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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


darf über die Wahl der Inschriften rechten, sie vielleicht nicht ganz glücklich nennen. Die schönste wäre der Anfang der begeisterten Zeilen gewesen, welche Herwegh dem Andenken Georg Büchner's, des treuen Freundes und Mitstreiters von Weidig, gewidmet hat unter dem Motto: „Die Guten sterben jung, und deren Herzen trocken wie der Staub des Sommers, brennen bis zum letzten Stumpf.“ – –

Ein großes Fragezeichen der Cultur, der Bildung, der Menschlichkeit ist dieses Kreuz. Wer vor ihm steht, dem zieht die Geschichte des Vaterlandes von seiner tiefsten Schmach an bis zu seiner endlichen Erhebung in ergreifenden Bildern an der Seele vorüber. Wohl ihm, wenn er dann getröstet und gefestigt rufen kann: Nein, und abermals nein – solche Zeiten können niemals wiederkehren in Deutschland.




Blätter und Blüthen.


Das Pariser Opernhaus. Man schreibt uns aus Paris: „Ich habe hier Nichts verändert gefunden. Es ist immer dasselbe reizende, amüsante, müßige Paris, das an Nichts denkt, als sich und andere zu zerstreuen, das immer den Plan irgend eines großen Festes im Kopfe hat. Das Fest, welches Paris in diesem Augenblicke beschäftigt, ist die Eröffnung des neuen Opernhauses. Worin wird dieses Fest bestehen? Die Programme, welche man in den Zeitungen findet, sind weder sehr zahlreich noch sehr mannigfaltig. Die Einen sprechen von einer Galavorstellung, welcher der Präsident der Republik und alle Staatsbehörden beiwohnen würden; die Anderen schlagen einen großen Ball vor, welcher von der Stadt Paris oder durch Subscription veranstaltet werden soll. Ich lese soeben in einer Morgenzeitung, welche für ein ernstes Blatt gilt, man solle den Besuch des Opernhauses wenigstens für acht Tage umsonst gestatten, damit es dem Volke ermöglicht sei, die Pracht diesen ’National-Museums’ zu bewundern. Ein Schauspielhaus ’Museum’ zu nennen, das ist eine Idee, die uns Deutschen nicht kommen würde, aber der Gedanke, während einer Woche die Thüren des Opernhauses dem Volke unentgeltlich zu öffnen, würde uns um so richtiger scheinen, als es das Volk ist, welches die sechszig Millionen zahlt, die dieses Gebäude kosten wird.

Sechszig Millionen für ein Opernhaus! Wenn irgend ein excentrischer Fürst uns in eine solche Ausgabe gestürzt hätte, würden wir sie abbezahlt haben: Wir würden uns jedoch die größte Mühe gegeben haben, uns selbst und Andern diese Thorheit zu verbergen. Hier scheint Jedermann stolz darauf zu sein, und es giebt fast keinen Pariser, der nicht geneigt wäre, das Opernhaus und die sechszig Millionen, die es gekostet hat, in die Zahl jener Einrichtungen einzureihen, ’um die Europa ihn beneidet’.

Sechszig Millionen zu fünf Procent Zinsen machen jährlich drei Millionen. Ich habe einen alten Theaterdirector, der in diesen Dingen sehr erfahren ist, gefragt, wie hoch er den Zuschuß veranschlage, welcher nöthig sei, um die Ausgaben des Opernhauses zu decken. ’Wenigstens zwei Millionen,’ antwortete er mir. Drei Millionen Zinsen und zwei Millionen Zuschuß ergeben eine Summe von fünf Millionen, verwendet, um ein Theater zu unterhalten. Das ist ein hübsches Sümmchen für ein Land, in welchem man nicht einmal den Schullehrern und Lehrerinnen ein Stück Brot für ihr Alter sichert.

Wenn von dieser jährlichen Ausgabe von fünf Millionen wenigstens noch die Tonkunst Nutzen hätte! Ich habe mich jedoch bei einem Journalisten meiner Bekanntschaft nach dem Namen der Oper erkundigt, der es beschieden wäre, zuerst auf der neuen Bühne aufgeführt zu werden. ’Wir haben keine’, sagte er mir, ’und wir hoffen kaum eine zu finden. Rossini, Meyerbeer, Auber, Halevy sind todt; unsere lebenden Componisten leiden an allgemeiner Mittelmäßigkeit. Wir haben zwar Gounod, aber eben so gut könnte man auf die Wankelmüthigkeit selbst zählen. Hätte man selbst ein neues Werk von einigem Werth entdeckt, so würde es an Künstlern fehlen, es auszuführen; wir haben nicht mehr Sänger in Frankreich als Componisten und ich glaube, Ihnen kein großes Geheimniß zu verrathen, wenn ich Ihnen mittheile, daß die Musik bei uns in gänzlichem Verfall begriffen ist.’

