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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Allein ein Anderer war ihnen schon zuvorgekommen. Auch die Jungfrau Maria kannte den geheimen Pfad und hatte den Meister Beelzebub auf demselben nach sich gezogen, als ihr Werk bei dem Kurfürsten beendet schien. Die Herrin des Himmels sammt dem Fürsten der Hölle wollten im Verstecke auf dem Vorplatze ohne Zweifel die weitere Entwickelung des Abenteuers abwarten. Allein durch die Eichenthür des Schlafgemachs drang so verlockend das Schnarchen eines Gerechten, daß die heißblütige Rache alle Vorsicht und Vorsätze überwog. Mit zitternder Hand riß die Gottesmutter einen Schlüssel aus dem Busen und zwang ihn ihrem Gesellen, dem Teufel, auf.

„Die Zeit ist günstig; er schläft. Was warten wir der Andern?“ flüsterte sie ihm zu. Der Schlüssel dreht sich im Schlosse; die Pforte öffnet sich; der böse Feind ist im Innern. Wenige Schritte entfernt zeigt ihm das matte Licht einer gedämpften Ampel den Pfalzgrafen auf seinem Lager im tiefsten Schlummer. Er zückt einen scharfen Dolch und schleicht dem Bette zu, da stößt sein Fuß auf einen Gegenstand, und gleichzeitig springt eine Hünengestalt vom Boden empor. Der wackere Gemmingen war’s, der hier zu Füßen seines Herrn im Schatten gelegen. Zwar fährt er entsetzt zurück, als er die grausenhafte Teufelsgestalt erblickt, doch zugleich kehrt sein Muth zurück, da er den Dolch auf sich gerichtet sieht. Mit furchtbarem Stoße der linken Faust wirft er das Ungethüm zurück, daß es auf die Kniee fällt; brüllend will es sich wieder heben, da pfeift ein scharfes Schwert, und mit gewaltigem Hiebe vom Rumpfe getrennt, kollert das gehörnte Teufelshaupt über den Boden. Der Pfalzgraf, von dem Getöse jäh erwacht, war emporgesprungen und hatte die neben dem Bette lehnende Streitaxt ergriffen. Geispitzheim stürzte mit gezückter Waffe heran; er warf ein Fenster auf, und: „Verrath, Mord, Hülfe!“ gellte es schreckbar über den Schloßhof.

In diesem Augenblicke trat der verstörte Kurfürst, unterstützt von den beiden Vehmrittern, in die Pforte des Gemachs seines Bruders. Den Vehmrittern ward die gefährliche Situation sofort klar; sie ließen ihre willenlose Beute im Stiche und entflohen in entgegengesetzter Richtung über die Wendeltreppe. Auf deren untersten Stufen traten sie mit Füßen einen wimmernden Leib, aber sie achteten dessen nicht; wohlbekannt mit den Irrgängen des Schlosses, entkamen sie den Verfolgern und wurden nicht mehr gesehen. Droben aber war Kurfürst Ludwig wiederum bewußtlos zusammengebrochen. Zwar gelang es den Aerzten und der Pflege seiner treuen Gattin Margarethe von Savoyen, ihn wieder in's Leben und zur Besinnung zu bringen, so daß er die Ereignisse der furchtbaren Nacht dem Cancellar Kemnath zu Protokoll geben konnte, aber dennoch erholte er sich nicht von dem Schlage, der ihn betroffen. Er wurde blöde an Geist und lebte nur noch ein paar Monate. Der Pfalzgraf forschte mit seinen Getreuen unablässig den Urhebern des Bubenstücks nach; sie waren bald gefunden. Den Teufel hatte der verbannte Beichtvater des Kurfürsten gespielt, die Himmelskönigin aber die Gräfin Eleonore von Lützelstein. Beide hatten ihren Lohn dahin. Denn als Letztere an der halbgeöffneten Thür den Kopf des Bösen fliegen sah, wandte sie sich zur eiligen Flucht nach der Wendeltreppe, verwickelte sich aber in ihrem langhinschleppenden Sternenmantel, stürzte hinab und brach den Fuß. Ueber sie hinweg setzten die fliehenden Ritter. Die Gräfin wurde bald gefunden und mit ihr der Faden der Verschwörung. In einem Kloster strengster Regel soll sie als hartgehaltene Gefangene noch ein paar Jahre lang ihr verkrüppeltes Dasein hingeschleppt haben. Dies Alles ist geschehen im Jahre des Herrn 1449 auf dem Schlosse zu Heidelberg im Ruprechtsbau, und heute noch mahnen daran die Trümmer der Wendeltreppe.

Pfalzgraf Friedrich aber, zum Regenten erhoben als Vormund von seines Bruders nur einjährigem Sohne Philipp, drückte sich den Kurhut auf die Stirn, schwur, dem jungen Thronerben ein treuer Vater zu sein, und faßte dann die Zügel der Regierung mit heldenfester Faust. Vor Allem ließ er seiner wohlberechtigten Rache gegen die Lützelsteiner freien Lauf. Er vertrieb dieses Geschlecht aus allen ihm noch gebliebenen Besitzungen und demüthigte es auf das Empfindlichste. Schon zwei Jahre nach dem geschilderten Ereignisse hatte er die blutigste Genugthuung genommen.

