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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Ackerknecht und Raphael.
Von B. Lucas.
(Mit Abbildung.)


Ein Schatzfinder! Wie abenteuerlich, mittelalterlich das klingt! Und doch wie einfach natürlich sich das zutrug, was in diesen Blättern schon einmal (1872, S. 196 ff.) in rascher Erzählung berührt ist und nun, dem Werthe des Gegenstandes entsprechend, in eingehenderer Weise vorgeführt werden soll.

Der Maler Eduard Geselschap sah um 1844 in Düsseldorf bei einem Freunde einige Zeichnungen, die ihm durch den genialen Schwung der Behandlung, durch die Kühnheit der Composition so imponirten, daß er ausrief: „Mein Gott! Wer konnte das zeichnen?!“

„Ein Bauer, Theodor Mintrop,“ war die Antwort.

Nicht lange nachher sehen wir Geselschap im bergischen Lande an einem frisch gepflügten Felde stehen und dem Pflügen eines kräftigen Bauernburschen zuschauen, der mit lautem Zurufe die Pferde zu tüchtigem Eingreifen ermuntert.

„Seid Ihr der ländliche Raphael?“ rief Geselschap dem Bauern freundlich entgegen. Dieser näherte sich und Geselschap staunte den herrlichen Kopf an, der den Adel der Gesinnung auf der Stirn trug und aus dessen Auge das heilige Feuer der Begeisterung sprühte.

Und er hob den Schatz. –

Auf der linken Uferseite der Ruhr, unweit Werdens, liegt ein einsamer Bauernhof, bewirthschaftet von der Familie des Besitzers. Hier ward Theodor Mintrop seinen Eltern als dritter Sohn geboren und kurzweg „Dores“ genannt. Die Mutter, eine einfache, dem Realen zugewandte Frau, sah überall nach dem Rechten. Der Vater war ein strenger Mann in Bezug auf Ausübung der täglichen Pflichten jedoch ausgestattet mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Er erkannte sehr bald, daß sein Dores so „eigen“ sei, wie er selbst, und er nahm ihn mit, zog er über Land und in den Wald. Da war der Dores in seinem Element. Sein Auge sah überall Dinge, die einem Anderen entgehen. Und mit echt empfundener Freude zeigte er dem Vater bald Dieses, bald Jenes, hier eine Schönheit der Beleuchtung, dort eine Eigenthümlichkeit der Färbung mit einem so feinen Gefühle und Verständniß, daß des Vaters Auge und Herz sich erweiterten und er sich sagte: „So ist es, nur wußte ich es nicht zu sagen; der Dores ist doch ein aparter Junge.“

Einen wahren Märchenschatz hatte der Alte aufgespeichert. Dabei besaß er eine Gabe der Darstellung, daß dem Dores bald Alles umher zu leben begann. Aus der Quelle tönten Stimmchen; im Winde rauschte es vernehmlich; aus des Waldes Schatten traten Gestalten; in Schluchten und Ritze huschten die Zwerge, und überall verkörperte sich die Umgebung, indem sie ihn stets zum Mittelpunkte machte und er Zwiesprach mit den Gestalten seiner Phantasie hielt.

Dores wuchs in dieser Einsamkeit des Bauernhofes, der so recht lauschig in Wald und Flur gebettet liegt, und malerische Fernsichten bis zum Rheine bietet, heran. Er mußte seine Zeit zwischen dem dürftigen Schulunterrichte, der so ungenügend war, daß er nicht richtig schreiben lernte, und dem Hüten der Heerde theilen. Und kehrte er Abends heim, so ging es in die Spinnstube, wo Knechte und Mägde sich versammelten. Da knisterte und flammte der Kamin, da rauchten die Knechte, da spannen die Mägde, und der alte Schäfer Sükelmann erzählte in seiner hastigen und rauhen Weise seine Schauergeschichten, daß dem Dores die Haare zu Berge stiegen und es ihn gruselte. Und wenn er nun andren Tages seine Heerde wieder auf die einsamen großen Triften führte und er Stunde um Stunde in die Natur versenkt da saß, da ward es lebendig um ihn: er sah die Wesen, sprach mit ihnen, herrschte über sie, dünkte sich ihr König. Daheim aber nahm er dann die Kohle vom Herde und bevölkerte die Stallwand oder das Scheunenthor in kühnen Umrissen mit den Gestalten, die sein Geist gesehen.

Mancher Tadel ward ihm für die „Firlefanzereien“, wie sein Zeichnen genannt wurde. Nur Eine fand sich, die sein Talent bewunderte, und das war die alte Fiechen, die Frau des alten Schäfers. In ihrem Stübchen räumte sie ihm den besten Platz an dem einzigen Fenster ein und wachte ängstlich, daß Niemand an seine Zeichnungen rühre, die er an Sonn- und Feiertagen unablässig entwarf.

