hatten.




Am Grabe eines Märtyrers.


Allenthalben in Deutschland sind den Opfern des blutigen Kriegs gegen Frankreichs Uebermuth und Rheingrenzengelüst pietätvoll Denkmale errichtet, auserwählte, von der Liebe und Bewunderung des Volkes mit immer frisch erneuten Blumen geschmückte Ruhestätten angewiesen worden, denn es ehrt seine großen Todten, vor Allen, die für seine Sache starben. Nirgends aber ist dies in so schöner, so wahrhaft sinniger Weise geschehen, wie auf dem Friedhofe von Darmstadt, einer Stadt, deren Bürgerthum trotz Schranzenluft und transrhenanischem Pfaffenwind immer die Fahne der Freiheit und des einigen Deutschthums hoch gehalten hat. In langen Reihen, mehrfach hintereinander, liegen dort begraben alle die wackeren Streiter, welche, auf den blutigen Schlachtfeldern vom Feindesboden aufgelesen, in's Vaterland gebracht wurden, um zu sterben mit dem Bewußtsein, ihr Leben für eine heilige Sache hingegeben zu haben und in der heimischen Erde eines großen, einigen Deutschlands zu ruhen für immer. Jedes Grab schmückt gleichförmig ernst ein großes eisernes Kreuz mit einfacher Inschrift, und wahrhaft erschütternd wirkt die Zahl der deutungsvollen Malzeichen in ihrer feierlichen Trauerfarbe. Alle diese Gräber aber sind mit feinfühliger Wahl auf eine Stelle verlegt, wie man sie eindrucksvoller kaum im ganzen deutschen Reiche hätte finden können. Denn sie befinden sich unmittelbar hinter einem einfachen Monument, das ihnen voransteht, wie ein Feldherr dem Heere. Es ist ein schlichtes Kreuz, von der Zeit schon mit ihrem Roste besprengt, aber jährlich hängt an ihm am 23. Februar ein Kranz von Immortellen und frischen Rosen, häufig stehen weißbärtige Männer vor ihm in tiefen Gedanken und richten fragende Blicke nach den unmittelbar dahinter soldatisch gereihten eisernen Kreuzen, die den Grabhügel derer schmücken, denen sie nicht mehr an die tapfere Brust hatten geheftet werden können. Der aber hier als ihr vorangegangener Führer schlummert, er hat für das gleiche Gut gekämpft und sein Herzblut vergossen, wie sie, nur in anderer Lage und in anderer Zeit. Das ist der ganze Unterschied. Freilich, er fiel nicht unter dem Schalle der Siegestrompeten auf der freudigen Wahlstatt, sondern in enger Haft des Körpers und des Geistes, nicht durch ein fränkisches Blei, sondern durch die eigene Hand, ein zu Tode Gequälter. Aber er war so tapfer und groß, ja größer, wie Jene dort hinter ihm, und es ist ihm Genugthuung geworden, spät doch voll: er steht als General an ihrer Spitze, wenn auch nur im Tode. Was sie erkämpften, das war sein Kampf, was sie errangen, sein Ziel; wofür sie starben, dafür starb er. Freilich schmückte kein Lorbeer seinen Sarg, und das Kreuz, welches ihm treue Verehrer setzten, verstümmelte der Verräther Jammerangst vor dem bloßen Namen, den es deckte; dieser Name aber heißt: Friedrich Ludwig Weidig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_015.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)