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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

„Ministerium“ in der Hauptniederlassung und dem Centralpunkte des gesammten Shakerthums New-Lebanon haben. Gehorsam ist somit ein ferneres unumgängliches Gebot der Moral der Secte.

Der Gottesdienst in einer Shakergemeinde ist sehr einfach. Sie sind Alle heilig und Alle gleich, also giebt es bei ihnen keine Priester. Die Sacramente waren nur nöthig in der Zeit, die auf das tausendjährige Reich vorbereitete; dieses Reich ist da; also braucht man weder Taufe noch Abendmahl mehr. Glocken und Orgeln sind Tand, die der Heilige zu seiner Erbauung nicht bedarf. Sein Altar ist sein Herz; folglich hat sein Betort keinen vonnöthen. Dasselbe gilt von Kanzel und Kerzen, Bildern und Kreuzen. Das einzige Mittel zur Gottesverehrung sind Tänze, welche bald als Bild ihrer Einheit in der Mannigfaltigkeit, bald als Wanderung nach dem Himmel, bald als ein Rausch und Taumel des Gefühls der Liebe zu „Mutter Ann“ auftreten und mit jubelnden Gesängen begleitet, bisweilen auch von einem kurzen predigtartigen Vortrage unterbrochen werden.

Die Damen der „Gartenlaube“ werden neugierig sein, zu wissen, welchem Tanze meine Freunde den Vorzug geben. Die nächste Nummer soll auch dieses Räthsel befriedigend lösen. Hier nur die Andeutung, daß sie ihre religiösen Empfindungen weder durch Menuet, noch durch Galopp, noch durch Walzer ausdrücken, und daß auch die etwaige Vermuthung, sie tanzten eine andächtige Polka oder eine gottselige Française, auf Irrthum hinauslaufen würde.

Unsere Damen werden ferner vielleicht Aufschluß haben wollen, wie die Shaker diesen immerhin auffälligen Brauch bei ihrem Gottesdienste erklären und rechtfertigen. Man wird mir Recht geben, wenn ich sage: nichts leichter als das, und man muß sich nur wundern, daß die Leute anderswo nicht auch schon darauf gekommen sind. Es ist das reine Ei des Columbus. Gott hat Alles zu seiner Ehre erschaffen. Er hat uns ein Herz eingesetzt, um seine Liebe zu empfinden; er hat uns die Zunge gegeben, um ihn zu preisen mit Gesängen; er hat uns Hände verliehen, um sie betend zu ihm zu erheben. Wie kämen die Beine dazu, lediglich um weltlicher Zwecke willen sich zu bewegen? Sollten nicht der ganze Körper, Haupt und Glieder, Hände und Füße in gleichem Maße berufen sein, sein Lob zu verkünden? Gewiß, das ist überzeugend, zumal die Shaker bei ihrer Auffassung die fromme Schwester Mosis, des Propheten, die mit Pauken und Cymbeln beim Zuge durch das Rothe Meer den Reigen führte, und den nicht minder frommen und heiligen König David, der vor der zurückkehrenden Bundeslade tanzte, Pathenstelle vertreten lassen und somit den Beweis liefern können, daß der liebe Gott das schon vor Alters so hat haben wollen.



Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin.
Von Otto Glagau.
3. Gründer und Gründer-Praktiken.

„Die Woche fängt gut an!“ sagte Jener. Er sagte so am Montag, und da wurde er aufgeknüpft. – Bekanntlich nennt man diese Art von Laune den Galgenhumor. Auch ein armer Sünder kann unter Umständen noch Humor zeigen, aber nie und nimmer der Henker. Der hat höchstens Witz. Und genau in demselben Falle befindet sich die Börse. Auch ihren Angehörigen ist der Humor, als ein Product des Gemüths und des Herzens, versagt: aber dafür machen sie in Witz. Sie reißen Witze, die wie Scheidewasser schmecken und wie Höllenstein brennen. Als die Gründungen florirten, sang die Börse, während sie Leimruthen legte, mit solchem Henkerswitz:

„Erst kommt der Erfinder,
Dann kommen die Gründer oder die Schinder;
Beide brauchen sie Rinder,
Und wenn’s gut geht, machen sie Kinder.

Die Rinder sind – mit Respekt zu sagen – das liebe Publicum, während die Kinder hier den Vorgang andeuten, welchen sonst nur das Thierleben auf der untersten Stufe zeigt. Nach Art der ekelhaften Schmarotzerthierchen vermehrten sich auch die Gründer und die Gründungen mit reißender Schnelligkeit. Eine heute geborene Bank oder dergleichen gründete morgen schon lustig selber; oder sie „emittirte“ immer wieder „junge Actien“; sie kam aus dem „Jungen“ nicht heraus. Wir lassen einstweilen „Kinder“ und „Rinder“ bei Seite, und betrachten zunächst „Erfinder“ und „Gründer“.