Wie Friedrich dann den Pfaffen trotzte und den Hochmuth der Bischöfe bändigte, die Blitze des Vaticans kraftlos an sich niedergleiten ließ und dem allgemeinen Aufgebote, das sich unter dem Bannerspruche: „Fluch, Verderben und Tod dem Verletzer der heiligen Hirtengewalt der Kirche!“ gegen ihn wandte, mannhaft die Spitze bot, wie er im Vereine mit den pfälzischen Städten die Burgen der Raubritter brach und ihr Gezücht aus seinen Landen trieb, wie er der zum schmählichsten Mißbrauche gediehenen heiligen Vehme den Garaus machte, bis er alle seine Feinde niedergeworfen oder in Freunde verwandelt und den ruhmreichen Beinamen „der Siegreiche“ erworben hatte, dies Alles ist in der Geschichte verzeichnet. Nicht ist dies der Fall mit dem prächtigen Liebesromane seines Lebens; in der holden Sängerin Clara von Detten, einer Augsburger Patriziertochter, hatte er ein wackeres Weib errungen, welches ihm eine beneidete Häuslichkeit schuf. Noch sind Lieder vorhanden, welche den Reiz und die Tugend dieser seltenen Frau preisen und sie den Stolz ihres Jahrhunderts nennen. Dem Neffen wahrte Friedrich treulich Land und Krone. Seine eigenen Nachkommen sind heute noch in den fürstlichen Häusern von Löwenstein vertreten. –

Den freundlichen Lesern die Moral aus der vorstehenden Mittheilung zu ziehen, darf mir wohl erlassen bleiben, kann sie doch kaum anders lauten, als: „Vor Jahrhunderten so wie heute.“ Möge nur allenthalben der schleichenden Intrigue des Schwarzen und seiner Verbündeten, die auf Aberglauben und Schwachheit der Menschen ihre Pläne richtet, ein ähnliches Ende bereitet werden, wie es vor mehr als vier Jahrhunderten schon sammt ihren Spießgesellen die Muttergottes auf dem Heidelberger Schlosse erfuhr!




Blätter und Blüthen.


Der Heimgang eines Unglücklichen. Wenige kennen wohl den Namen: Johannes Kugler, den einzig die Erzählung „Im Fegefeuer“, welche im „Salon“ erschien, in weitere Kreise getragen hat. Die Natur überschüttete den vor Kurzem Dahingegangenen in ebenso verschwenderischer Laune mit den reichsten Gaben des Geistes und Gemüthes, wie sein Lebensschicksal ihm in stiefmütterlicher Grausamkeit all diese köstlichen Gaben, noch ehe sie voll erblüht waren, schmählich verkümmerte. Sein erschütterndes Ende ist von einer so fürchterlichen Tragik, daß es ihm noch im Grabe die Herzen Aller gewinnen wird, welche die Geschichte seines Lebens und Leidens vernehmen. Diese entwirft uns Adolf Wilbrandt in der Einleitung zu jener soeben von ihm aus dem Nachlasse des Freundes herausgegebenen Erzählung „Im Fegefeuer“. – Johannes Kugler war der Sohn des bekannten Kunsthistorikers Franz Kugler und dessen Gattin, der Tochter des Criminalisten und Biographen Hitzig. Nach einer an nachhaltigen geistigen Eindrücken überaus reichen Kindheit wandte sich der geistvolle Jüngling zuerst dem Studium der Naturwissenschaften zu, vertauschte aber dann die akademischen Hörsäle mit den Ateliers bedeutender Künstler und warf sich endlich ganz der Malerei in die Arme. Von früher Jugend an durch ein immer wachsendes Nervenleiden in seinen geistigen Bestrebungen gehemmt, gestaltete sich sein Leben zu einem heldenhaften Kampfe seines von edlem Ehrgeize entflammten Geistes mit einem siechen Körper: in München, Weimar, Rom und wieder in München hat er diesen Kampf tapfer gekämpft, bis seine Kraft erschöpft war. Wilbrandt schildert sein Ende folgendermaßen:

„Als seine Krankheit hoffnungsloser und qualvoller wuchs, hielt ihn weniger seine Entsagungs-Philosophie, als die Liebe zu seiner Mutter auf der Erde zurück, zu dieser in Glück und Unglück hochgestellten Frau, in deren geräuschlosem Lebenslaufe sich alles Schönste und alles Schrecklichste dieser Welt erschöpfen sollte. Sie hatte zuerst im Hause ihres Vaters (des Biographen Hoffmann’s, Chamisso’s, Zacharias Werner’s), dann ihres Gatten, zuletzt ihres Schwiegersohns Paul Heyse, gleichsam drei Generationen von Dichtern, Künstlern, bedeutenden Menschen jeder Art erlebt, Huldigung, Verehrung, hingebende Liebe in jedem Lebensalter wie Lebenslust genossen; ihre Schönheit, ihre seelenvolle Anmuth, ihre ‚ewige Jugend‘ schlossen immer neue Zauberkreise um ihre zarte Gestalt. Dafür schonte sie auch das Schicksal nicht; sie, die nur in der Liebe und Treue der Ihren und in unerschöpflicher Opferfreudigkeit lebte, mußte Gatten, Tochter und Enkel sterben sehen, und diesen Sohn, ihren Benjamin, sah

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