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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

ausgesetzt für ein wirklich erfolgreiches Mittel, und man kann sich denken, welche Menge von Glücksjägern sich darum beworben hat. Allein bis jetzt vergeblich.

Die befriedigendste Wirkung hat bisher das Unterwassersetzen der Weingärten mehrere Wochen hindurch während des Winters gezeigt, es kann jedoch dieses Verfahren begreiflicher Weise nur in der Ebene und dort, wo Wasser vorhanden ist, angewendet werden. Dann hat sich das Umgeben der Rebenwurzeln mit feinem Sande, am besten von der Meeresküste, als erfolgreich bewiesen, aber wie schwierig und kostspielig würde es sein! Starkes Kräftigen der Pflanzen durch entsprechende Düngung und nebenbei Anwendung eines Bodenvergiftungsmittels scheinen bis jetzt unter allen Verfahren den Vorzug zu verdienen; als Vergiftungsstoffe wendet man solche an, deren Dünste sich möglichst weithin im Boden verbreiten, so: Schwefelkohlenstoff, der jedoch neben den Rebläusen leicht auch die Weinstöcke tödtet; schwefelkohlensaures Kali, welches nach Dumas den Reben nicht schaden soll; Steinkohlentheeröl oder Carbolsäure. Gilt es, einen vereinzelten Infectionsherd im Interesse der angrenzenden Weinberge zu vernichten, so müssen die Rebstöcke ausgehauen, sammt Blättern und Wurzeln verbrannt der Boden rigolt, mit Schwefelkohlenstoff behandelt und mindestens ein Jahr lang der Weincultur entzogen werden. Wird er derselben wieder zugeführt, so empfiehlt sich starke Düngung, wohl auch die Anwendung von mit Steinkohlentheeröl imprägnirten Rebpfählen, die sich außerdem durch dreifach längere Dauer als ein Mittel gegen die kostspielige Holzverschwendung empfehlen. In Frankreich will man das Uebel durch Einführung amerikanischer Reben, die demselben am besten widerstehen, bannen, allein diese liefern keinen Chateau Yquem oder Hermitage, keinen Rauenthaler oder Forster, ja nicht einmal einen rheinischen sogenannten Garibaldi oder Flöhpeter. Sie müßten daher durch Pfropfen veredelt werden, was aber dadurch gewonnen wäre, ist nicht recht einzusehen.

Die Abbildungen, welche wir unserem kurzen Berichte mit auf den Weg geben, sind den unübertroffenen Zeichnungen des Professors Dr. Leonhard Rösler in Klosterneuburg nachgebildet, welche bei der entomologischen Ausstellung zu Paris 1874 mit dem ersten Preise, der goldenen Medaille, ausgezeichnet und in dem österreichischen landwirthschaftlichen Wochenblatte veröffentlicht worden sind. Ihre Treue ist zuverlässig. Die erste stellt eine Amme der Phylloxera vastatrix, ein junges Thier drei Tage, nachdem es das Ei verlassen, und die Eier in hundertfacher Vergrößerung dar; in der zweiten Zeichnung ist die Reblaus abgebildet, wie sie ihre Saugeröhren in das Zellengewebe der Wurzel senkt, die dritte giebt das vollkommene, geflügelte Insect wieder und zwar stets in der gleichen Vergrößerung. Die vierte Abbildung endlich stellt in natürlicher Größe die durch die Verletzungen der Schmarotzer entstandenen knolligen Verdickungen (Nodositäten) an den feinen Wurzelausläufern des Weinstocks dar; letztere werden dazu dienen, selbst dem Unerfahrenen auch ohne Loupe und Mikroskop das Erkennen des Auftretens der Phylloxera am Weinstocke zu erleichtern. Bis jetzt ist sie nur an diesem, an Obstbäumen nicht, gefunden worden.

Wie die Angelegenheit gegenwärtig steht, werden sich die Weinbauer vorläufig darein finden müssen, künftig auch trotz oder mit der Wurzellaus den Weinstock zu cultiviren, und nur dahin zu trachten haben, daß sie sich nicht in’s Unendliche vermehre. Die Erfahrung hat gelehrt, daß auch von dem Insecte befallene Reben gute Lesen geben können. Die Analogie ähnlicher Erscheinungen giebt aber den – freilich der Gegenwart unnützen – Trost, daß wahrscheinlich die Geißel der Phylloxera eines Tages verschwinden wird, wie sie gekommen ist. Meteorische Einflüsse werden sicherlich zur Verringerung des Uebels beitragen, und wie es der Intelligenz des Menschen gelungen ist, die schädliche Wirkung des Traubenpilzes, der Kartoffelkrankheit, der Seidenraupenseuche abzuwenden, so wird unzweifelhaft die Wissenschaft im Bunde mit der Praxis siegen über die neuen winzigen Verderber.

