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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Miene gerade auf Maino zu, um ihn als den Anstifter des ganzen Lärms gerade aus dem Brautzuge weg in Haft zu führen. Mochten die jungen Leute nun schon vorher, bei ihrem Ritte nach Spinetta, dem rothen Vorjährigen zugesprochen haben, oder der Ingrimm über diese ausgesuchte Bosheit ihnen zu Kopfe steigen, genug, sie widersetzten sich offen der obrigkeitlichen Macht, und Maino selbst, dem die Demüthigung vor den Augen seiner Braut fast die Besinnung raubte, erwiderte dem Barbone mit so schneidigem Hohne, daß zwar alle Zuhörer vom Dorfe in schallendes Gelächter ausbrachen, der wüthend gemachte Gegner aber nun auch alle Schonung vergaß und seinen spottenden Feind beim Kragen ergriff, um ihn eigenhändig in den Kerker zu schleppen. Im nächsten Augenblicke blitzte das Messer Maino's mit seinen sprühenden Augen um die Wette. Ein Ringen Faust gegen Faust, Dolch gegen Säbel entspann sich; die Weiber und Kinder schrieen; die Männer tobten wild durcheinander. Barbone's Kameraden waren mit den Brautführern handgemein geworden, und erst als der Pfarrer, der von fern in der Kirche das Getümmel des Kampfes vernommen, im vollen Ornat auf der Schwelle des Portales erschien und seine warnende Stimme erschallen ließ, trat eine plötzliche Stille ein. Man sah nun mit Entsetzen, daß der Barbone und zwei seiner Gefährten aus mehreren Wunden blutend am Boden lagen, während auch die hochzeitlichen Kleider Maino's mit Blut bespritzt waren und aus einem Schlitz in seinem sammetnen Aermel schwere Tropfen hervorquollen.

Eine düstere Pause, ein lautloses Umherstarren war auf den wilden Tumult gefolgt. Man sah den Geistlichen eilfertig sich nähern, und Niemand wußte, was nun aus der blutig verstörten Feier werden sollte. Maino aber hatte sich zuerst gefaßt. Nur noch einen Blick tödtlichen Hasses warf er auf den ächzend am Boden liegenden Barbone, dann raunte er seiner sprachlos versteinerten Braut ein Wort ins Ohr, das Niemand verstand, umarmte sie heftig und küßte sie auf den entfärbten Mund, gab dann seinen Genossen ein Zeichen und war im Umsehen durch das dichtgeschaarte Volk verschwunden, gerade als der Pfarrer keuchend herankam, den Namen des Bräutigams rufend, um von ihm Aufklärung über den Hergang zu verlangen.

Die Schüsse, die er schon vorher vernommen, und der Anblick der hingestreckten Hüter des Gesetzes konnten ihn freilich zur Genüge belehren, und er hatte noch kaum nach dem Bader schicken und die Verwundeten befragen können, wie sie sich fühlten, als schon die Nachricht kam, der Bräutigam habe sich mit seinem ganzen Geleit wieder auf die Pferde geworfen und sei wie das Ungewitter davongesprengt, wahrscheinlich in die Waldberge nahe bei Tortona, wenn die Flüchtigen nicht etwa diese Straße nur gewählt hatten, um die Verfolger irre zu leiten. Dann würden sie wohl in dem Busch- und Bergland um Novi herum ihre Schlupfwinkel suchen.

Ein so trübseliges Ende hatte diese Hochzeit genommen. Der Bräutigam war als ein dem Gesetz Verfallner, ein Bandito, in die Wälder geflohen; der Braut blieb Nichts übrig, als in ihr einsames Häuschen zurückzukehren und das alte ledige und langweilige Leben mit ihrem Schwesterchen wieder zu beginnen.

Nach dem ersten Schrecken aber schien dem schönen und gedankenvollen Geschöpf dieser Entschluß nicht eben schwer zu werden. Sie wich allen Beileidsbezeigungen aus, nahm Margheritina bei der Hand und schlug den Weg nach ihrem verlassenen Hause ein, wo man sie noch denselben Tag in ihrem Alltagsgewande gleichmüthig schaffen und sich rühren sah.

Dem Pfarrer, der sich noch gegen Abend bei ihr einfand, um sich nach ihrem Seelenzustande zu erkundigen, erklärte sie, es sei ihr freilich leid um diesen bösen Handel, aber sie vertraue auf ihren und ihres Maino Stern. Sie seien ganz gewiß Beide zu einem hohen und ungemeinen Glücke bestimmt, nur müßten sie sich das Warten nicht verdrießen lassen.

