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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

zunächst, daß von je hundert Briefen dreiundachtzig ihren respectiven Absendern zurückgegeben werden konnten, daß aber der Rest von siebenzehn Procent oder in Summa einhunderteinundachtzigtausend Briefe definitiv unanbringlich geblieben und daher bestimmungsmäßig nach Ablauf von drei Monaten durch Feuer vernichtet worden sind.

Es mag der Phantasie eines Jeden überlassen bleiben, sich zu vergegenwärtigen, welche Summe von getäuschter Hoffnung, Sorge und Kummer, ganz abgesehen von den in vielen Fällen sicher nicht unerheblichen materiellen Nachtheilen, diese Zahl in sich schließt. So groß dieselbe aber auch ist, erscheint sie dennoch völlig erklärlich, wenn wir berücksichtigen, daß beim Schreiben eines Briefes wohl nur in den seltensten Fällen an die Möglichkeit gedacht wird, der Brief könnte aus irgend einem Grunde nicht in die Hände des Adressaten, sondern statt dessen unter die postamtliche Scheere gelangen. Daher kommt es denn auch, daß in weiterer Folge bei der Eröffnung der Briefe sich zeigt, wie die Unterschrift derselben, statt den Namen und, was besonders bei Briefen aus größeren Orten oft eben so wichtig ist, die Wohnung des Absenders zu enthalten, in zahlreicher Fällen, wohl für den Empfänger, nicht aber für dritte Personen genügend verständlich ist, wie zum Beispiel: „Deine aufrichtige Freundin Anna – Ihr dankbarer alter Kriegskamerad – Dein Dich liebender Onkel, etc.“

Derartige Briefe, sobald sie nicht etwa aus kleinen Orten herrühren, in denen meistens die persönlichen Beziehungen des Einzelnen genau bekannt sind, haben, wie es in der Natur der Sache liegt, eine nur geringe Aussicht, in die Hände der Absender zurück zu gelangen. Ebenso aber auch die mit: Dein Vater, Deine Mutter, Schwester etc. und selbst die mit Schulze, Müller, Schmidt und andern weitverbreiteten Familiennamen unterzeichneten Briefe, die nicht zugleich die Wohnungsangabe des Absenders enthalten. Kann nämlich die Aufgabepostanstalt, welche die Briefe zurück erhält, nachdem dieselben von der Eröffnungscommission mit dem amtlichen Siegel wieder verschlossen und mit der, wie oben erwähnt, oft genug unzureichenden Bezeichnung des Absenders versehen worden sind, kann also die Postanstalt den Letzteren, beispielsweise den Herrn Schulze oder den Onkel August, nicht auffinden, so wird hierzu im Weiteren die Mitwirkung der Ortspolizeibehörde in Anspruch genommen. Führt nun aber, ein bei dem Mangel der Wohnungsangabe und der oft großen Zahl gleichnamiger Personen recht oft vorkommender Fall, auch dieses letzte Mittel nicht zum Ziel, so wird der vielgeplagte Brief, mit einem bezüglichen Polizeiatteste versehen und als definitiv unbestellbar, demnächst der Commission wieder übersandte um dann nach drei Monaten den Flammen geopfert zu werden, sofern nicht etwa, ein übrigens seltener Fall, der Absender den Brief inzwischen reclamiren sollte.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Zahl der unanbringlichen Briefe sich in dem Maße erheblich vermindern wird, in dem die Kenntniß postalischer Einrichtungen in immer weitere Kreise des correspondirenden Publicums eindringt.

Zur Erreichung dieses Zweckes geschieht nun gegenwärtig schon Vieles und jedenfalls beträchtlich wehr als zu irgend einer früheren Zeit. Wir brauchen hier nur auf die in den öffentlichen Blättern erscheinenden Bekanntmachungen der obersten Postbehörde hinzuweisen, welche bestimmt sind, das Publicum über postalische Anordnungen der verschiedensten Art zu unterrichten. Einen weiteren Beweis, wenn es dessen bedürfte, liefert das periodische Erscheinen des Postblattes wie der „Nachrichten für das correspondirende Publicum“, die bei einer jeden Postanstalt, beziehentlich von einem jeden Orts- oder Landbriefträger sowie bei den amtlichen Verkaufsstellen für Postwerthzeichen für den Preis von zehn Pfennigen zu haben sind. Trotzdem nun steht es fest, daß gerade auf jenen Theil der Bevölkerung, welcher am meisten der Belehrung bedürftig ist, auf die unteren Volksclassen und namentlich auf den größeren Theil der Landbewohner unsere Tagespresse mit ihren Veröffentlichungen einen verhältnißmäßig nur unbedeutenden Einfluß auszuüben vermag, zum Theil wegen der geistigen Trägheit der großen Menge, besonders aber, weil in diesen Kreisen überhaupt keine Zeitungen gelesen werden.

