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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

nicht im gleichen Sinne äußern zu dürfen. Ledru-Rollin war indessen auch grundsätzlich nicht für eine solche Uebergangsmaßregel zu gewinnen. Für ihn war eine zeitweilige Umkehr in dieser Frage allerdings doppelt schwierig. Nicht blos war wesentlich durch ihn das allgemeine Stimmrecht eingeführt worden, das zehn Millionen Wähler an die Stelle der bisherigen zweihunderttausend brachte, sondern er selbst hatte auch im Jahre 1849 nahezu eine Million Stimmen auf sich vereinigt.

Im Jahre 1870, vor Beginn des Krieges, kehrte er zum ersten Male wieder nach Frankreich zurück. Wir waren so lange an das öftere Zusammensein mit ihm und seiner Gemahlin gewöhnt gewesen, daß uns sein Scheiden schmerzlich traf, nach dem so manche deutsche, italienische und andere Freunde im Laufe der Zeit London verlassen hatten. Auf kurze Zeit kam er allerdings wieder nach England, bald nahm er jedoch seinen bleibenden Wohnsitz drüben. Während des Krieges war er in dem belagerten Paris eingeschlossen. Seine bereits wankende Gesundheit litt stark unter den Aufregungen; das über sein Land hereingebrochene Unglück erfüllte seinen Geist mit tiefem Kummer. Als er Paris wieder verlassen konnte, fand er seinen Landsitz in Fontenay-aux-Roses furchtbar verwüstet, die Hauptzerstörung war allerdings, wie er selbst überzeugt war, nachträglich durch politische Feinde, namentlich Bonapartisten, an seiner Behausung verübt worden. Seit jenen Ereignissen habe ich ihn nicht wieder gesehen.

Den Abgeordnetensitz in der Versammlung zu Bordeaux nahm er nicht an, da er offenbar den Friedensbedingungen nicht zustimmen wollte. Sein späteres einmaliges Auftreten in Versailles hatte den Zweck, das allgemeine Stimmrecht gegen die Beschränkungen zu vertheidigen, welche die royalistische Rückschrittspartei in ihrem Sinne einzuführen keinen Anstand trug. Die Gegner empfingen den schon so sehr leidenden Mann, als er zu sprechen begann, sofort mit Lärm und reizten ihn durch beständige boshafte Unterbrechungen. Seine im Uebrigen beredte Ansprache wurde dadurch übel zugerichtet, hinterher sprachen die Feinde dann von einem „Fiasco“.

Nur wenige Monate verflossen – und die Herzkrankheit, an der er seit einiger Zeit litt, machte seinem Leben durch einen plötzlichen Schlag in Gegenwart seiner tiefbewegten Lebensgefährtin ein Ende, deren Liebe und Hingebung in Freud’ und Leid stets die treueste gewesen. Wie verschieden auch die Parteiansichten über ihn sein mögen, die Worte bleiben wahr, welche Herr Maillard an seinem Grabe sprach: „Frankreich und die Republik werden seiner stets gedenken.“


Thier-Charaktere.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
Unsere Hauskatze.

Wie das wilde Thier im gezähmten Zustande und unter dem Einflusse menschlicher Behandlung an seiner Eigenartigkeit verliert und eine gewisse Aenderung mit Beibehaltung der charakteristischen Grundeigenthümlichkeiten wahrnehmen läßt, so erkennen wir auch eine teilweise Annäherung und Rückkehr zum ursprünglichen Wesen und Leben, wenn eines unserer zahmen Thiere verwildert. Was eine unübersehbare Periode der Vergangenheit bewirkt hat, das kann die verschwindend kurze Lebenszeit eines Thieres nicht verwischen, und es kann hier nur von Andeutungen die Rede sein, welche uns zu dem Schlusse berechtigen, daß bei verwilderten Thieren unter der Voraussetzung ununterbrochener Verwilderung die Nachkommenschaft einer fernen Zukunft sich von Generation zu Generation dem Urtypus mehr nähern würde. Am langsamsten scheint diese Rückkehr zur Ursprünglichkeit in der äußeren Form und Gestaltung, in den sichtbaren Unterscheidungsmerkmalen von ehedem und jetzt, am schnellsten in der Lebensweise und der sensuellen Begabung stattzufinden. Man nimmt bei verwilderten Katzen, von denen ich besonders reden werde, einen unverkennbaren Unterschied im Vergleiche zu den an Haus und Hof gefesselten zahmen Katzen wahr, theils in Rücksicht der Größe des Körpers, der Stärke und Ausbildung der Gliedmaßen, der Gewandtheit in Ausführung von Unternehmungen, sowie in der Zeichnung, die sich derjenigen der Wildkatze allmählich zu nähern scheint, theils aber vorzugsweise in der Wildheit der Natur und der Schärfung der Sinne wie in der Kühnheit der Raubthaten. Mit dieser Verwilderung betritt unsere Hauskatze ein anderes Gebiet des Wirkens und der Lebensweise, auf dem sie zwar der Hauptsache nach das bleibt, was sie war, aber, auf sich selbst nun angewiesen, Zögling ihrer Erfahrungen und der dargebotenen Gelegenheiten und Umstände wird. Ihre Stellung zum Menschen, ihr Verhalten und ihre Leistungen gegenüber seinen Forderungen, eingedenk des guten Rufs der Hauskatzen wegen ihres wesentlichen Eingriffs in das schädliche Heer der belästigenden Nager, wird von Neuem geprüft werden müssen, und zwar vorurtheilslos, frei von Voreingenommenheit und Nachbeterei. Und man täusche sich doch nicht in dem Glauben, das Richterwort über den Nutzen oder Schaden unserer Thiere sei endgültig gesprochen.