Es war aus ihren Reden abzunehmen, daß ihr Verlobter ihr mehr als je ins Herz gewachsen war, seit er so heroisch sich gegen kecke Vergewaltigung zur Wehre gesetzt. Ueber diesen Punkt wollte sie auch von dem geistlichen Herrn sich keines Bessern belehren lassen. Auch der Kaiser Napoleon würde, behauptete sie, nicht halb so große Dinge erreicht haben, wenn er sich von jedem ersten besten Gensdarmen an die bestehenden Verordnungen hätte mahnen lassen.

Der Pfarrer sah mit Betrübniß, daß eine Art von Kaiserwahnsinn sich dieses stillen Weiberkopfes bemächtigte. Er beschloß, nach Kräften dagegen zu arbeiten. Das ging aber freilich nicht auf einmal.

Bald vernahm man nun im Dorfe, daß Maino mit seinen Spießgesellen in der That um Novi herum sich hatte blicken lassen. Die Wunden des Barbone und seiner Kameraden waren zwar unbedenklich. Aber Regierung und Polizei durften nichtsdestoweniger die Sache nicht leicht nehmen, in Zeiten, wo der eben gedämpfte Carbonarismus überall noch unter der Asche fortglimmte und beim ersten Windstoß hell aufzuflackern drohte. Es wurde daher auf den entwichenen Friedensbrecher und seine Helfershelfer eifrig gefahndet, im Stile all' jener polizeilichen Razzias, bei denen dem gejagten Wilde immer zum Entkommen Zeit gelassen wird, gleichsam um das Jagdvergnügen selbst möglichst zu verlängern. Auf diese Weise bildete die Staatsgewalt aus den armen Teufeln, die anfangs nur aus Noth sich als Dilettanten im Räuberhandwerk gezeigt hatten, die trefflichsten Virtuosen heran, die aus der Noth endlich eine Tugend machten und die neue freie Kunst um keinen Preis wieder gegen ihr altes kümmerliches Gewerbe vertauscht haben würden.

Pia hörte all' diese Dinge erzählen und schien sie als selbstverständlich und keinenfalls ehrenrührig oder verzweifelt zu betrachten. Daß ihr Maino das Räubergeschäft auf eine hochherzige Manier betrieb, die Armen und Elenden schonte oder gar ihnen half, nur an die Großen und Mächtigen sich wagte und sich nirgend mit Mordlust oder tückischer Grausamkeit befleckte, rühmten ihm Alle nach. Das Dorf Spinetta, in welchem er bisher kein sonderliches Ansehen genossen hatte, begann jetzt von diesem seinem berühmten Sohne mit Hochachtung und Bewunderung zu reden. Wer ihm zufällig in den Bergen begegnet war, wußte nicht genug zu sagen, wie schön und stattlich er aussehe und wie er seine Landsleute als Galantuomo behandle. Dem Barbone dagegen, der nach einigen Lazarethwochen wieder dienstfähig war, wenn er auch wegen einer Wunde im Schenkel am Stock herumhinkte, wich Jedermann aus, und er mußte sich trotz seiner amtlichen Würde schiefe Gesichter und verstohlene Flüche gefallen lassen, wo er sich nur blicken ließ.

(Schluß folgt.)




Erinnerungen an Ledru-Rollin.
Von Karl Blind.
(Schluß.)


Mehr als zwanzig Jahre hindurch in London wohnend, blieb Ledru-Rollin der politischen, literarischen und wissenschaftlichen Welt Englands gänzlich unbekannt. Wohlhabend, von feingebildetem Geschmacke, kinderlos, dabei in vollkommener Muße lebend, hielt er sich in gänzlicher Zurückgezogenheit. Von „Engländern“, wenn man so sagen darf, sah er in letzter Zeit nur eine irische und eine schottische Familie. Er schien förmlich zurückzufliehen vor der Berührung mit Allem, was wirklich Englisch war. Der ganze gesellschaftliche und politische Luftkreis des Landes behagte ihm nicht. So kam es, daß er höchstens mit dem Einen oder dem Anderen Verkehr pflog, der gewissermaßen einer widerhaarigen oder halb widerhaarigen Nationalität des britischen Reiches angehörte. Die Iren und die Schotten sind aus alter Zeit her Freunde der Franzosen gewesen. In diesem Punkte war Ledru-Rollin Franzose über die Maßen.

Ein paar französische und zwei deutsche Freunde, und von Italienern Mazzini bildeten, nachdem der Verkehr mit Kossuth abgebrochen war, seinen Umgang. Ab und zu kam noch etwa ein Pole, der dem italienischen Führer als Sendling

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_160.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)