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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


mir einspringen zu sehen. Zufrieden mit dieser Zusage schieden die Männer, ihres Erfolges gewiß, nochmals betheuernd, daß ich sie nicht als unredliche und gar undankbare Menschen sollte kennen gelernt haben.

Die Sache hatte für mich um so mehr Reiz, als ich es hier mit zwei Männern zu thun hatte, die steif und fest an Hexenbann und Schatzgräberei glaubten; außerdem aber trieb mich auch die Neugierde, den Inhalt des mysteriösen Buches, das sich in meinen Händen befand, kennen zu lernen. Der Titel lautete: „Clavis Aenigmatum, das ist: Schlüssel zur Zauberei, wie sie gelehret von Paracelsus, Doctor Faustus und anderen berühmten Magicis. Gedruckt zu Frankfurt am Mayn im Jahre des Heils 1682.“

Das Buch enthielt Beschwörungsformeln zur Vertreibung von vielerlei Krankheiten der Menschen und des Viehes, besonders aber solcher, die man, wie es hieß, den böswilligen Hexen zu verdanken habe. Die Formel für Schatzgräber („fossoribus thesaurorum“) stand auf einem der letzten Blätter und lautete mit der Überschrift so:

“Ter fiat signum crucis (†††) terque pronuncientur haec verba: Nomine sancta Trinitas. Numen subterraneum, geni omnipotens divitiarumque custos, siste thesaurum hicce absconditum, neve submove porro, patereque nos Te precantes obsecrantesque consequi!“ Zu deutsch: „Drei Mal werde das Kreuz geschlagen und drei Mal werden folgende Worte gesprochen: Im Namen der heiligen Dreieinigkeit. Erdgeist, allmächtiger Geist und Wächter der Schätze, laß den hier verborgenen Schatz stehen, rücke ihn nicht weiter fort und leide, daß wir, die wir Dich bittend beschwören, ihn bekommen.“

Nach Verlauf von vierzehn Tagen schickte ich das Buch mit meiner Uebersetzung an den genannten Lehrer in Horst bei Wangerin zur weiteren Uebermittelung an die Schatzgräber ein, habe aber leider niemals ein Weiteres über das schließliche Resultat der Nachgrabungen erfahren. Sicherlich hat sich auch trotz der verdeutschten Zauberformel der Erdgeist nicht zur Herausgabe des Schatzes bewegen lassen. Oder hat die Formel deshalb ihre Kraft verloren, weil sie ein zweifelnder Ketzer übersetzt hatte? Wer mag es wissen! Genug, so stand es noch vor dreißig Jahren mit den Resten des allen Volksglaubens in jenen Gegenden Pommerns, aber sicherlich ist die Ueberzeugungstreue an die Macht desselben seit den Tagen immer mehr verschwunden, wo an dem Woidschwinsee die Eisenbahn vorübersaust und diesen Theil Pommerns dem allgemeinen Verkehre ausgeschlossen hat, da weder Chausseen noch sonst gepflegte Straßen in diese Gegenden führten. Auch die Erscheinung des großen Zauberers auf dem Gebiete der Politik, der dort gewiß manchem Landmanne zu Gesicht gekommen sein wird, da Fürst Bismarck auf seinen Fahrten von Berlin nach Varzin und von dort zurück nach Berlin regelmäßig jene Landstrecken durchschneidet, wird sicherlich dazu beigetragen haben, das Volk dort aus seiner ehemals traumhaften Sphäre in die reale Wirklichkeit zu versetzen. Ob sie dem Zauber des neuen Gründerthums verfallen sind, lasse ich unentschieden; es in der Nähe kennen zu lernen haben sie wenigstens bei dem Baue der Pommerschen Centralbahn Gelegenheit genug gehabt. –

Dr. P.




Das Gebet in der Steppe. (Mit Abbildung, S. 129.) Wie die Gemüthsfärbung bei dem einzelnen Menschen abhängig ist von den äußeren Umgebungen und Einflüssen, namentlich den Eindrücken der Natur, welche zur Zeit seiner ersten Entwickelung auf ihn einwirkten, so ist sie es auch bei ganzen Stämmen und Völkern. Auf den üppigen, blumigen Auen Italiens und Spaniens tönt sich das Volksgemüth in sinnlich heiteren Klängen aus; in diesen munteren Canzonetten flattert ein Stück von dem blauen Himmel des Südens lustig in die Welt hinaus. Aber ernst und melancholisch singt das Volk auf den eisbedeckten Fluren des Nordens und in den weltfremden Einöden und Wüsten des Südens und Ostens; aus den finnischen Volksmelodien spricht zu uns die tiefe Wehmuth und öde Einsamkeit der nordischen Landschaft. Je ausgesprochener aber eine Gegend ihre Eigenthümlichkeiten äußert, desto entschiedener und selbstständiger tritt auch im Gesammtleben ihrer Bewohner der Volkscharakter hervor. Ob es Flach- oder Alpenland ist, das sie bewohnen – welch einen Unterschied bedingt dies in den Charakteren der Völker!