W. H.


Karlsbad im Schnee.
Ein Wintermärchen aus dem Böhmerwald.

Die Badenymphe hat längst ihre glänzende Toilette abgelegt und das bequeme Hauskleid angezogen. Und sie sieht darin ganz putzig und reizend aus, wie sie, die Hände müde in den Schooß gelegt, sinnenden Blickes der kaum verflossenen Zeit nachträumt, dem Gesumme und Gekicher in allen lebenden Sprachen, den rauschenden Festen, dem Frou-Frou der schönsten Frauen, dem süßen Geflüster unter dem verschwiegenen grünen Dache der großen Kastanienbäume, den Unterleib-Elegien melancholischer Hämorrhoidarier und nierensteinreicher polnischer Juden, begleitet von fröhlich lockender Labitzkischer Musik.

Seit Monden liegt Karlsbad unter weißer Decke – still und selbstbeschaulich. Trotz der Bahn rauscht der große Strom des Lebens weit von hier ab; kaum daß eine leichte Welle das Thal bespült. Der Winter herrscht mit rauher Hand. Schnee auf allen Höhen; Schnee in allen Straßen. Der eingeschneite tannenduftige Christbaumwald steht wie verzuckert da oben; über ihm blaut der Himmel mit blendend weißen Wolken; die niedlichen Häuschen der sich amphitheatralisch aufbauenden Stadt sehen verwundert aus ihren grünen Jalousienaugen drein; die Teyl schlingt sich wie ein weißglänzendes Atlasband durch die winterliche Landschaft. Sie ist fest zugefroren; auf ihrem Rücken schwingt sich die Jugend in fröhlichem Reigen, aber gegen den Markt zu wird das Eis immer dünner, und plötzlich durchbrechen es heiße Fluthen, die zischend, brodelnd und dampfend hoch hinaufsteigen.

Aber der Sprudel macht setzt sein altes Kunststück vor einem Parterre von Köchinnen, die muthwillig den alten Herrn an seinem weißen Barte zupfen und ihn zur häuslichen Arbeit zwingen, um die Hühner, Gänse und Enten zu entfedern.

Die Quellen ergießen sich rastlos, aber die Brunnen-Colonnaden sind geschlossen. Die meisten Hôtels, die Restaurants feiern. Die Aerzte haben ihre Winterquartiere bezogen, die Mitglieder der Labitzkischen Kapelle sich in alle Windesrichtungen zerstreut. Die Hausthore, die Verkaufsläden sind gesperrt. Das Curhaus feiert, nur in einem matt erleuchteten Eckzimmer servirt der „Brezelbub“; die Brunnen- und Cafémädchen machen große Toilette; die Fremdenführer fahren jetzt Sand und Ziegel zu den Bauten, und Mancher, der in der Saison mit der Sammelbüchse herumging, hängt jetzt die Flinte auf die Schulter, steigt den Wald hinauf, aus dem jeden Augenblick in die idyllische Ruhe des Thales ein Schuß hinabrollt, welchen das Echo der Berge vertausendfältigt.

Die „alte Wiese“, der Tummelplatz der Gesellschaft in der Saison, ist jetzt am verödetsten. Die Kastanienbäume ringen ihre dürren Arme über die nun geschlossenen Boutiken; die Kaffeehäuser sind leer. Der „Elephant“ sieht mürrisch drein wie ein alter maroder Menagerie-Geselle, der vor einem Pfennig-Publicum seine Künste machen soll; die Veranda des Hammerschmied’schen Etablissements ist mit Brettern verschlagen, und nur der weit ausschauende Name „Salle de Saxe“ zeugt von verschwundener Pracht. Die Fremdenzimmer sind geschlossen, die Kaufläden im Erdgeschoß rasch zu Wohnungen umgewandelt worden. Zwischen den wohlverschlossenen Doppelfenstern hängen süße Trauben; auf dem grünen Moose unten liegen weich gebettet die rothwangigen Aepfel; ein hübsches Kind blättert in der „Gartenlaube“, während die Mutter sich den Tisch am Kachelofen zurecht gerückt und in das Studium ihres Einnahmebuches vertieft hat; sie knüpft an die Namen der Miether biographisch-finanzielle Commentare von weittragender Bedeutung für das Erträgniß des Hauses. Die Linnen werden ausgebessert, zerrissene Vorhänge kunstgerecht vernäht. Man arbeitet und schwatzt, glossirt die Fremden, bespricht den letzten Ball und die Toiletten für den nächsten. Aber das Sehnen manch schönen Kindes flattert über die Berge hinüber, und wenn es den Leinlaken jetzt kunstgerecht stopft, gedenkt es dessen, der darauf mit dem lieben blonden Haupt geruht, der mit ihm so süß gesprochen – rasch zerdrückt es dann die heiße Thräne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_082.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2017)