Seite:Die Gartenlaube (1875) 184.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


und ungeachtet mehrfacher empfindlicher Verluste in den Anfangsjahren, durch häufige Reclamen, kostspielige Annoncen und ausführliche Broschüren wie durch stets reelle Bedienung in Nordamerika eine so große Liebhaberei für deutsche Canarienvögel in’s Leben gerufen, daß gegenwärtig die Hälfte der ganzen Zucht nach den Vereinigten Staaten abgesetzt wird. Natürlich stellen sich die Preise für Canarienvögel in Amerika bedeutend, um das Doppelte bis Vierfache höher, als bei uns.

Diese Preise lassen sich einestheils aus den hohen Transportkosten erklären, anderntheils haben sie ihren Grund darin, daß bei jeder längeren Seereise eine größere Anzahl der zarten Vögel durch Tod verloren geht.




Berliner Straßenbilder.
III.


Wenn ein Fremder bei seinen Wanderungen durch die Straßen Berlins eines schönen Nachmittags einen stattlichen alten Militär in weißem Rocke mit blauen Aufschlägen daher kommen sieht, der, umgeben von einer Schaar munterer Jungen, freundlich nach allen Seiten hin grüßt und, wenn er eine hübsche, junge Maid erblickt, auch wohl ein zierliches Kußhändchen wirft, so mag er wissen, daß ihm „Papa Wrangel“ begegnet ist. Das ehrfurchtsvolle Zurückweichen der Passanten und die Zurufe der keckeren Jugend, welche sich als freiwillige Suite an die Fersen des alten Reitergenerals heftet, sobald er sich auf der Straße blicken läßt, würden ihn auch Demjenigen kenntlich machen, der sein Antlitz niemals gesehen hätte. Trotz seiner neunzig Jahre schreitet er rüstig und gemächlich dahin, und sein munter blickendes Auge zeigt den regen Antheil, den Geist und Gemüth an Allem nimmt, was seine Aufmerksamkeit erweckt.

Es ist ein vielbewegtes, inhaltvolles und an höchsten Ehren reiches Leben, auf welches der greise Veteran zurückblickt, der sich rühmen kann, seit Jahrzehnten die originellste und populärste Gestalt Berlins zu sein. Der aus der alten Pommernstadt Stettin gebürtige Generalfeldmarschall Graf von Wrangel war zwölf und ein halbes Jahr alt, als er am 15. August 1796 in die preußische Armee eintrat. Aus dem Tertianer des Gymnasiums zu Neu-Stettin wurde ein Fahnenjunker des in Königsberg garnisonirenden Dragonerregiments von Werther. Zwei Jahre nach seinem Eintritte in das Regiment wurde der inzwischen zum Fähnrich avancirte Junker zum Lieutenant befördert, Beweis genug, daß er sich „gut auf den Dienst applicirt“ hatte.

Als die Trauerbotschaft von Jena und Auerstädt eintraf, wurde auch sein Regiment, eines der stärksten in der damaligen preußischen Armee, auf den Kriegsfuß gesetzt. Es war das einzige Regiment, welches bei Beginn des Winters von 1806 noch vollzählig beisammen war und nun mit der Aufgabe, die letzte Provinz des Staates zu vertheidigen, in Activität trat.

Am 23. December des genannten Jahres vollzog Lieutenant von Wrangel die erste Waffenthat. Ein von ihm geführtes, aus sechszig Mann bestehendes Detachement gerieth bei der Stadt Gurczno in's Gefecht mit einer Abtheilung des unter Commando des Marschalls Ney gegen Soldau vorrückenden französischen Corps. Hier that sich der junge Officier derart hervor, daß er die Aufmerksamkeit des Generals von Lestocq erregte. Als sich Letzterer nach einem Officiere von sicherem Blicke und scharfem Urtheile umsah, welchem er den schwierigen Auftrag ertheilen könnte, ihm Nachrichten über die Stellung der auf Preußisch-Eylau vorrückenden französischen und russischen Armee zu bringen, fiel seine Wahl auf den Lieutenant von Wrangel, welcher dem Befehle zur größten Zufriedenheit seines Generals nachkam. In der Nacht vom 7. zum 8. Februar 1807, bei schneidiger Kälte, machte er sich mit fünfzehn Dragonern und einem berittenen Förster von Rossitten aus auf den Weg. Das vom Feinde besetzte Dorf Storchnest wurde im schärfsten Trabe passirt; mehrere feindliche Bivouaks wurden umritten, und um ein Uhr Nachts war das Thor von Preußisch-Eylau erreicht. Hier erfuhr er von Bürgern, die der Feind aus den Häusern getrieben hatte, daß die Stadt stark besetzt und ein Durchreiten nicht rathsam sei. So ritt denn Wrangel mit seinen Dragonern östlich um die Stadt herum und wagte sich so weit vor, daß er aus den Bivouakfeuern die Stellung der feindlichen Armeen erkennen konnte. Sodann wurde der Rückweg angetreten. Es war ein Ritt von starken drei Meilen, welche aber so schnell zurückgelegt wurden, daß die kühnen Reiter Punkt fünf Uhr Morgens in dem preußischen Hauptquartier wieder eintrafen.

