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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

seltene Umstand, daß, er von der englischen und französischen Sprache nur höchst unvollkommene Begriffe hatte, dagegen die alemannische Mundart in der ganzen ungetrübten Reinheit, wie sie zwischen Neckar und Rhein erklingt, zu Gehör brachte.

Chrischtöffle war der lebhafteste Zuschauer, welchen das deutsche Theater je aufzuweisen hatte: er klatschte in die Hände, fletschte die Zähne, kicherte überlaut, weinte dicke Thränen beim kläglichen Schicksale der Genoveva und warf dem Franz Moor, Jago oder Wurm pantomimisch stets die ärgsten Drohungen an den Kopf. Bei Gastspielen oder sonstigen feierlichen Gelegenheiten erschien Chrischtöffle stets mit einem Lorbeerkranze an der Logenbrüstung, den er aber nie dem Gaste, sondern immer dem Komiker des Stückes zuwarf. Ging ein Schauspieler an des Lohgerbers Haus vorüber, so durfte er stets erwarten, daß ihm Chrischtöffle mit einer kritischen Bemerkung unter die Augen trete, welche entweder dahin lautete: „Ihr hent awer wüschte Faxe gemacht,“ oder im Falle des Wohlwollens und besonderer Gnade: „Du bischt emol e scharfer Spieler.“

Daß bei einer solchen Sachlage Chrischtöffle den Gegenstand des Ergötzens aller Schauspieler und Theaterbesucher in gleichem Maße bildete, begreift sich leicht – und er sollte nun aus einer Loge verbannt werden, in welcher seit Monden seine persönlichen Eigenschaften zu so vortrefflicher Geltung kamen! Alle deutschen Gemüther empörten sich.

Sofort begab sich Director O. nach Sheridan’s Hauptquartier, und da ihm eine Audienz zugestanden wurde, stellte er dem General vor, daß er mit Rücksicht auf seine hervorragende Stellung ihm die schönste Loge im Centrum des Theaters reservirt hätte, die verlangte sei dagegen an eine Familie verkauft, welcher er großen Dank schulde und die außerdem seit der Erbauung des Opernhauses sich im Besitze derselben befinde.

Sheridan schnitt diese Vorstellungen mit einem kurzen „Das kümmert mich nicht!“ ab. – „Wenn diese Leute so lange in der einen Loge gesessen haben, so können sie sich zufrieden geben und endlich einmal Andere darin Platz nehmen lassen.“

„Wie aber in aller Welt soll ich die rechtmäßigen Eigenthümer daraus vertreiben?“ wagte der Director einzuwenden.

„Das ist Ihre Sache.“

„Ich kann es nicht –“

„Sie können es nicht?“ rief jetzt Sheridan ungeduldig und trat in drohender Haltung vor den Schauspieldirector hin. „So kann ich es. Wenn am Tage der ersten Vorstellung diese Loge nicht in meinem Besitze ist, so schließe ich das Theater zu und mache einen Pferdestall daraus.“

„Herr General,“ stammelte O. und erbleichte, „mit welchem Rechte –“

„Mit welchem Rechte?“ unterbrach ihn Sheridan verächtlich. „Haben Sie vergessen, daß das Kriegsrecht über diese Rebellenstadt verhängt ist und daß ich jedes Gebäude der Stadt zu militärischen Zwecken verwenden kann? Erhalte ich die Prosceniumsloge nicht, so wiehern morgen die Pferde meiner Officiere an derselben Stelle, wo Faust und Margarethe ihr Duett flöten sollten.“

„Aber das sind ja Zustände –“

„Wie sie Ihnen nicht gefallen? – Ich meinerseits befinde mich äußerst wohl dabei.“ Sprach’s und ging lächelnd von dannen. –

Mit dem Gefühl tiefster Zerknirschung theilte der rathlose Director seinem freundlichen Mäcen das traurige Dilemma mit, vor welches ihn die unbillige Forderung Sheridan’s gestellt habe. Der Lohgerber fügte sich in das Unvermeidliche mit den Worten:

„Sehe Se, liewer Director, die Säwelrassler bleiwe sich in der ganze Welt gleich. Sitze die emol uf dem hohe Pferd, dann frage se nimmer was das Gesetz, sondern was die Gewalt ihne erlaubt.“ –

Am ersten Opernabend war das prächtige Theater zum Erdrücken gefüllt. Der Glanz der alten Sclavenstadt schien wieder erwacht zu sein, denn Hunderte von dunkeläugigen Creolinnen paradirten in reichster Toilette und mit der Camelie im schwarzen Haar. Aber an derselben Stelle, wo einst Chrischtöffle’s rabenschwarzes Antlitz glänzte, das alle Zuschauer zum Enthusiasmus anfeuerte, sah man heute nur Uniformem.