Vielleicht am augenscheinlichsten äußert sich der Einfluß der Natur auf das Volksgemüth bei den Steppenbewohnern. Alle Völker dieser eintönigen, farblosen Ebenen, dieser Sand- und Steinmeere sind schweigsam, düster, melancholisch. Oft fast ganz abgeschlossen von dem Verkehre mit anderen Nationen, führen sie ein beschauliches Hirtenleben und stehen daher in um so innigeren Beziehungen zu der sie umgebenden Natur. Die Einsamkeit vertieft ihr Gemüth unendlich. Alle Zauber der wechselnden Naturerscheinungen um sie herum empfinden sie auf das Tiefste, und so wird dem Steppenbewohner Alles, was Erde und Himmel ihm bietet, zum Gegenstande einer Herzensempfindung; er individualisirt sich Alles: das Haideblümchen, der Strauch und der Baum werden um so inniger besungen, je seltener sie sein Auge erfreuen. Wunderbar und herrlich erklingen die Lieder der Steppe, und kaum bleibt ein Auge trocken, wenn eine ungarische oder kleinrussische Nationalweise in ihren einfachen Melodien ertönt.

Neben dem Zuge sinniger Meloncholie ist es besonders der Hang zum Abenteuerlichen, welcher die Steppenvölker charakterisirt. Der weite Blick über die unendlichen Ebenen, die verlockende Fernsicht, bald unter dunkeln Wolkenlagen gefahr- und unheildrohend, bald in heiterm Sonnenlichte glückverheißend – was zöge das Herz mehr in die Weite als diese ewig offene, ewig in die Ferne hinauswinkende Landschaft?

Und Abenteuer suchend, zieht er weithin über die braune Fläche seiner endlos gedehnten Heimath, der Sohn der Steppe. Er möchte den Großen seines Volkes gleich sein, den stolzen Kosakenhelden, von denen das Lied singt, und dieser ehrgeizige Gedanke begleitet ihn auf allen seinen Zügen. Was Wunder denn, wenn das Gemüth des Volkes mit schwärmerischer Verehrung an jenen Steppenorten hängt, welche die Geschichte oder Sage als heilig bezeichnet? – Die abgöttische Liebe für ihre Helden hat sich namentlich bei den Kleinrussen Podoliens und Volhyniens in ungeschwächter Kraft erhalten. Heilig vor Allem gelten ihnen die einsam trauernden, gigantischen Steppenföhren, welche die Volkssage als Schlachtorte und Sterbestätten berühmter Hetmane kennzeichnet.

Sinnend und singend durchzieht der Hirte mit seiner Familie und seiner Heerde meilenweit die Steppen, und mit ehrfurchtsvoller Scheu betritt er dann im Vorüberwandern mit den Seinen die nationalen Ruhmesstätten in der menschenleeren Oede. Sei es ein Fels, der den kahlen Scheitel gen Himmel hebt und in schweigender Beredsamkeit die Geschichte eines gewaltigen Helden Podoliens erzählt, der hier glorreich siegte oder ruhmvoll unterlag; sei es eine riesige Föhre, die, ein einsames Denkmal hingesunkener Größe, in der schrankenlosen Leere der Wüste ihr groteskes Gezweige himmelan streckt – wie in die Hallen eines Gotteshauses ziehen diese Volksheiligthümer den Hirten in ihre kühlungspendenden Schatten. Hier rastet er mit Roß und Rind, mit Weib und Kind. Und wenn der Steppenwind durch die Zweige des einsamen Riesenbaumes fährt, dann glauben die Wanderer da unten wohl die Stimme der Gottheit zu hören, und die stumme grabesstille Wüste vernimmt das andächtige Gebet ihrer Kinder.

Einen solchen Moment des Gebetes in der Steppe hat der Künstler, dem wir auch theilweise die obigen Mittheilungen verdanken, in unserem heutigen Bilde äußerst effectvoll zur Darstellung gebracht. Die „Gartenlaube“ wird später noch eine oder die andere Zeichnung Franz Zverina’s zur Anschauung bringen und dann nicht versäumen, auch den künstlerischen Werth seiner originellen Leistungen in einigen Worten zu würdigen.




Ein „Zeitroman“. Obschon wir regelmäßige Besprechungen neuer Literaturerscheinungen nicht zu den Aufgaben unseres Blattes rechnen dürfen, wissen wir doch aus Erfahrung, daß unsere Leser sich gern auf größere Werke derjenigen Schriftsteller hingewiesen sehen, die ihnen in der Gartenlaube wiederholt Erquickliches geboten haben. Ein kürzlich unter dem Titel „Unfehlbar“ erschienener vierbändiger Roman unseres langjährigen geschätzten Mitarbeiters Max Ring verdient eine solche Erwähnung in ganz besonderem Grade.

