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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Epische Briefe.
Von Wilhelm Jordan.
VI. Iran und Firdusi. (Schluß.)


Mit der Befreiung der Meder vom Joche der Assyrer beginnt die Selbstständigkeit Irans. Dann gewannen die Hegemonie die Perser unter dem großen Khurusch, dem Kyros der Griechen, einem Manne von unvergleichlicher Thatkraft, hoher Besonnenheit und menschlicher Milde. Auf dem Gipfel des Glanzes befand sich das persische Reich unter Darjawusch, dem Sohn des Wahstaspa, dem Darius Hystaspes der Griechen. Ihm gehorchten die Völker vom Himalaya und Indusdelta bis zu den Küsten Europas, vom Aralsee und Kaukasus bis zur Südgrenze Aegyptens. Ein Netz vortrefflicher Kunststraßen verband alle Theile des ungeheuern Reichs; eine Reitpost von angestaunter Geschwindigkeit beförderte die Nachrichten zwischen den äußersten Grenzen und den Hauptstädten Susa, Ekbatana und Babylon. Der Ackerbau blühte; das Forstwesen war musterhaft geordnet; ein Münzsystem galt vom Hellespont bis zum Indus und in vollständiger Sicherheit zogen die Handelskarawanen von Kaschmir bis nach Cyrene und Nubien.

Als Alexander der Große mit der Kraft des vereinigten Griechenlands unter macedonischer Disciplin dieses Reich in wenigen furchtbaren Schlägen zerschmettert hatte, da wurde es durch eben diesen politischen Untergang die Geburtsstätte einer noch viel gewaltigeren geistigen Weltmacht. Denn es bildete nun den Schmelztiegel, in welchem die Lehren Zoroaster's von den Reichen des Lichts und der Finsterniß und vom Heiland des jüngsten Tages, dem Sosiosch, die Vergöttlichung des Menschen in der griechischen Kunst und die Gedanken eines Sokrates und Platon ineinander schmolzen, um sich endlich in der Berührung mit dem Jehovadienst und den politischen Messiashoffnungen der Juden zu entzünden zu der neuen Religion, die fast zwei Jahrtausende hindurch wirksamer als jede andere die Schicksale der Erde bestimmen sollte.

Nach mehr als fünfhundertjähriger Fremdherrschaft, erst der Griechen, dann der Parther, wurde das persische Reich hergestellt von Ardschir Babekan, dem Sohne Sassan's. Seinen Nachfolgern, den Sassaniden, gelang es, die Religion Zoroaster's neu zu beleben, und um die Mitte des sechsten Jahrhunderts hatte Persien, unter Khosru Anuschirwan, hohe Blüthe und fast denselben Umfang wie unter dem ersten Darius wiedergewonnen.

In derselben Nacht aber – erzählt die arabische Sage – in der Muhamed geboren wurde, erlosch das tausendjährige heilige Feuer der Parsen und zu Ktesiphon zerstörte ein Erdstoß den Palast der Sassaniden. In der Mitte des siebenten Jahrhunderts war ganz Iran Provinz des Khalifenreichs. Mit der Schärfe des Schwerts wurden die Feueranbeter bekehrt, ihre Heiligthümer zerstört, ihre religiösen Urkunden vernichtet. Doch die Verfolgung veranlaßte zahlreiche Auswanderung bis nach Indien, wo sich in Surate und Guzerate Parsencolonien auch heutigen Tags noch zur Religion Zoroaster's bekennen. Ihnen verdanken wir die unschätzbare Erhaltung eines Theiles des Zend Avesta.

In den Hochgebirgen Baktriens, der Geburtsstätte der Lehre Zoroaster's, ward auch das persische Reich zum dritten Mal wiedergeboren. Unter Jakub, dem Sohn des Leis, riß die Gegend sich los vom Khalifenreich. Seine Nachfolger, die Soffariden, behielten zwar den Islam als Staatsreligion, suchten und fanden aber eine Stütze ihrer Selbstständigkeit im altpersischen Nationalgefühl, das sie durch Pflege der einheimischen Sprache und Heldensage zu beleben wußten. Kurz vor Beginn des gegenwärtigen Jahrtausends bestieg den Thron Mahmud der Erste von Gasna, der sich vom Sohne eines Sclaven zum gewaltigen Herrscher emporgeschwungen. Seine Eroberungen in Indien übertrafen bei weitem diejenigen Alexander's des Großen. Mit diesem, dem begeisterten Verehrer Homer's, theilte er eine Eigenschaft, welche gekrönten Siegeshelden gewöhnlich versagt ist. Er fand an der Poesie nicht nur Vergnügen, sondern wußte sie auch zu schätzen als eine Macht, nicht minder wirksam zur Begründung und Befestigung der Reiche, als das Schwert und die Kunst des Heerführers. Er zog viele Dichter in seine Nähe, und es war seine gewöhnliche Abendunterhaltung, sie vor versammeltem Hofe als Rhapsoden auftreten zu lassen. Seinem Eifer und seiner Allmacht gelang es, den ganzen Schatz der Vorzeitsagen zusammen zu bringen. Ihre Gestaltung zu einem Ganzen übertrug er dem Dichter Abul Kasem Mansur, dessen Lied von Rustem und Isfendiar ihn so sehr entzückte, daß er ihm den Namen „der Paradiesische“, Firdusi, beilegte.

