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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


sich um einen bloßen Scheinkauf gehandelt habe, daß Ihnen die ausbedungene Summe nie bezahlt sei – und das möchte unter Umständen seine Schwierigkeiten für Sie haben.“

„Ich würde das beweisen müssen? Aber der Andere hatte ja nichts, um überhaupt Ansprüche an mich erheben zu können; denn das aufgenommene Document blieb ja in meinen Händen, und ich habe es zerrissen, verbrannt.“

„Das,“ versetzte lächelnd Landeck, „ist eben eine damenhafte Ansicht von juristischen Geschäften. Sie haben die Urkunde zerrissen, aber der Notar bleibt doch da, der sie aufnahm; die Zeugen bleiben da, welche sie unterschrieben. Diese müssen das Vorhandengewesensein eines solchen Vertrages vor Gericht bezeugen. Und dann kann Ihr Gegner, wenn Sie geflissentlich ein ihm werthvolles Document vernichtet haben, eine große Entschädigung von Ihnen verlangen. Das ist doch einzusehen, ohne daß man ein Jurist ist. Und dann ferner: wenn Sie solch ein Document vernichtet haben, so fragt es sich sehr, ob damit irgend etwas für Ihren Widerpart verloren ist. Ich erinnere mich, daß mein verstorbener Vater, als er seinen Abschied als Major nahm, um sich eine Beschäftigung zu verschaffen, einen Garten vor dem Thore meiner Heimathstadt erstand. Er bekam dabei ein Document über den Kauf ausgeliefert, aber es war das nicht das eigentliche Original, bei dessen Aufnahme ich selbst zugegen gewesen war. Das Original bleibt entweder im Archive des Notars, oder es wird dem Gerichte eingereicht; welches von beiden der Fall ist, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß es aufbewahrt bleibt. Sie sehen also, meine gnädige Frau, daß in dem Falle, welchen Sie angenommen haben, Fräulein Lini oder Fräulein Lini's Erben immer noch kommen könnten, um sich die hüsche kleine Meierei dort oben von Ihnen auszubitten.“

„Wirklich – wirklich – ist dem wirklich so?“ rief Frau von Haldenwang, offenbar erschrocken.

„Ich glaube nicht, daß ein Jurist Ihnen eine wesentlich anders lautende Antwort geben würde. Also,“ setzte Landeck lächelnd hinzu, „wenn Sie einmal durch ein solches Geschenk in der Maske eines Verkaufs Fräulein Lini’s treue Dienste belohnt haben sollten, so wäre es das Beste, Fräulein Lini noch obendrein stets recht gut zu behandeln und sich dadurch der Gefahr zu entziehen, in einen bedenklichen Proceß mit ihr oder ihren Erben zu gerathen.“

Frau von Haldenwang sah ihn mit einem eigenthümlich unwilligen und fast vorwurfsvollen Blicke an, gerade als ob sie sagen wollte: „Du kannst noch scherzen?“

Beide gingen dann schweigend neben einander her, bis Landeck plötzlich sagte:

„Doch wie dumm, daß ich nicht gleich darauf kam! Es giebt ja ein ganz ausreichendes Mittel, sich vor allen Folgen bei solch einer Sache zu schützen. Sie haben sich nur von dem Andern – in unserm Falle also von Fräulein Lini – einen Revers ausstellen zu lassen.“

„Einen Revers? Was will das sagen?“

„Eine Bescheinigung, daß der ganze Handel ein Scheinkauf war; daß Fräulein Lini niemals für die Meierei auch nur einen Groschen bezahlte oder bezahlen wollte.“

„Das ist wahr, das ist wahr,“ fiel Frau von Haldenwang lebhaft ein, „o, wer daran gedacht hätte!“

„Wer daran gedacht hätte? Ist es denn bereits zu spät!“

Die schöne Frau wandte sich ab, als ob sie plötzlich nach Hause zurückkehren wolle, dann aber wieder Landeck zu, um ihm die Hand zu reichen.

„Ich danke Ihnen,“ sagte sie sehr bewegt, „Sie haben meine ,damenhaften Vorstellungen’ in einer Weise berichtigt, für die ich Ihnen sehr verbunden bin, und wie Sie sagen, so wird es sein; es ist ja Alles so einfach und selbstverständlich, daß ich weiter keiner Ergründung der Sache bedarf – lassen Sie die Juristen also vorläufig nur aus dem Spiele! Adieu, Herr Landeck, Adieu!“

Damit wandte sie sich noch einmal und schritt mit ihrem elastischen anmuthigen Gange über den Kies, auf dem die feinen braunen Stiefelchen knirschten, die Allee wieder hinauf.