In vorderster Reihe saß Philipp Henry Sheridan, der Sieger von Five-Forks und Sailors Creek, der Mann, dessen glücklichem Eingreifen bei Appomattox Grant es vorzugsweise dankte, daß der Löwe des Südens, Sir Robert Lee, die Waffen streckte. Sheridan zählte damals erst vierunddreißig Jahre, und da er klein von Gestalt, begabt mit einem runden unschönen Gesicht und von lebhaften Bewegungen ist, so glaubte man den jungen kecken Lieutenant noch vor sich zu sehen, der einst bei den Cascaden des Columbia die Indianer in die Enge trieb. Seine hohe Begabung als Taktiker wurde damals gerade in militärischen Kreisen auf’s Rühmendste anerkannt, und Officiere, welche im Pulverdampf grau wurden, behaupteten, daß die blitzartige Schnelligkeit, mit welcher dieser Cavalleriegeneral seine Dispositionen treffe, geradezu einzig dastehe und nur mit dem raschen Handeln des alten Ziethen verglichen werden könne.

Um so beklagenswerther, daß ein Mann von so hervorragenden Talenten sich nicht den schlichten Bürgersinn bewahrt hat, welcher einen Helden wie George Washington zu jeder Zeit des Lebens auszeichnete.

Warum bestand aber Sheridan gerade auf den Besitz dieser Loge, welche nur zwei Personen einen freien Blick auf die Bühne gestattete, während die in zweiter Reihe sitzenden Officiere so gut wie nichts sahen?

Meine Blicke fielen auf die gegenüberliegende Prosceniumsloge, und nun bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß die Augen aller meiner Nachbarn nach derselben Stelle gerichtet waren. In dieser Loge befand sich Prinzessin Ruth. – Wer war Prinzessin Ruth? – Niemand konnte es sagen, selbst nicht der reiche Kranz ihrer Bewunderer, welcher sich des Abends in ihrer einsamen, von einem Orangenwalde umhegten Villa zusammenfand. Wie das Mädchen aus der Fremde tauchte sie in New-Orleans auf, und so verschwand sie auch wieder; allein – um die Wahrheit zu gestehen – sie nahm mehr Gaben mit sich, als sie austheilte. Der Titel „Prinzessin“ gab ihr keinerlei Anwartschaft auf den Gothaer Hofkalender, denn derselbe verdankte seine Entstehung lediglich der Erfindungsgabe einiger geistreicher Anbeter. Anlaß zu dieser Auszeichnung boten theils die erstaunliche, fast unirdische Schönheit der Miß Ruth, theils ihr vornehmes Auftreten. Nie erschien sie in einer andern Tracht als in einem schmelzbesäeten schwarzen Seidenkleide; nie schmückte ein anderer Zierrath ihr Haar als eine dunkle Granatblüthe, und nie sah man sie auf der Straße in anderer Gesellschaft als der einer jüngern Schwester von milder, knospenartiger, aber ebenso auffallender Schönheit. In wahrhaft königlicher Majestät lehnte sich Prinzessin Ruth gegen die Logenbrüstung, und als sei sie des Anstarrens müde, ließ sie langsam die dunkeln Wimpern ihr gluthsprühendes Auge beschatten. Nachlässig spielten ihre schlanken Finger mit einem breiten schwarzbefiederten Fächer, dessen weiße Elfenbeinstäbe weithin sichtbar waren.

Der Vorhang rauschte auf. Aller Augen wendeten sich nach der Bühne; nur die Sheridan’s nicht. Jetzt spielte Prinzessin Ruth mit den weißen Fächerstäben. – Was war das? Diese Stäbe waren jeder Schiebung zugänglich. Jetzt bildeten sie römische Ziffern. Die Prinzessin telegraphirte, und dann richtete sie einen flammenden Blick nach des Generals Loge. Sheridan’s Auge schien achtlos über das schöne Weib zu streifen, dann plötzlich nickte er wie Boas bei der Aehrenlese. … Die Südstaaten, und vor Allem das reiche Louisiana, seufzen heute unter dem Fluche, den sie durch die Sclaverei auf sich geladen. Der Racenkampf bildet die offene Wunde am Körper der Union; nur die Zeit kann diese heilen. Wer aber den Heilungsproceß beschleunigen will, der kann dies nur durch Vermehrung der Schulen, Förderung der Einwanderung und nachdrücklichen Schutz der Gesetze. Belagerungszustände aber und Gewaltmittelchen, wie sie General Sheridan liebt, reißen die klaffende Wunde nur noch weiter auf.