Glücklicherweise brauchen wir weder Componisten noch Sänger; nur Maschinisten haben wir nöthig. Die französische und ausländische Neugierde wird während zwei bis drei Jahren, vielleicht auch länger, genügen, um das Haus zu füllen. Das alte Repertoire, gehörig durch den Theaterschneider und den Decorationsmaler aufgefrischt, wird uns gestatten, ruhig das Erscheinen irgend eines neuen großen Componisten zu erwarten. Wir haben übrigens noch das Ballet und, wenn es Noth thut, die Zauberposse zur Aushülfe. Keinen Componisten und ein Opernhaus, das sechszig Millionen zu bauen und zwei Millionen jährlichen Zuschuß kostet – das charakterisiert Frankreich. Es ist unnöthig, die Bewaffnung unserer neuen Grenzen zu beeilen; die Franzosen haben vorläufig nicht die Zeit, uns Elsaß-Lothringen wieder abzunehmen.

A.“




„Ein Grab im Unterland“ in Nr. 50 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“ giebt mir Veranlassung zu folgenden Zeilen:

Im Sommer 1859, bald nach Beendigung des italienischen Krieges, kam ich, kaum zwanzig Jahre alt, als Lehrer in das Dorf Cleversulzbach, und bald erfuhr ich auch, daß der schmucklose, schlechtgepflegte Friedhof des Dorfes das Grab von Schiller's Mutter beherberge. Ich suchte dasselbe alsbald auf und fand nicht ohne Mühe das mit Gras überwachsene, unscheinbare steinerne Kreuz, auf dem mit einfacher Schrift eingegraben steht: „Schiller's Mutter“. Wie ich später im Dorfe oft erzählen hörte, soll Dr. Eduard Mörike, der frühere Pfarrer des Orts, mit eigener Hand diese Worte in den Stein gemeißelt haben.

Als der hundertjährige Geburtstag unsers großen Dichters herannahte, machte ich verschiedene Versuche, auch auf der geweihten Stätte in Cleversulzbach eine kleine Feier zu Stande zu bringen. Im Orte selber fehlten aber die Kräfte hierzu, und von den umliegenden Städten hatte jede ihre eigene Schillerfeier, so daß ich zur Ausführung meinem Planes Niemand beibringen konnte. So that ich denn allein, was mir möglich war. Ich reinigte den Grabhügel von Schiller's Mutter und den der nebenan ruhenden Mutter Eduard Mörike's von Unkraut und Gras, schmückte dieselben mit Herbstblumen und Grünem, soviel der nahe Wald mir bot, und umgab die beiden Grabstätten mit einer allerdings sehr primitiven Einfassung; auch reinigte ich das Kreuz und frischte die Inschrift mit schwarzer Farbe wieder auf.

Am 10. November, Vormittags elf Uhr, gingen wir, der Schultheiß des Ortes, mein älterer College, ich und der eben im Dorfe weilende Amtsnotar von dem nahen Neuenstadt, auf den Friedhof und setzten (ich selbst machte die Grube) eine Linde auf das Grab von Schiller's Mutter. Alles ging in feierlicher Stille vor sich; Reden wurden nicht gehalten, daß wir aber einen Act[WS 1] der Pietät begingen, den wir den Manen Schiller's schuldig waren, fühlte Jeder, und stumm reichten wir einander die Hände, nachdem die Linde fest stand. Das war unsere bescheidene Schillerfeier. –

Ob die Linde gediehen ist, weiß ich nicht, da ich schon im nächsten Jahre Cleversulzbach wieder verließ und auf meinen seitherigen Wanderungen durch die Fremde und durch die Heimath nicht mehr in das Dorf oder dessen Nähe kam. Damals war die Aussicht vorhanden, daß auf das Grab von Schiller's Muttter ein anderes, größeres Denkmal gesetzt werde. Dr. Eduard Mörike, mit dem ich in jener Zeit über diesen Gegenstand brieflich verkehrte, schrieb mir unterm 19. October 1859:

