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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Endlich mache ich noch auf einen Umstand aufmerksam, der viele unserer Katzen im Winter zur Vogelräuberei verführt, nämlich das Ansammeln der Vögel an Gebäuden und in der Nähe von aufgeschichtetem Holz, von wo aus die Katzen im Sprung aus dem Hinterhalt die Futtersuchenden überlisten. Deshalb füttere man die Vögel an möglichst freigelegenen Plätzen, natürlich auch mit Berücksichtigung des Schutzes vor Habichten und Sperbern. Diese Maßregel empfiehlt sich hauptsächlich bei tiefem Schnee und hartem Frost, weil da die Vögel matt und dreist sich der Gefahr aussetzen. Ein von Schnee entblößter Platz mit ausreichendem und der Ernährungsweise der zusammengeschaarten Vögel entsprechendem Futter wird so zur doppelten Rettungsanstalt für die bedrängten Standvögel.

Wie sehr die erwähnten Maßregeln zu Gunsten einer für den Besitzer von Hauskatzen vortheilhaften Lebensrichtung dieser Thiere beherzigt zu werden verdienen, so wenig täusche ich mich über den Erfolg meiner Mittheilungen, denn die meisten Katzenhalter werden zu bequem und zu gleichgültig sein, um meine Rathschläge zu befolgen. Wirkt mein Wort aber nur bei Einigen, so geht es nicht zwecklos verloren, und der Grund zu weiteren Erfahrungen ist damit gelegt.

Karl Müller. 





Räuber und Wegelagerer im Pflanzenreich.
Studie von Carus Sterne.

Pflanzen, die ihres Gleichen anfallen, um sich auf ihre Kosten zu ernähren, sogenannte Schmarotzer, sind in großer Anzahl bekannt, die meisten verrathen sich schon äußerlich durch ihre bleiche, oft keine Spur von Grün enthältende Tracht. Die kleinsten Formen derselben, dem unbewaffneten Auge zum Theil unsichtbare Schimmelpilze, wagen sich wohl sogar, Ausschläge und andere Krankheiten erzeugend, an den lebendigen Thierkörper und massenhaft auftretend gelingt es ihnen nicht selten, denselben zu überwältigen und zu tödten. Alles das und durch lange Erfahrung unserem Verstande geläufige Erscheinungen, aber daß es höhere, mit allem Reize der Blumenschönheit geschmückte Gewächse giebt, welche mit Vergnügen ein kleines englisches Beefsteak verzehren, und zum guten Theile vom erbeuteten Wildpret leben, das ist eine erst durch neueste Untersuchungen glaubhaft gemachte und außer Zweifel gestellte Thatsache.

Die erste ausführliche Nachricht über einen solchen eingewurzelten Rinaldini gab der englische Naturforscher Ellis im Jahre 1768 in einem Briefe an Altmeister Linné. Man hatte ihm das grausame Gewächs lebend aus den Sumpfgründen Carolinas zugesendet, so daß er seine raubgierigen Gewohnheiten selbst beobachten konnte. Er gab das Steckbrief-Signalement des Banditen ungefähr folgendermaßen: Die Pflanze treibt aus einer Rosette sonderbar gestalteter Wurzelblätter einen Blüthenschaft empor, der einen Strauß so schöner, weißer, unserer Sumpfparnassie im Bau ähnlicher Blüthen trägt, daß Ellis den Namen Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) vorschlug, der dann auch Linné’s Beifall erhielt. Die Blätter sind mit wimperartigen Fransen eingefaßt und auf jeder Hälfte der Blattoberfläche stehen außerdem drei oder auch vier scharfe Borsten. Zwischen den letzteren sondern kleine röthliche Drüsen eine schleimige Flüssigkeit ab, durch welche Insecten angelockt werden, das gefährliche Parquet dieser Blätter zu betreten. Kaum ist dies geschehen, so klappen die beiden Halblappen zusammen, ihre Randwimpern verschränken sich wie die Finger eines Betenden so fest ineinander, daß man sie eher zerreißen als öffnen kann. Ellis behauptete, daß das Insect dabei gleichzeitig durch die erwähnten Borsten der Blattfläche gespießt werde, so daß man durch seine Beschreibung an die sogenannten eisernen Jungfrauen der mittelalterlichen Folterkammern erinnert wird. Indessen das Spießen war eine Uebertreibung, und Linné scheint den ganzen Brief für eine solche gehalten zu haben, denn er wollte nichts von der Verdauungskraft der Pflanzen wissen, welche Ellis bereits vermuthet hatte, er hielt die Venusfliegenfalle einzig für eine neue Art der sogenannten Sinnpflanzen und glaubte deshalb, daß das Blatt nur so lange geschlossen bleibe, wie das Insect mit seinen Bewegungen es reize, und sich nachher öffne, ohne einen Nutzen von dem eingefangenen Cadaver zu haben. Schon Ellis hatte nämlich bemerkt, daß auch die Reizung der Blattoberfläche mit einer Nadel oder einem Strohhalme das Blatt zum Zusammenklappen bringt, allein wenn es merkt, daß es kein Insect gefangen hat, öffnet es sich bald wieder, während dies sonst nicht geschieht. Linné’s Ansicht blieb indessen maßgebend, nur Darwin, der Vater, glaubte doch irgend einen Nutzen hinter der Jagdliebhaberei des Gewächses vermuthen zu müssen und meinte, daß sich die Blüthe vielleicht deshalb mit diesem Kranze von Fußangeln umgebe, damit kein Insect zu den Blüthen emporklettern könnte, um daselbst Zerstörungen anzurichten.

