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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 7.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Landeck erzählte nun Malwinen die ganze Sachlage, in welche ihn gestern Rudolph eingeweiht hatte, in kurzen bündigen Worten. Malwine wurde dabei immer erregter, immer erschrockener, bis sie endlich, ihre Hände wie im tiefsten Verzagen zusammenfaltend, ausrief:

„Aber ich bitte Sie, dann wäre ja Maiwand ein ganz nichtswürdiger und abscheulicher Mensch, von dem ich das Aergste zu befürchten hätte. Glauben Sie wirklich, daß Rudolph’s Verdacht wahr und gegründet ist, daß es Maiwand war, der für sich die Summe erschwindelte?“

„Ich kenne Rudolph so wenig,“ entgegnete Landeck, „ich sah ihn gestern zum ersten Male – es wäre vorschnell, wenn ich ein festes Urtheil auf seine Darstellung der Sache baute. Sie kann einseitig sein, durch den langen Groll, den er still mit sich umher getragen, getrübt – wer weiß das? Aber ich habe Ihren verstorbenen Gemahl gekannt, und ich frage Sie, Sie selbst, Frau von Haldenwang: halten Sie ihn für fähig, einen jungen Menschen zu einer Pflichtverletzung verführen zu lassen, oder, wenn dies geschehen wäre, ihn alsdann im Stiche zu lassen?“

„Sie haben Recht,“ sagte Malwine stockend und groß die Augen zu ihm aufschlagend, „Sie haben Recht und ich hätte mir das längst, längst selbst sagen können. Weshalb bin ich so kindisch arglos, so vertrauensvoll und einfältig gläubig Allem gegenüber, was man mir sagt!“

„Weil Sie eine völlig reine und goldig helle Seele haben, und die Organe der Lüge und des Schlechten gar nicht in Ihnen sind. Wie könnten Sie da sie in Anderen vermuthen?“

„Das lautet,“ warf Malwine mit leisem Erröthen und ein wenig wegwerfendem Tone ein, „ja völlig anders, als was Sie mir früher von den Frauen zu hören gegeben haben. Danach, schien es, gab es für Sie in den Frauen nur Organe für alle möglichen kleinen Bosheiten. Aber streiten wir nicht darüber! Sagen Sie mir lieber, was ich thun, was ich beginnen soll – jetzt, wo ich alles und jedes Vertrauen zu Maiwand verloren habe und überdies mich noch vor dem Menschen in meinem eigenen Hause fürchte.“

„Wenn Sie meinen Rath verlangen, so lautet er kurz so: weihen Sie Ihren ehemaligen Vormund, Ihren Oheim Escher, in dies Alles ein und beauftragen Sie ihn, an Ihrer Stelle Maiwand zur Ausstellung eines Reverses und zum Verlassen der Stellung, die Sie ihm als Verwalter Ihres Vermögen eingeräumt haben, aufzufordern – wo nicht, zum Justizrath zu gehen und diesen um die Einleitung der Klage wider Maiwand zu ersuchen!“

„Aber wohin soll er sich dann wenden, was beginnen, wenn ich ihm auf diese Art seine Existenz raube? Er wird sich widersetzen bis auf’s Aeußerste. Und der Oheim Escher, mit dem bin ich ja überworfen seit jener unseligen Geschichte. Er weigerte sich, mir mein Vermögen zu solch leichtsinniger Verschleuderung, wie er es nannte, auszuliefern. Er war außer sich darüber; er erinnerte mich an die jahrelange Mühe, die mein armer Vater sich gegeben, nur ein solches kleines Vermögen zu hinterlassen, das ich nun fortwerfen wolle, um einen mit unverantwortlichem Leichtsinn gemachten Cassendefecet zu verdecken. Ich solle, eiferte er, den Schuldigen seinem Schicksal überlassen, und ihm, dem Oheim, nicht zumuthen, durch die Auslieferung des Vermögens die Hand zu einer ganz verrückten Handlung zu bieten. Ich mußte ihm erst in den allerentschiedensten Ausdrücken klar machen, daß ich nun und nimmer zugeben werde, daß mein Vetter Rudolph in Haft und Schande komme, daß ich auf meinem Recht bestehe und daß er meinen Willen nicht beugen werde, bis er sich im äußersten Zorn in die Sache fügte und that, was ich verlangte. Aber er hat mir meine Handlungsweise von damals nie verziehen, bis heute nicht; er würde mir jetzt erklären, daß er durchaus keine Lust habe, sich je wieder in meine Geschäfte zu mischen … und außerdem ist er ja in diesem Augenblick durch seine eigenen Angelegenheiten, durch diesen Arbeiteraufruhr so in Anspruch genommen, daß Niemand von ihm Teilnahme für andere Dinge verlangen kann.“

„Wie glücklich Sie mich machen würden, wenn Sie mir das Vertrauen schenkten, mich für Sie handeln zu lassen, brauche ich Ihnen nicht zu sagen,“ antwortete Landeck. „Aber meine unselige Uebereilung hat mir ja ein Eingreifen in diese Sache unmöglich gemacht. Ich kann nicht mit dem Manne verhandeln, den ich gefordert habe.“

„Nein, das können Sie nicht,“ sagte Alwine mit einer zornigen Bitterkeit. „Sie sehen, wie verkehrt und thöricht Sie gehandelt haben.“

Bei diesem Vorwurf blickte Landeck betroffen in Malwinens Züge. Es lag darin das Geständniß, daß sie durch nichts Anderes abgehalten sei, ihn zu ihrem Anwalt und Vertheidiger zu machen, und dies konnte ihn nur mit einer großen Freude erfüllen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_105.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)