Eines Sonntags aber saß er bei der Mutter in der Kammer und zeichnete halb verstohlen mit einem Rothstifte, den er sich vom Schreiner erbettelt hatte, ein Jesukindlein, als eine Nachbarin eintrat und die Mutter anging, ihr ein Heiligenbild zu leihen, welches das Heiligenhäuschen, das auf ihrem Acker stehe, bei der großen Procession schmücken müsse.

„Mein Heiliger ist verregnet,“ jammerte sie.

Jedoch es wollte sich keine passende Schilderei an den Wänden der Kammern finden.

„Der Dores kann Euch einen neuen Heiligen malen,“ begann die Mutter.

„Der Dores einen Heiligen, einen richtigen Heiligen?“ fragte beklommen die Nachbarin.

„Ja, der kann Alles,“ entgegnete stolz die Mutter mit einem Blicke auf den sie anstarrenden Dores. – „Der Heilige ward bestellt. –

Dem Dores schlug das Herz bis in den Hals; der Athem stockte ihm. Seine Mutter hatte sein Zeichnen, das vielgeschmähte, gelobt. Ein Auftrag war ihm geworden. In diesem Augenblicke gab es keinen seligeren Menschen auf der Welt als den Dores. – Das Honorar für diesen „Heiligen“ bestand in drei schönen rothen Aepfeln, und ein jeder barg ein blankes Fünfgroschenstück. Reicher war kein Crösus. Nun konnte der Bote ihm große, schöne Bleistifte und großes, frisches, weißes Papier mitbringen.

Von Jugend auf ward Mintrop von den Bauern „der Maler“ genannt. Ach, und wie sehnte und härmte er sich, es zu werden! Aber das Schicksal hielt ihn an der Scholle fest, fest, die Scholle zu bearbeiten als Knecht seines Bruders, denn im Bergischen gilt noch das Recht der Erstgeburt.

Dores wurde Soldat und theilte in Köln seine Stube mit Hackländer, und durch Diesen erhielt er den ersten Begriff von Literatur. Wie eine so angelegte Natur von Schiller und Shakespeare, Goethe und Bürger gepackt und gefesselt wurde, ist begreiflich. Als er auf den Hof zurück kam, verbannte er die alten Spuk- und Räubergeschichten und begann damit, in der Spinnstube den Othello vorzulesen. Selbst begeistert, ausgestattet mit einer imponirenden Gestalt und einem breiten, ausgiebigen Organe, sah er bald die Bauern mit weit aufgerissenen Augen, mit offenem Munde, die Pfeifen ausgegangen in der Hand, ihm staunend zuhören und grimmerfüllt das Schicksal Jago's erwarten. Ebenso ergriff er sie durch Shylock, Götz, Tell und manchen Andern. Bald füllte sich die Spinnstube immer mehr, und leer ward das Wirthshaus. Hier und da hatte ein gutes Wort Einkehr gefunden, die Begeisterung nachhaltig gewirkt, war der Sinn für das Schöne geweckt worden. Die Wahrheit siegte eben.

Dreißig Jahre war Dores Mintrop alt, als ihm, wie in dem oben erwähnten Artikel erzählt wurde, die Stunde schlug, die ihn als Schüler in die Akademie in Düsseldorf einführte. Wie froh saß der kräftige, starke Mann mit dem edlen Kopfe unter den Knaben, das A-B-C der Kunst zu erlernen! Ein eiserner Fleiß ließ ihn rasch die nöthigen Studien beendigen, und bald sehen wir ihn frei seinem Genius folgen. In allen Kreisen der Gesellschaft sprach man von ihm und bewarb sich um ihn. Die Kunstkritiker bezeichneten ihn als ein Phänomen am Kunsthimmel. Eine wahre Herzensfreude aber ward ihm, als bald eine Deputation seines Dorfes erschien und bei ihm ein Bild für die Kirche bestellte.

Mit großer Pietät malte er an dem heiligen Ludger, dem Schutzpatrone des Ortes, fast ein Jahr lang. Er brachte das Bild selbst nach Werden. Die Aufstellung und Einweihung desselben gestaltete sich zu einer Feier für Dorf und Umgegend, zu einer Ovation für ihn. Bei dem Festessen, das ihm gegeben wurde, schmückte ein Lorbeerkranz seinen Teller. Der ganze Saal war bekränzt, und als ein Tusch ihm beim Eintreten entgegenschmetterte, rief er ganz überwältigt: „O, hätte das mein Vater noch erlebt!“ Da er bald darauf erfuhr, die Schule sei arm, malte er ein großes Transparent, die Himmelfahrt Christi darstellend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_146.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)