Sobald Firdusi einen Gesang beendigt, trug er ihn dem Sultan vor, und dieser befahl, ihm für jedes Verspaar ein Goldstück zu zahlen. Der Dichter war aber so unpraktisch, die Eincassirung dieses recht anständigen Ehrensoldes aufzuschieben bis zur Vollendung seines ganzen Werkes. Im einundsiebenzigsten Lebensjahre, nach fünfunddreißigjähriger Arbeit, schloß er seine große Dichtung, das Schahnameh oder Königsbuch, mit folgenden Zeilen:

Ich habe, der dies Buch hervorgebracht,
Die Welt von meinem Ruhme voll gemacht.
Wer immer Geist hat, Glauben und Verstand,
Von dem werd' Ich mit Lob und Preis genannt.
Ich, der die Saat des Wortes ausgesät.
Ich sterbe nicht, wenn auch mein Leib vergeht.[1]

Das Werk zählte sechszigtausend Verspaare, hatte also mehr als den vierfachen Umfang von Ilias und Odyssee zusammen. Der Sultan ermäßigte die schuldigen sechszigtausend Goldstücke auf so viel, als (vermuthlich in Silber) ein Elephant tragen könne. Aber dem Schatzmeister war auch das noch viel zu viel, und er wußte eine fernere Reduction auf sechszigtausend kleine Silbermünzen durchzusetzen. Firdusi befand sich im Bade, als die Sendung ankam. Er vertheilte den Bettel an den Badewärter und den Schenkwirth, bei welchem er ein Glas Bier getrunken, entfloh nach Bagdad und verbreitete eine Satire gegen Mahmud, welche folgendermaßen schloß:

„O König, was Du als Erinnerung von Dir in der Welt zurücklassen wirst, das ist die Huldigung, welche Ich Dir dargebracht. Die Gebäude der Menschen sinken in Trümmer durch Sonnenbrand und Regen. Spurlos aber werden die Jahrhunderte hingehen über dem unermeßlichen Bau, den Ich aufgeführt. Fünfunddreißig Jahre habe ich in Noth und Mühsal gelebt, um Persien neu zu beleben durch dieses persische Werk. Wäre der König nicht geizig, er gäbe mir einen Platz neben seinem Throne. Aber da sein Stamm ohne Adel ist, öffnete er seinen Schatz, um den meinigen zu bezahlen mit – einem Glase Bier.“

Anfangs wüthend und erpicht, den Dichter zu verfolgen, dachte Mahmud doch groß genug, um schließlich zu verzeihen, ja, zu bereuen; dies freilich zu spät. Als hochbetagter Greis durfte Firdusi in seine Vaterstadt Tus zurückkehren und endlich sollte ihm sogar Wort gehalten werden. Mit glänzendem Aufzuge sendete Mahmud die schuldige Summe. Im Stadtthore aber begegneten die Königsboten dem ärmlichen Leichenzuge Firdusi's. Seine nicht minder stolze Tochter verschmähte das Geld; doch ward es verwendet zum Bau der Wasserleitung, für welche der Dichter den Ertrag seines Werkes von jeher bestimmt hatte.

Seiner Schöpfung ist der Stempel ihrer Entstehungsweise deutlich aufgeprägt. Sie würde noch größer sein, wenn sie – kleiner wäre. Nicht eine anschauliche, in der Haupthandlung einer Hauptperson gipfelnde künstlerische Idee, sondern ein Fürstenauftrag hat ihre Umgrenzung bestimmt, richtiger gesagt, ihre Grenzenlosigkeit verschuldet. Die Gesammtheit der Sagen vom Beginne des iranischen Volkes bis zur Schwelle der Gegenwart zu einem Ganzen geordnet, hatte Mahmud verlangt, und den Dichter obendrein zur Breite verführt, durch die nach der Verszahl versprochene Belohnung. So begegnen wir hier der widerspruchsvollen Erscheinung, daß das persische Epos auch mit seiner dritten und höchsten, der Kunstgestalt, auf der zweiten Stufe stehen geblieben ist als eine Liederchronik, in der nur das Volk und seine Dynastieen die Einheit des Helden, nur seine Geschichte die Einheit der Handlung vertritt. Dennoch aber hat

  1. Uebersetzt von F. v. Schack.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_138.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)