„Der höchst gerechte Wunsch, in welchem Sie mit andern und mit mir zusammentreffen, wird in Erfüllung gehen. Das (Schiller-) Comité beabsichtigt die Errichtung eines anständigen kleinen Denkmals auf dem mütterlichen Grabe. Nur konnte dies auf die Zeit des Festes nicht mehr angeordnet werden. Vorläufig will man die Grabstätte käuflich erwerben etc.“

Der Stiftungsrath von Cleversulzbach übergab denn auch die Ruhestätte von Schiller's Mutter und das nebenan liegende Grab von Mörike's Mutter schenkungsweise dem Stuttgarter Schiller-Comité. Noch bezeichnet freilich nur das alte steinerne Kreuz die Stätte, wo die deutsche Frau ruht, welche Deutschland seinen größten Dichter geschenkt hat. Ich meine aber, es ist dennoch ein würdiges Denkmal, denn ein edler Dichter hat es ja gesetzt. –

Weingarten (Württemberg), den 16. December 1874.

H. Kl.




Kleiner Briefkasten.


Mst. in Kbg. Sie fragen nach einer Erklärung des Begriffes: Witz. Schwer zu beantworten. Die landläufige Erklärung bezeichnet den Witz als das Talent, zwischen zwei scheinbar völlig fremden und verschiedenartigen Dingen unvermuthete Aehnlichkeiten zu entdecken. Je ungesuchter und unvermutheter eine solche Aehnlichkeit plötzlich zu Tage gebracht wird, je mehr wird sie wirken, und Ruge hat ganz Recht, wenn er den Witz einen Wechsel auf Sicht nennt, weil er nur dadurch wirkt, daß er auf der Stelle acceptirt wird. Lichtenberg, Jean Paul, Lessing etc. geben ausführlichere Erklärungen dieser spielenden Urtheilskraft, die – man kann es nicht leugnen – bei den Franzosen sehr ausgebildet erscheint, obschon uns „Kladderadatsch“ und „Berliner Wespen“ jede Woche belehren, daß wir in Deutschland auch in dieser Beziehung mit Frankreich concurriren können. Ein geistreicher Vertreter des Witzes in Paris war der alte Dumas, von dem erst jetzt nach und nach die pikantesten Bonmots zu Tage gefördert werden.

Er wurde einst von einem Marquis gleichzeitig mit einem Herrn V., mit dem er auf sehr unfreundlichem Fuße stand, zur Tafel geladen. Als Herr V. hörte, daß auch Dumas kommen werde, wollte er die Einladung nur unter der Bedingung annehmen, daß sich der berühmte, wegen seines Witzes gefürchtete Schriftsteller dazu verpflichtete, bei der Tafel nicht öfter als ein einziges Mal zu sprechen. Der Marquis theilte das Dumas mit, natürlich in der Erwartung, daß dieser eine solche Zumuthung zurückweisen würde. Zu seinem Erstaunen nahm er aber die Bedingung an.

Bei dem Diner ging es sehr lebhaft zu. Herr V. war ausnehmend gesprächig und ließ seinen Witz sprühen, während Dumas zur Verwunderung der Gäste ganz stumm auf seinem Platze saß.

Zum Dessert wurden Pasteten aufgetragen, die Herr V. sehr gern aß. Er langte auch tüchtig zu. Als der Teller zum letzten Male herumging, hatte Herr V. jedoch des Guten genug gethan und sagte zu einer Dame, die ihm die Pasteten reichte: „Entschuldigen Sie, ich habe schon so viele Pasteten vertilgt, wie Simson Philister erschlagen hat.“

„Und mit demselben Instrumente,“ setzte Dumas, der nun zum ersten Male den Mund aufthat, trocken hinzu.

Unter dem lauten Gelächter der Anwesenden verließ Herr V. die Gesellschaft.

W. Z. in L. Die Verfasserin des Artikels „Ein Grab im Unterland“ in unserer Nr. 50 des vorigen Jahrgang ist Frau E. Vely in Stuttgart.

C. F. in E. Gedulden Sie sich noch eine kleine Weile! Eine der allernächsten Nummern unseres Blattes wird Ihnen die Abbildung des Sitzungssaales mit den hervorragendsten Vertretern des „Processes Arnim“ bringen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_020.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2019)