Landeck blickte ihr nach, bis sie nach rechts hin in einen der in den Wald führenden Schlangenpfade abbog und verschwand. Betroffen wanderte er dann weiter und über den langen, den Fluß überbrückenden Plankensteg.

Er war abermals mit einem Räthsel mehr belastet. Es war offenbar, daß aus Frau von Haldenwang eine Sorge gesprochen hatte. Und wenn dabei irgend etwas wie ein Scheinkauf zu Grunde lag, irgend etwas so rein Geschäftliches, weshalb wandte sie sich dann an ihn, den Fremden, der mit allem Rechtswesen der Gegend am meisten unbekannt war, der nichts thun konnte, ihr beizustehen, außer dem, was er jetzt schon unwillkürlich that, nämlich rascher zu gehen, um sich daheim von Herrn Escher das „Allgemeine Landrecht“ auszubitten und darin den Titel von Käufen und Verträgen zu studiren? Die Sache beschäftigte ihn so sehr, daß er sich erst durch all die Fragen, die sie in ihm hervorrief, arbeiten mußte, ehe er über ihre Worte nachsinnen konnte, daß sie nur die Menschen mißhandle, welche sie beleidigten, daß er einmal sein Gewissen prüfen solle. Hatte er sie denn wirklich beleidigt? Wenn sie ihm dies so rund heraus vorwarf, so mußte diese Beleidigung auch so sein, daß sie sich offen darüber aussprechen konnte, ohne sich etwas zu vergeben. Sie war die letzte Frau auf Erden, die ihm gestanden hätte: „ich zürne Dir, weil Du nicht um meinetwillen gekommen bist,“ das nicht! Aber weit eher schon: „Ich zürne Dir, weil Du glaubst, es aussprechen und deutlich erklären zu müssen, daß Du nicht um meinetwillen gekommen. Wegen dieser arroganten Thorheit. Als ob ich und die Welt solcher Versicherung bedürfe. Als ob es möglich sei, daß Jemand daran denke, solch ein armer Hauslehrer habe die Verrücktheit …“

Landeck dachte den Satz nicht aus. Ein Gefühl von großer Beschämung überkam ihn und wollte nicht mehr von ihm weichen, weil das Bewußtsein, daß er das Richtige gefunden, und daß er sich bisher mit außergewöhnlicher Tactlosigkeit betragen, ihn in helle Verzweiflung stürzte.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Auserwählte auf dramatischem Gebiet.


Den poetischen Schimmer, den die ewigen Gestalten der dramatischen Dichtkunst auch auf die Persönlichkeit ihrer Darsteller und Darstellerinnen zurückstrahlen, sehen wir besonders gern noch durch den romantischen Hauch der meist an Abenteuern reichen Schauspielerbiographien erhöht. Um so mehr gewinnt es hinwieder seinen eigenen Reiz, eine gefeierte Künstlererscheinung aus einfachen Verhältnissen und Erlebnissen auf dem Wege schulmäßig geregelter Bildung und Entfaltung hervorgehen zu sehen.

Eine solche Erscheinung, die auf dem Wege planvoller, mit norddeutscher Regelung, ganz im Geiste unserer systematischen Zeit verfolgter Bildung zur Künstlerin von interessanter Eigenart und verbreitetem Rufe sich entwickelte, ist die sächsische Hofschauspielerin Pauline Ulrich, in deren Spiel und Persönlichkeit, bei allem Zauber glänzender Kunstbegabung, ein feiner Ton von jener eigenen Art bürgerlicher Anmuth mitklingt. Wir führen sie heute im Bilde unseren Lesern vor, als „eine Auserwählte auf dramatischem Gebiete.“

Pauline Ulrich ist in Berlin geboren, wo ihr Vater seit seiner Jugend ein geschätztes Orchestermitglied des Hoftheaters war. Die sorgsamen Eltern beschlossen, die früh geweckte, lieblich aufblühende Tochter zur Gouvernante ausbilden zu lassen. Aber als sie mit Lust und Ernst einen ersten Versuch in dieser Carrière unternahm, den Schwestern Clavierstunden ertheilend, kam es bei ihrem erregbaren, ungeduldig befehlenden Wesen nur allzu bald zu dramatischen Auftritten, die sie zur Erzieherin nicht eben geeignet erscheinen ließen. Ein ehrbegieriger, phantasievoller Trieb nach Außergewöhnlichem trat immer mächtiger in ihr hervor. Er fand seine Klärung und sein bestimmtes, begeisterndes Ziel, als im fünfzehnten Jahre sich die Liebe zur Poesie in ihr entfachte. Von nun an glänzte ruhescheuchend der Lorbeer in ihren Mädchenträumen, und lernte sie ihn nicht durch eigene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_044.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)