Soll hier also Abhülfe geschaffen werden, so erübrigt nur, den Hebel etwas tiefer unten anzusetzen, nämlich – bei der Volksschule. Für einen überwiegend großen Bruchtheil der Bevölkerung ist hier allein der Ort, wo so manche Kenntnisse, die das bürgerliche Leben als vorhanden voraussetzen muß, ohne Schwierigkeit dem Kinde eingeprägt werden können. Schon hat der geniale Chef unserer Postverwaltung mehrfach in dieser Beziehung seinen Einfluß auf die oberen Leiter der Volksschulen, die Directoren der Lehrerseminare etc. geltend gemacht. In der Natur der Sache liegt es aber, daß der so gestreute Same nur allmählich, dafür allerdings um so sicherer reift. –

Fassen wir den Gesammtinhalt des soeben Gesagten dahin zusammen. Ein Jeder, der einen Brief, Geldbrief oder ein Packet zur Post liefert, denke an die Möglichkeit, daß der Brief etc. aus irgend einem Grunde, wie es deren verschiedenartige giebt, nicht bestellt werden könne und daher an den Aufgabeort zurückgelange. Enthält nun die Außenseite des Briefes nicht den Namen des Absenders, so erfolgt, falls nicht sonstige Merkmale denselben erkennen lassen, die Einsendung des Briefes an die Oberpostdirection. Ergiebt hier auch die amtliche Eröffnung kein genügendes Resultat, so wird der Brief drei Monate lang aufbewahrt und demnächst verbrannt. Eine etwaige Wertheinlage, sowie der Inhalt der unanbringlichen Packete, soweit derselbe nicht inzwischen verdorben ist (Früchte, Backwerk, Fleisch, Fisch etc.), wird, falls keine Reclamation erfolgt, nach drei Monaten und nach erfolgter bezüglicher Bekanntmachung durch die amtlichen Blätter auctionsmäßig verkauft und fällt der Erlös gesetzlich dem Postarmenfonds zu. Im Interesse eines Jeden liegt es daher, seine Correspondenz etc. am besten auf der Außenseite des Couverts, mindestens aber im Innern des Briefes mit voller, deutlicher Namens- und Wohnungsangabe zu versehen.

Der Zweck dieser Zeilen würde erfüllt sein, wenn die Statistik der Reichspostverwaltung pro 1875 eine Abnahme der als unanbringlich eingesandten und beziehentlich der verbrannten Briefe nachwiese.

Hannover.

Werner Persuhn.


Eine Muttergotteserscheinung auf dem Schlosse zu Heidelberg.
Von Wilh. H-m.

Ein gutes Stück der Erde habe ich gesehen – in drei Welttheilen. Ich habe im scharfen Kaïk den Bosporus durchkreuzt und bin auf baufälligem Dampfer von Neapel nach Capri gefahren, sah die Tajo-Mündung und den Mälarsee, bin gestanden auf den Syeniten der Nil-Katarakte und auf dem Kreidefelsen von Arcona, blickte herab vom Rigi und von der Akropolis – aber nirgends, an keinem dieser gefeierten Punkte, ist mir das Herz so aufgegangen, wie auf der Terrasse des Heidelberger Schlosses. Was da den Augen sich als Weide bietet, ist das Schönste aller Lande, denn es ist zugleich die Heimath, ist deutsch. Hier hat die Romantik ihren Wohnsitz aufgeschlagen für immer und läßt sich nicht vertreiben; sie sitzt als Zauberin Jetta am Wolfsbrunnen des Granithügels, irrt als Wildeweiblein in den dunklen Buchenhallen, taucht als Schwanjungfrau aus dem grünen Neckar, jagt nächtlich als Frau Holle im Gefolge des Rodensteiners über die gerundeten Berge des Odenwaldes oder läßt als Stromhüterin das Gold des Nibelungenhorts im Abendstrahl durch den Spiegel des fernen Rheines schimmern. So getränkt mit Märchen, Mythen und Poesie ist kaum noch eine andere Gegend der Erde; nur das sagenreiche Thüringen mit seiner wunderbaren, waldumrauschten Wartburg kann sich in dieser Hinsicht mit dem Heidelberge und seiner Pfalz messen. Und nicht minder blickt der sinnige Gast von dieser Höhe hinab auf ein großes Stück Geschichte, in welcher der Erbfeind deutschen Wesens und Strebens die schlimmste Rolle gespielt hat; auf die Frage, was er an uns verbrochen, geben die Ruinen des prachtvollsten Schlosses der Welt eine bittere Antworte denn hier reden in der That die Steine.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_051.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)