Darwin, der Sohn, hat bekanntlich nächst den deutschen Botanikern Sprengel und Müller am klarsten den Nutzen dargethan, welchen die blühenden Pflanzen aus dem Insectenbesuch ziehen, den sie, weit entfernt ihn verhindern zu wollen, durch Honigausschwitzungen und ein buntes Farbenkleid möglichst befördern. Wir ziehen an unseren Gartenlauben häufig ein Schlinggewächs mit großen herzförmigen Blättern und röhrenförmigen Blüthen, die gemeine Osterluzey, deren Blüthen auf’s Haar einer gewissen Art von Mausefallen gleichen. Der Hals der Blüthenröhre ist nämlich dicht mit steifen Härchen besetzt, die alle gegen den unteren bauchigen Hohlraum der Blüthe gerichtet sind, so daß sie ein Insect wohl hinein, aber nicht heraus kriechen lassen, wenigstens nicht eher, als bis es mitgebrachten Pollenstaub von andern Blüthen dort auf die Narbe abgestreift und neuen Pollenstaub dafür aufgenommen. Ist dies geschehen, so erschlaffen die gedachten Härchen, das Insect spaziert frei heraus, um, ungewitzigt durch die Gefangenschaft, bald genug in eine neue Falle zu gehen und dort seine Geschäfte zu wiederholen. Nur vor den Studien des jüngeren Darwin’s konnte man glauben, daß die so viel sinnreicheren Fangvorrichtungen der Venusfliegenfalle dieser gar keinen Vortheil einbringen sollten.

In der That bemerkte ein Landsmann der Pflanze, Dr. Curtis zu Wilmington in Nord-Carolina (1834), daß die todten Insecten im Innern der Blätter nach und nach unter Einwirkung eines schleimigen von den Blattdrüsen ausgeschiedenen Saftes aufgezehrt werden. Derselbe Beobachter erkannte auch den eigentlichen Sitz der Reizbarkeit in den erwähnten drei Borsten, und ein vorsichtiges Insect, welches zwischen ihnen, ohne sie zu berühren, hindurchwandelt, entgeht damit der drohenden Gefahr. Die Dreihaarigkeit ist eben überall verhängnißvoll. Ein anderer amerikanischer Naturforscher Canby vervollständigte vierunddreißig Jahre später (1868) diese Beobachtungen, indem er zeigte, daß kleine auf dem Blatte niedergelegte Fleischstückchen das Blatt gleichfalls zum Schließen reizten und bis auf einen geringen Rest völlig verdaut wurden, worauf sich das Blatt wieder öffnete, bereit, eine neue Mahlzeit einzunehmen. Er bemerkte ferner, daß Käse als zu schwer verdaulich nicht aufgenommen wurde, sondern im Gegentheil nicht selten das betreffende Blatt tödtete. Zu diesen gewiß schon an sich sehr merkwürdigen Beobachtungen kam vor zwei Jahren noch die des englischen Physiologen Dr. Burdon-Sanderson, daß der Nerv des reizbaren Blattes der Dionäa ganz ebenso wie die Muskeln und Nerven des thierischen Körpers von elektrischen Strömen durchkreist wird, die genau denselben Gesetzen folgen, wie jene, so daß hier eine sehr auffallende Aehnlichkeit zwischen beiden Reichen, sowohl hinsichtlich der Bewegung, wie der Verdauungsorgane, besteht.

Glücklicherweise brauchen wir nicht bis nach Amerika zu reisen, um ein solches Wunder der Pflanzenwelt zu erschauen; unsere Torfsümpfe und Moorbrüche enthalten fast überall in Mitteleuropa einige Pflanzenarten, die nicht nur ganz entsprechende Erscheinungen darbieten, wie die Dionäa, sondern geradezu zu den beachtenswerthesten und zierlichsten Bürgern unserer Flora gehören. Wir meinen die Sonnenthau-Arten, die freilich den meisten unserer Leser unbekannt sein werden, weil sie sich vor Betreten der Moore, aus Furcht vor nassen Füßen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_166.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)