R. Elcho.


Eine wichtige chemische Entdeckung. „Im Vaterlande gilt der Prophet nichts“, so dachte ich, als die „Gartenlaube“ noch immer nichts über eine der wichtigsten chemischen Entdeckungen der Neuzeit brachte, die doch gerade in dem berühmten Leipziger Universitätslaboratorium und von dessen als einer der ausgezeichnetsten Chemiker anerkanntem Leiter, Professor Kolbe, gemacht worden ist. Sie verdient aber, wegen ihrer Wichtigkeit für Hauswirthschaft, für die Volksernährung und Hygiene ein ausgebreitetes Bekanntwerden, wie es gerade die „Gartenlaube“ gewährt, im ausgezeichneten Grade. Es ist mit einem Worte die künstliche Darstellung der Salicylsäure. Wohl mancher Chemiker, der in technischen Journalen die lakonische Anzeige der Fabrik von Fr. von Heyden in Dresden „Salicylsäure, hundert Gran drei Reichsmark“, las, mag sich im Anfange den Kopf zerbrochen haben, einmal darüber, wie man diesen seltenen Stoff zu einem so billigen Preise darstellen – dann wozu man selbst diese billige Salicylsäure wohl im Großen verwerthen könnte.

Das Wintergreenöl, aus welchem man diese Säure sonst herstellte, ist zu theuer, um daraus so billige Salicylsäure zu gewinnen. Dann erhielt man sie auch aus Carbolsäure, indem man metallisches Natrium darin auflöste und unter Erhitzen trockene Kohlensäure einleitete. Da war wieder das Natrium zu theuer. Kolbe’s Entdeckung besteht nun darin, daß er einfach an die Stelle des Natrium das billige Aetznatron setzt, die Verbindung der Carbolsäure damit zur staubigen Trockene bringt und nun das bis auf circa 180° Celsius erhitzte Pulver in einem Strome trockener Kohlensäure erhitzt. Zwar wird dadurch ein Theil der Carbolsäure frei gemacht, die aber nicht verloren geht und in reinster Form wieder gewonnen wird; ein anderer Theil geht aber mit der Kohlensäure und dem Natron eine Verbindung ein, die eben nichts anderes als salicylsaures Natron ist, und nach dem Auslösen im Wasser und Sättigen mit Salzsäure die Salicylsäure in kleinen, hellgelblichen im Wasser schwer löslichen Krystallen niederfallen läßt, die blos abfiltrirt und getrocknet zu werden brauchen, um in den Handel gebracht zu werden.

Sie hat keinen Geruch, einen schwach süßlich-säuerlichen Geschmack, ist nicht ätzend, nicht giftig und kann in ziemlich großen Mengen vom Menschen genossen werden, ohne lästige Erscheinungen hervorzurufen. Ihre Haupteigenschaft, durch welche sie eben die enorme wirthschaftliche Bedeutung erhielt, ist die Giftigkeit für niedere Organismen, durch welche bekanntlich Fäulniß und Gährung hervorgerufen werden. Sie theilt dieselbe mit der bekannten Carbolsäure, aus der sie entstanden ist – aber ohne eine einzige der üblen Wirkungen derselben zu besitzen. Die Carbolsäure riecht sehr übel. Sie wirkt ätzend auf die Haut, reizend auf Wunden, ist, in einigermaßen größerer Menge genossen, auch für höhere Organismen ein gefährliches Gift. Man nahm bisher diese üblen Nebeneigenschaften mit in den Kauf, weil man eben kein besseres fäulnißwidriges Mittel kannte. Das ist aber die enorme Tragweite der Entdeckung der Salicylsäure, daß sie noch besser und in noch kleineren Quantitäten vor Fäulniß schützt, als die Carbolsäure, daß sie daneben aber vollkommen harmlos ist.

Ueber die fäulnißhindernden Wirkungen der Salicylsäure liegen von Kolbe, von Heyden und Anderen die ausgiebigsten Versuche vor. Bier, mit einer Spur Salicylsäure versetzt, wird in offenen Schalen und im Sommer zwar schal, aber nicht sauer. Zuckerlösung, mit Hefe versetzt, hört nach dem Zusatz der Säure zu gähren auf. Milch wird nicht sauer; eingemachtes Obst, Gemüse, Gurken beschlagen nicht. Fleisch, damit übergossen, fault nicht. Selbst als Dr. von Heyden, wie er mir mittheilte, im heißen Herbste des vorigen Jahres sechs Stück Rebhühner erhielt, die sich durch eine Irrung der Eisenbahnverwaltung über vierzehn Tage auf der Eisenbahn herumgetrieben hatten und natürlich den höchsten Hautgout entwickelten, gelang es durch Abwaschen mit Salicylsäurelösung, die Thierchen noch ganz schmackhaft für die Bratpfanne herzurichten. Wenn man nun bedenkt, welche Massen Fleisch in überseeischen Ländern verloren gehen, während unsere Arbeiter und selbst unsere Mittelclassen das Fleisch sich in immer geringeren Quantitäten zumessen müssen; wenn man ferner erwägt, welche nutzlose und schädliche Thierquälerei auch in Europa durch den Transport lebenden Viehs begangen wird, welche unnütze Transportkosten dadurch erwachsen; wenn man endlich auch die lästige Aufbewahrung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_123.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)