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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Lebens gemeinste Sorgen konnten wir stets pariren – die Quelle des Uebels lag in uns selbst, oder schärfer ausgedrückt, in meiner Frau. Daß das keine Anklage ist gegen sie, die sich nicht mehr vertheidigen kann, wirst Du verstehen, wenn ich zu Ende bin. –

Was die Erde einem bescheidenen Sterblichen bieten kann, wurde uns zu Theil. Meine angenehme äußere Stellung, unser kleines, aber reizend gelegenes behagliches Heim, die treue Anhänglichkeit unsrer nächsten Verwandten, mit denen wir eine einzige große Familie bilden, Alles dies setzte uns in die Lage, es uns recht wohl sein zu lassen. So wähnten auch Alle, die uns nicht näher standen; sie beneideten uns wohl gar. Aber Jeder hat sein Kreuz zu tragen, und die das meinige von ferne sahen und es nur für ein schlichtes Marterholz hielten, wären wohl selbst unter seiner Wucht zusammengebrochen, wenn ich's ihnen zu schleppen hätte geben können. Meine arme Frau war stets in gereizter Stimmung. Nichts genügte ihr; über Nichts konnte sie sich von Herzen freuen. Nichts konnte ich mit ihr ruhig beplanen und berathen; Alles und Alle ärgerten sie. Wo ich den Himmel blau, wo ich die Morgenröthe rosenroth sah, da entdeckte sie schwarze Wolken, da prophezeite sie Sturm. Wenn ich die Freunde herzlich willkommen hieß in meinem Hause, da glaubte sie ein hämisches Augenzwinkern, ein spitzgemeintes Wort gegen sich selbst zu finden.

O Freund, es war eine traurige Zeit für mich, die Zeit der Ehe; kaum am Eingange blühten einige spärliche Rosen. Später wand sich der Pfad durch Dornengestrüppe, o sie rissen bis tief in's Herz hinein, die starren Dornen. Wirr, immer wirrer wurde mir im Gehirn und Herz. Oft bäumte ich mich auf in stiller Nacht gegen mein Schicksal: Womit, womit habe ich das verdient? Ein andrer, kalt rechnender Mensch hätte wohl an meiner Stelle anders gehandelt. Er hätte das Bleigewicht von seinen Füßen weggeschleudert und wäre lustig in der lachenden Fluth des Lebens weiter geschwommen. Ich bin kein solcher – ich hielt aus. Alles that ich, dem armen Weibe ihre sichtlichen körperlichen Schmerzen zu benehmen. In den zehn Jahren habe ich acht Aerzte consultirt, darunter die berühmtesten im Lande. Keiner erkannte ihr Uebel. Keiner konnte ihr auf die Dauer Linderung verschaffen. Da trat der Tod heran; ich hielt sie in meinen Armen, die alte Liebe gab mir Kraft dazu, aber er war mächtiger als ich; ich konnte Nichts thun als ihr nach dem letzten Athemzuge die Augen zuzudrücken, ach, die schönen braunen Augen! – Nun kam der Hausarzt und bat, das Blatt aufschlagen, das Räthsel lösen zu dürfen. Ich gab die Erlaubniß. Nach einer halben Stunde stand der Arzt vor mir und hatte zwei kleine graue Steine von der Größe eines Kirschkerns in der Hand.

'Das war,' sagte er, 'die Krankheit Ihrer armen Frau. Die Galle war vollständig vertrocknet; statt ihrer fanden sich die zwei als Gallensteine auffallend großen Verhärtungen. Daher ihre mangelhafte Verdauung, daher ihr schlechtes Gedeihen und ihre allgemeine Körperschwäche, daher natürlich auch die dürftige Ernährung des Gehirns und die oft sonderbaren Aeußerungen ihrer Verstandesthätigkeit.“

Freund, als mir das der Arzt sagte, da habe ich Thränen der Freude geweint, kühlend, stillend das bittere Weh; ich konnte ja nun mein todtes Weib wieder lieben. Sie hatte mich also nicht gequält, mit all ihren finstern Worten, aus Lust am Quälen; sie hatte keinen boshaften Sinn gegen ihre Umgebung; sie hatte nur dem unerbittlichen Naturgesetze unterstanden. Zwei elende Steine hatten ihr und mein Leben verbittert; die Functionen ihres Gehirns wurden durch die erbärmlichen zwei Steine gestört.

Nun kann ich mit Liebe meines Weibes gedenken; sie war gut wie je eins, und wenn der alte Wahnglaube sich bestätigen könnte, wenn sie zu mitternächtiger Stunde mir erscheinen könnte – danken würde sie mir, daß ich ihren Willen nicht geehrt habe.“

W.