Schon das obige Verslein verräth, daß Beide nicht immer dieselben, sondern häufig verschiedene Personen waren. Der „Erfinder“ hatte die Idee, der „Gründer“ übernahm die Ausführung. Jener war meistens ein Schlaukopf, dieser nicht selten ein bloßer Taps. Dafür wurde der „Erfinder“ oft mit einem Trinkgelde abgespeist, während der „Gründer“ eine Million für sich in Anspruch nahm. Der Erfinder wußte zu finden und zu erfinden: sein Auge sah lauter Gründungsobjecte, und wo es schlechterdings gar nichts sah, da half die Phantasie ihm aus. Die damals entstandene „Neue Börsenzeitung“ entwarf davon eine artige Schilderung, die etwa so lautete:

Im einsamen Thale entdeckt der „Erfinder“ einen verlassenen Schornstein, und aus dieser Ruine macht er flugs eine – Maschinenfabrik. Auf dem Berge sieht er eine Windmühle, ein altersschwaches Gehäuse mit lahmen Flügeln – und sofort ist ein Mühlen-Etablissement auf Actien fertig. Am Ufer eines Baches stolpert er über einen umgestülpten Kahn – und ein „Lloyd“, ein binnenländischer „Lloyd“ läßt seine Dampfer hin- und herfliegen. Und wie beginnt die Geschichte jener Verblend-Ziegelei auf Actien?

„Es war einmal ein Thonlager … etc.“ Des Erfinders Phantasie macht aus einem Zimmermann, der Balken ausschält, ein Lieferungsgeschäft für Baumaterial; aus dem verwegenen Knaben, der eine Rakete steigen läßt, eine chemische Fabrik. Und – nehmt Eure Wäscherinnen in Acht! Laßt sie nicht allein über die Straße gehen, sonst macht sie der Erfinder zu einer Actien-Wäscherei.

Es wurde öffentlich und insgeheim, durch Zeitungsinserate und unter der Hand nach Gründungsobjecten gesucht; es wurde förmlich Jagd gemacht auf schon bestehende Fabriken, Berg- und Hüttenwerke, Brauereien etc.; und natürlich in erster Reihe auf altrenommirte Etablissements. Der Inhaber einer bekannten großen Färberei und „Garderobe-Reinigungsanstalt“ in Berlin erhielt so viele Anfragen und Anerbietungen, daß er seine ablehnende Antwort: er sei nicht geneigt, sich gründen zu lassen – bald nicht mehr geschrieben, sondern nur noch lithographirt versandte. Wohl die härtesten Anfechtungen hatte Borsig, der „Locomotivenkönig“, zu bestehen. Man bot ihm verschiedentlich für seine großartigen Werke geradezu fabelhafte Summen – bis zwölf Millionen Thaler, wie eine Version lautet, und man würde ihm überhaupt jeden Preis gegeben haben, den er nur gefordert hätte; aber er war ehrliebend und auch wohl klug genug, um sich nicht verblenden zu lassen. Viele andere Fabrikherren dagegen bewiesen sich weniger prüde, und so verwandelten sich viele solide, wohlberufene Privatgeschäfte in lauter faule und anrüchige oder doch zweifelhafte Actiengesellschaften; z. B. Maschinenfabriken von Egells, Webers, Eckert und Freund, Porcellan-Manufactur von Schumann, Lampenfabrik von Stobwasser, Ofenfabrik von Dankberg, Kammgarnspinnerei von Schwendy, Wagenbauerei von Neuß, Tabakshandlung von Brunzlow und Sohn etc. etc.

Herr Egells verkaufte sein Etablissement sogar zwei Mal, zum zweiten Male natürlich zu einem höheren Preise, worauf der erste Käufer oder das erste „Gründungs-Comité“ die Hülfe des Richters anrief. Durch solche Umwandlungen zeichneten sich wieder aus Herr Schweder von der „Preußischen Bodencreditactienbank“ und Herr Quistorp. Herr Schweder „gründete“ die Glasfabrik „Albertinenhütte“, die Nähmaschinenanstalt Pollack. Schmidt und Comp. in Hamburg, die Maschinenfabrik von Wöhlert, das Bergwerk „Redenhütte“, das Soolbad Salzungen etc. Herr Quistorp „gründete“ die chemische Fabrik von Schering, die Fabrik für Wasser- und Gasanlagen von Mattison und Brandt, die Feilenfabrik von Schaaf, die Papierfabrik Wolfswinkel, das Fuhrgeschäft von Gebrüder Besckow, die Brauerei von Scholtz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_115.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)