Wer an exacte Forschung nicht gewöhnt ist, der kann sich kaum einen Begriff machen von der Schwierigkeit der Beurtheilung der Thiere in ihrem Verhältniß zu den mannigfaltigen Interessen der Menschen, und gar leicht wird er versucht, mit Geringschätzung von Arbeiten zu reden, deren Werth er nicht versteht, weil er ihnen seine warme Theilnahme nicht zuzuwenden vermag, in wie hohem Grade sie auch allgemeine Aufmerksamkeit verdienen. Vorurtheil, Wahn, Täuschung – sie sind die rechten Kinder der Oberflächlichkeit, des Mangels an Untersuchungstrieb, des Festhaltens an dem Autoritätsglauben, an dem Dogma, das nicht blos in der theologischen, sondern auch in derjenigen Wissenschaft noch teilweise den Kopf einnimmt, die vorzugsweise berufen ist, sich frei und unbefangen zu bewegen und Gründe anzugeben. Schon der Kampf gegen wissenschaftliche Irrthümer ist für den Forscher Genuß, doppelt lohnend aber wird sein Streben, wenn für die Menschheit zu verwertende Ergebnisse erzielt werden, wenn für praktische oder auch ideelle Ansprüche befriedigender Nutzen und Vortheil errungen wird.

Gelegenheit und Erfahrung bedingen in hohem Maße das Verhalten und die Unternehmungen vieler Thiere. So auch würde man sehr irren, wenn man die Katze ihrer Unentbehrlichkeit wegen als Hausgenosse der Menschen für unbedingt nützlich erklären und ihr uneingeschränktes Walten und Hausen auf ihren Raubzügen gestatten wollte. In unzähligen Haushaltungen sind die Katzen angewiesen, sich außerhalb zu ernähren, und man hält sie daheim in der Absicht an Nahrung knapp, um sie zum eifrigeren Mäusefang zu zwingen. Thorheit! Denn der hungernden Katze wird Geduld und Ausdauer zum Lauern an den Löchern und sonstigen Verstecken der Mäuse fehlen und ihr Sinn hauptsächlich auf Naschen und Stehlen gerichtet sein, nur um den Ernährungstrieb zu befriedigen, der unbefriedigt nothwendig Unruhe, Hast und Zugreifen des Aufgefundenen und Dargebotenen zur Folge haben muß. Eine Katze von zuverlässiger Abstammung, ausgestattet mit den wünschenswerthen Anlagen einer echten Katzennatur, fängt Mäuse, um in erster Linie den Trieb zu dem mit listigen Unternehmungen verbundenen Raubfange zu befriedigen. Diese Thätigkeit nimmt das Thier mit allen seinen Sinnen in Anspruch und übt auf das Seelenleben desselben einen überwältigenden Reiz aus, steigert mit der Leidenschaft zugleich ihm den Genuß. Erst in zweiter Linie steht das Behagen am Schmause. Ich kannte viele Katzen, die unmittelbar nach der Küchenmahlzeit statt zur Ruhe auf die Lauer sich begaben und stundenlang unverdrossen auf das Erscheinen von Ratten oder Mäusen warteten, ja, die ein halbes Dutzend Mäuse fingen, ohne auch nur eine einzige derselben nach vollzogener Tödtung anzurühren. Das ist seelische Leidenschaft oder, wie hohe Herren es nennen, Passion, noble Passion, die mich nebenbei zu einer Vergleichung veranlaßt. Die Leidenschaft, welche den gebildeten, echten Waidmann in Auffassung und Ausführung der Jagd beseelt, ist eine ganz andere, als die habgierige und mordsüchtige des rohen Wildschänders. Freilich findet vor der Katze auch das zarteste junge Mäuslein keine Gnade,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_164.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)