Neue Kraftmaschinen. So wenig man die Heißluft-, Aether-, Gas- und Wasserdampfmaschinen entbehren möchte, ist man doch niemals ganz mit ihnen zufrieden gewesen, und hat beständig auf den Bau neuer Kraftproducenten – insbesondere für das Kleingewerbe gesonnen, die es besser machen sollen, und zwar zunächst in Betreff der Feuerung, die bei den hohen Kohlenpreisen der Gegenwart sehr unangenehm auf Theuerung reimt. Da die Erde an Petroleum unerschöpflich zu sein scheint, so hat man längst darauf gedacht, die Kessel mit diesem Material zu heizen. Aber wie das machen, ohne die Explosionsgefahr des Kessels auch noch nach dem Herdraume zu verpflanzen? Da haben sich nun die Amerikaner recht gut zu helfen gewußt, indem sie einen Herd aus Wasser einrichteten. Der Petroleumbehälter wird weit ab vom Kesselhause angelegt; ein unterirdisches Rohr bewirkt ganz allmähliches Zuströmen; in Blasen steigt das Petroleum durch das Wasser in die Höhe, um an dessen Oberfläche durch einen Gebläsestrom mit dem größtmöglichsten Heizeffect verbrannt zu werden. In der Hock'schen Petroleum-Maschine, wie eine solche in der Wiener k. k. Staatsdruckerei seit Februar 1874 im Betriebe ist und drei Schnellpressen mit einer Leistungsfähigkeit von zwölfhundert Druckbogen pro Stunde treibt, vermeidet man die große Explosionsgefahr gänzlich, indem man die Kraft, wie in den Gasmaschinen, durch lauter kleine Explosionen erzeugt. In dem Arbeitscylinder wird nämlich ein dünner Petroleumstrahl in regelmäßigen Zwischenpausen verbrannt und dadurch die Kraft gewonnen, welche pro Stunde und Pferdekraft anderthalb Pfund Petroleum verspeist. Die Maschine bietet den Vortheil, keines Anheizers zu bedürfen, kann also jeden Augenblick in oder außer Betrieb gesetzt werden.

Andere Erfinder beschäftigen sich besonders mit dem Ersatze des Wassers durch eine billigeren Dampf liefernde Flüssigkeit, und der Amerikaner Wells glaubt bei einer Füllung der Kessel mit Schwefelkohlenstoff, der schon bei dreiundvierzig Grad siedet und bei erhöhter Temperatur entsprechende Spannungssteigerungen ergiebt, Zweidrittel des bisher „vergeudeten“ Brennmaterials sparen zu können. Diese Flüssigkeit, welche immer wieder gewonnen wird, vereinigt aber mit ihren allerdings verlockenden Eigenschaften eine große Neigung, schon aus der Ferne Feuer zu fangen und zu explodiren. Da war es nun vor allen Dingen nöthig, jede Möglichkeit, mit dem Feuer in Berührung zu kommen, auszuschließen. Wie oben die Herd-Unterlage, stellte man deshalb hier die Kesselwandungen aus Wasser her. Der aufrechtstehende cylindrische Kessel ist nämlich in drei übereinanderliegende Abtheilungen geschieden, von denen nur die mittelste den eigentlichen (Schwefelkohlenstoff-)Dampfkessel bildet, die anderen Wasser enthalten. Der untere Wasserkessel, welcher die Herdhitze unmittelbar empfängt, steht durch weite Wasserröhren, welche die Schwefelkohlenstoffflüssigkeit durchbohren, mit dem oberen Wasserkessel in Verbindung, sodaß das heiße Wasser alle Wandungen des eigentlichen Dampfkessels umspült. Diese Wasserröhren werden wiederum von den Feuerzügen durchbohrt, welche die Verbrennungsgase des Herdes zum Schornstein führen und vorher deren Wärme, damit nichts verloren gehe, ihrem Wasserpanzer oder Futteral zur Weiterbeförderung übergeben. Die übrige Einrichtung ist derjenigen der andern Dampfmaschinen entsprechend.

Ganz abweichend ist dagegen der Gedanke der Seiboth'schen Kohlensäure-Maschine, welche die Kraft, die uns aus Champagnerflaschen entgegenknallt, zu verwerthen gedenkt. Sie braucht gar kein Feuer, sondern kann im Gegentheile noch eine ziemliche Kälte gratis liefern, was für manche Industriezweige, bei denen es sich um schleunige Abkühlung ihrer Producte handelt, höchlichst erwünscht sein kann. Die Kohlensäure, welche den Cylinderkolben auf- und abwärts treibt, wird in zwei mit Spatheisenstein und Schwefelsäure gespeisten Kesseln erzeugt, und das Merkwürdige ist, daß sowohl Asche wie Rauch – wenn ein solcher Vergleich gestattet ist – das heißt sowohl der in den Kesseln erzeugte Eisenvitriol wie die Kohlensäure nach ihrer Benutzung noch weiter nutzbar bleiben. Schon auf der Weltausstellung befand sich ein solcher Motor, der außer einer Leistung von vier Pferdekräften eine Kälte von – 12° zur Verfügung stellte.