Der beliebte Autor schildert uns hier zwar Kämpfe der hinter uns liegenden Periode von der Abwerfung der Fremdherrschaft bis zu den sogenannten Kölner Wirren des Jahres 1837, aber es umfaßt diese Zeit bekanntlich die erste Phase, die erste noch unklare Gährung jener großen Bewegung der Gegensätze, die allmählich zu unserem heutigen „Culturkampfe“ sich zugespitzt hat. Unter dem Namen „Unfehlbar“ ist also nicht das gegenwärtige Papstthum des vaticanischen Concils zu verstehen, Ring will damit vielmehr die Anfänge des verzweifelten Widerstandes bezeichnen, mit dem die anmaßende, herrschsüchtige, schroff ausschließliche Orthodoxie jeder Confession und Kirche den humanen Regungen und versöhnlichen Forderungen des modernen Bewußtseins und einer neu in den Gemüthern aufkeimenden Bildung sich entgegengestellt hat. Namentlich an dem starren und entwickelungslosen Elemente der beiden ältesten Confessionen, am orthodoxen Judenthume und dem katholischen Ultramontanismus ist dieser Grundzug unduldsamer Verknöcherung in wahrhaft ergreifender Weise und mit einer Schärfe aufgewiesen, wie es bis jetzt kaum jemals geschehen ist. Die Schilderung der Verhältnisse beruht hier bis in die kleinsten Details auf eingehendem Studium, auf feiner und tiefer Beobachtung des Lebens; wir haben es nicht mit einem Darsteller zu thun, der seinen Stoff mühsam aus Büchern geholt; was Ring hier schildert, das hat er noch selber gesehen und im Innersten der eigenen Seele durchlebt und erfahren. Abgesehen von diesem culturgeschichtlichen Werthe der Schilderung ist aber der Roman auch als solcher anziehend durch fesselnde Handlung, dichterisch sich steigernde Entfaltung und vortreffliche Charakterzeichnung, ein durchweg dramatisch lebendiges, unterhaltendes und eindrucksvolles Ganzes, dessen Wirkung freilich bei manchen Lesern wohl hin und wieder beeinträchtigt wird durch zu große Breite der Malerei bei nebensächlichen Punkten. Solche einzelne Stellen werden wohl zuweilen überschlagen werden, aber Niemand wird deshalb das Buch aus der Hand legen, ohne es mit genußreicher Spannung bis zu Ende gelesen zu haben.




Die Aufbewahrung des Hopfens, eine der Fragen, welche schon lange die Brautechnik beschäftigt, scheint endlich durch den Chemiker und Hopfenproducenten A. Breithaupt zu Hagenau im Unterelsaß ihre Lösung gefunden zu haben. Bekanntlich bringt das seither übliche Schwefeln des Hopfens den Nachtheil mit sich, daß das in der Blüthe enthaltene ätherische Hopfenöl, welches dem Biere sein eigentliches Aroma verleiht, zerstört und statt dessen ein übelriechender Körper, Baldriansäure, gebildet wird. Auch der Gerbstoff des Hopfens wird dadurch in die scharf schmeckende Gallussäure verwandelt. Breithaupt’s auf der Wiener Weltausstellung durch die Verdienstmedaille ausgezeichnete Erfindung, welche seitdem durch die Koryphäen der Brautechnik die lebhafteste Anerkennung gefunden hat, besteht nun darin, daß er durch einen mechanisch-chemischen Proceß das ätherische Hopfenöl, welches später dem fertigen Biere beigemischt wird, von dem Hopfen trennt und den Hopfen trocknet, preßt und luftdicht verschlossen aufbewahrt. Er hält sich auf diese Weise Jahre lang. Aeußerlich zeigt er sich in den natürlichen, schönen Dolden, und sein Bitterstoff und seine Gerbsäure bleiben völlig unverändert. Diese Methode ist bereits in den großen Brauereien zu Reichshofen zur Anwendung gebracht worden und hat vorzügliche Resultate ergeben. Das Aroma des Bieres ist wahrhaft überraschend.

F. D.




Kleiner Briefkasten.

Gisela R. in Pesth. Haben Sie unsere Anzeige in Nr. 52 des letzten Jahrgangs nicht gelesen, worin wir eine „Namenlose Geschichte“ von E. Marlitt für den jetzigen Jahrgang anzeigten? In vierzehn Tagen beginnt die Novelle von Paul Heyse: „Die Kaiserin von Spinetta“.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_140.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)