In der Schlacht bei Heilsberg am 10. Juni 1807 trug Wrangel die erste Wunde davon. Der Orden pour le mérite war der Lohn seiner Tapferkeit. Nach dem Tilsiter Frieden, welcher alsbald der Heilsberger Schlacht folgte, wurden auf Grund der neuen Armeeorganisation die vier ersten der acht Escadrons jenes Dragonerregiments zu Kürassieren umgeformt. Die hellblauen Röcke wurden weiß, die weißen Kragen und Aufschläge aber hellblau. So gehörte Wrangel von Anfang an demselben Regimente an, dessen Chef er später wurde und dessen Uniform er zu tragen pflegt, so oft die Wahl derselben in seinem Belieben steht.

Bei Ausbruch der Freiheitskriege rückte Wrangel als Rittmeister und Escadronchef jenes neugebildeten ostpreußischen Kürassierregimentes in’s Feld. In der Schlacht bei Groß-Görschen hatte er mit seiner Escadron eine russische Batterie zu decken. Bei der Entwickelung des Gefechts nahm er einen Moment wahr, wo ein weiteres Vorrücken der Batterie ihre Wirkung erhöhen mußte. Der Commandeur schloß sich der Meinung Wrangel’s an, machte ihn aber auf eine Stelle aufmerksam, wo französische Tirailleurs standen, welche der Batterie gefährlich werden konnten, wenn dieselbe bis zu dem vom Rittmeister angegebenen Platze avancirte. „Ich werde hinreiten und selbst sehen,“ meinte Wrangel, „ob die feindlichen Tirailleurs den Platz beschießen können. Schießen sie mich todt, so ist es dort gefährlich, reichen die Kugeln aber nicht bis dorthin, so werde ich vom Pferde steigen und Ihnen dadurch das Zeichen zum Avanciren geben.“ Gesagt, gethan. Er ritt bis zur betreffenden Stelle vor und gab sich selbst als Zielscheibe den französischen Kugeln preis. Als er sich überzeugt hatte, daß dieselben nicht zu ihm heranreichten, stieg er ab, und in demselben Augenblicke setzte sich die Batterie in Bewegung. Wrangel selbst spielte den Kanonier und richtete das erste Geschütz. Die Granate sauste dahin und drüben ging ein Pulverkarren in die Luft.

Am Abend der Schlacht kamen die ostpreußischen Kürassiere bei der bekannten Blücher’schen Cavallerieattaque noch einmal in’s Feuer. Wrangel’s Escadron attaquirte ein französisches Infanteriequarré und sprengte es vollständig. Es entstand ein wirrer Knäuel, und die Dunkelheit ließ Freund und Feind kaum unterscheiden. Wrangel selbst war beim Einhauen gestürzt, als sein Pferd, von einem feindlichen Schusse tödtlich getroffen, unter ihm zusammenbrach. Stundenlang blieb er auf dem verödeten Schlachtfelde in finsterer Nacht unter dem erschossenen Pferde liegen. Erst nach vielen Fährlichkeiten und von einer schmerzhaften Fußquetschung geplagt, gelang es ihm, gegen Morgen zu den Seinen zurück zu gelangen, die ihn bereits todt geglaubt hatten. Es ist bezeichnend, daß der junge Rittmeister damals auf die Frage des Majors von Grolmann, seines treuen Freundes und Gönners, ob das Avancement zum Major oder aber das kurz zuvor gestiftete Eiserne Kreuz seinen Wünschen besser entspräche, nach kurzer Ueberlegung erwiderte, „der Majorsrang wäre ihm vor der Hand lieber, denn das Kreuz gedächte er sich bei nächster Gelegenheit doch noch zu holen.“

Am 3. August, dem Geburtstage Friedrich Wilhelm’s des Dritten, erfolgte dann Wrangel’s Ernennung zum Major. Inzwischen aber hatte der Regimentskommandeur, Oberst von Twardowski, seinerseits den nunmehrigen, noch nicht dreißigjährigen Major zum Eisernen Kreuz in Vorschlag gebracht. Als er nun zwar selbst, nicht aber Wrangel das Kreuz erhielt, erklärte er vor dem versammelten Officierscorps, daß er es nicht früher tragen werde, bis auch sein Camerad damit geschmückt wäre, und so lange wiederholte er seinen Vorschlag, bis der König dem jungen Major das Ehrenzeichen verlieh.

Wrangel’s hervorragendste Waffenthat in den Befreiungskriegen war das ruhmvolle Rückzugsgefecht bei Etoges am 13. Februar 1814. Der damalige Führer des Regiments,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_184.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)