Die neueste und sonderbarste Kraftquelle bietet die Oelmaschine des französischen Ingenieurs F. Tommasi, bei der nicht die Spannkraft von Dämpfen und Gasen. wie bei allen bisherigen Maschinen, sondern die Ausdehnung einer Flüssigkeit (Oel oder Glycerin) durch Wärme die Bewegung erzeugt. Tommasi hat gezeigt, daß Oel, in eine Metallröhre eingeschlossen, durch eine plötzliche Temperatursteigerung von nur sieben Grad die Kraft erzeugte, um einen dicken Bleiverschluß wie weiches Wachs aus der Mündung hervozupressen. Daß sich diese Kraft für Maschinen, die mehr Gewalt und Nachdruck als große Schnelligkeit beanspruchen, wie z. B. Pressen aller Art, recht passend verwenden lassen werde, scheint einzuleuchten, aber ob man eine Oelsäule durch abwechselndes Erhitzen und Abkühlen (durch heißes und kaltes Wasser, welches abwechselnd in ein den Oelcylinder durchziehendes Röhrensystem eintreten soll) zur schnellen Bewegung eines Stempels geeignet machen wird, das ist noch zu beweisen. Der Erfinder hofft mit seiner Oelmaschine alle Arten von Bewegung hervorzubringen.

C. St.




Ein Dichterdenkmal Stettins. (Mit Abbildung S. 93.) „Das Bild des Dichters, wie des Künstlers Meisterhand ihn geschaffen hat, in idealer Verklärung nach den höchsten Zielen schauend, gebe uns die Mahnung, muthig heranzutreten an die Aufgabe der neuen Zeit und unermüdlich nach dem Besten zu streben. Wie der verschiedene Dichter um der idealen Güter willen materielle Sorge für nichts geachtet hat, so lassen Sie in der Arbeit um das tägliche Leben, im Ringen nach Hab und Gut, im Wirken für den Reichthum und die Ausdehnung dieser Stadt uns niemals die Pflege der geistigen Güter versäumen. –

Robert Prutz war in dieser Stadt das Organ, durch welches bei jeder gemeinsamen Gelegenheit die Stimmung der ganzen Bevölkerung ihren Ausdruck gewann. Was Alle bewegte, dem gab er Leben und Form in jenen öffentlichen Reden, deren Wohlklang noch heute durch die Erinnerung Aller tönt. Gedenken Sie seiner machtvollen Worte am Erinnerungsfeste der Schlacht bei Leipzig, bei der Schiller-Feier, bei der Fichte- und bei der Humboldt-Feier! In all diesen Reden ist harmonisch erklungen der Ausdruck der Treue, der Vaterlandsliebe und des Geistes der Freiheit, die ihn, wie die Bürger seiner Vaterstadt, immer belebten. Er ist nicht müde geworden, auch in langer hoffnungsleerer Zeit das Banner der Freiheit hochzuhalten. – Diese Stätte sei darum fortan uns besonders geweiht. Dieses eherne Dichterbild leuchte fortan von der Höhe hernieder, ein Wahrzeichen, wie das Haupt der Pallas Athene dem Kommenden die Nähe einer Stadt der Bildung und Gesittung verkündigend.“

So lauten einige Sätze der Rede, mit welcher am achtzehnten October des vorigen Jahres Stadtrath Bock im Kreise der Hinterbliebenen und der zahllosen Verehrer des Dichters das Denkmal auf dem Friedhofe zu Stettin geweiht hat, dessen Abbildung wir heute unseren Lesern mittheilen.

Im Jahre 1870 im Frühling, einige Monate vor dem Ausbruche unseres „letzten Kriegs um den Rhein“, in dessen Triumphen auch sein Herz die Erfüllung alter patriotischer Wünsche freudig begrüßte, haben wir unseren Lesern Robert Prutz als „Wanderprofessor deutscher Literatur“ in Wort und Bild (Nr. 15) dargestellt. Schon damals konnten wir nicht verschweigen, daß sein körperliches Erscheinen auf den zu seinen Ehren geschmückten und von andächtigen und begeisterten Zuhörern umwogten Rednerbühnen die gebrochene Hülle eines noch so urkräftigen Geistes zeigte. Nicht viel über zwei Jahre trug er noch die immer schwerere Last des Lebens – er starb am 21. Juni 1872 als eines der vielen mit bitterem Ernste mahnenden Opfer jener in ihren Nachwehen noch heute nicht verwundenen Zeit, wo anmaßende Mittelmäßigkeit und hochgestellte Beschränktheit keine bessere Aufgabe kannte, als die Unterdrückung jedes höheren Strebens.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_104.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)