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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 5.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Ach,“ sagte heftig Rudolph, „das Capital – das ist Euch allen zu einem Spukgespenst geworden, das Euch die Nachtruhe stört. Die Welt glaubt nicht mehr an den Vampyr und Nachtmähren, aber sie glaubt an das Capital, eine Art Ding mit ungeheuren Fledermausflügeln und einem Rüssel, das armen Leuten das Blut aussaugt. Der Onkel Gottfried ist eben mit drei Augen auf die Welt gekommen; das dritte ist seine Umsicht – und mit einem Fingerpaare mehr; das ist seine Arbeitskraft – und mit einem sechsten Sinne; das ist seine Gabe, das Richtige zur rechten Zeit zu thun. Und was Du von Malwinens Capital sagst …“

„So weiß ich, was ich sage,“ fuhr barsch und erzürnt über den Widerspruch der Alte dazwischen. „Als sie sich mit dem Baron Haldenwang verheirathete, war Gottfried krank. So kam es, daß ich in die Stadt mußte, um ihr als Zeuge zu dienen und damit doch einer von unserer Familie dabei sei. Malwine hatte es verlangt, um nicht so wie die reine wie vom Himmel gefallene Bühnenprinzessin dazustehen; sie wollte, daß Einer von den Ihren dabei sei. So mußte ich mich, da Gottfried nicht gehen konnte, wohl entschließen und ging. Am Tage vor der Trauung sprach ich über ihre Verhältnisse und die unseren mit Haldenwang. Haldenwang hob es rühmend hervor, daß Malwine solche große Ordnung in ihren Geldangelegenheiten gehalten; daß sie so gut wie gar keine Schulden und noch einen hübschen Gehaltrest von der Theatercasse zu fordern habe. Ich bemerkte, daß ihr das ja auch leicht geworden, da sie das hübsche Capital von ihrem Vater geerbt habe. ‚Davon‘, fiel mir der Baron Haldenwang lächelnd und achselzuckend in’s Wort, ‚hat sie nie einen Pfennig gehabt – das hat Ihr Bruder Gottfried, der ihr Vormund war, für sich behalten und es in seine Fabrik gesteckt – so viel‘, fuhr Haldenwang fort, ‚hat sie mir, als ich die Sache einmal berührte, davon gesagt, aber auch nicht mehr; ich sah, daß es ihr peinlich war, davon zu reden, und so will ich auch die Sache auf sich beruhen lassen.‘“ –

„Du kannst Dir denken, Rudolph,“ redete Gotthard Escher weiter, „wie mich das traf. Ich war gekommen, um bei Malwinens Trauung mit dem stolzen Baron die Ehrenhaftigkeit einer achtungswerthen Bürgerfamilie zu vertreten; ich hatte dabei auch den festen Grund unter mir gehabt, daß sie nicht ohne eine respectable Mitgift zu ihrem Manne komme, sondern just so viel bringe, als wenn Haldenwang eine adlige Dame seines Standes geheirathet hätte, die ja hier zu Lande auch aus den Familiengütern nichts weiter erhalten, als so viel wie etwa Malwine haben mußte. Und nun mußte ich das hören! Sie hatte nichts, und ihr Vormund, ihres Vaters leiblicher Bruder, er hatte so an ihr gehandelt. Wie mußten wir in den Augen dieses hochmüthigen Edelmannes erscheinen! Es war ein Schlag für mich, den ich nicht wieder verwunden habe.“

„Also das hat Dir Haldenwang gesagt?“ flüsterte mit schwer gepreßter Stimme Rudolph, der während der Worte seines Vaters, die Hände zusammenkrampfend, dagesessen und ihm in's Gesicht gestarrt hatte – das hat er Dir gesagt?“

Rudolph blickte dabei in seines Vaters Züge, als ob er ihn mit seinen Blicken zwingen könne, das Alles ungesagt, ungeschehen zu machen. Aber sein Vater antwortete ruhig:

„Das hat er mir gesagt, wie es ihm Malwine gesagt hat, die es wissen muß und ihren Bräutigam nicht belogen hat. Oder glaubst Du, daß Malwine ihr Capital für ihre Pariser Schneiderinnen, für ihre Hüte und seidenen Kleider vergeudet und dann ihrem Bräutigam vorgelogen hat, ihr Vormund habe es in seine Tasche gesteckt?“

„Nein, nein, nein!“ rief Rudolph aus, „und doch, und doch …“

„Du zweifelst immer noch? Nun wohl, dann will ich Dir mehr sagen. Als ich damals heimkam und Gottfried wiedersah, hielt ich natürlich nicht mit meinen Vorwürfen zurück. Und er, er sprach keine Silbe zu seiner Rechtfertigung; er leugnete mit keinem Worte. Sein böses Gewissen gab ihm nichts Besseres ein, als mit forcirtem Zorne und Aufbrausen jede Aufklärung zu verweigern.“

Rudolph sprang auf wie in heller Verzweiflung.

„Gieb Dich d’rein, Rudolph!“ fuhr der Alte fort. „Ich habe davon Dir gegenüber geschwiegen bis heute; denn was ging’s Dich an? Aber heute hab’ ich Dir’s gesagt, damit es Dir ein Trost darüber sei, daß dieser Mann nicht Dein Schwiegervater werden will; sein Hochmuth kann Dich jetzt nicht mehr kränken. Ich habe es Dir auch gesagt, damit Du nicht denkst, Dein Vater handle unbrüderlich an ihm, wenn er jetzt die Hände in den Schooß legt und unthätig zuschaut, wie der Sturm ihn erfaßt und die Wogen des Schicksals über ihn dahingehen. Denn ich rühre jetzt nicht den kleinen Finger mehr für ihn – lieber spreche ich mit den Frommen: es ist Gottes Strafgericht.“

Gotthard Escher erhob sich mit Mühe von der Bank; er schien sich an diesem Tage sehr ermüdet zu haben und es jetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_073.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)