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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 14.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Ein kleines Bild.
Von Ernst Wichert.


„Ich bitte gleichwohl darum,“ nahm Arnold wieder das Wort. „Man pflegt eine solche Vorstellung auch dann für schicklich zu halten, wenn bei einer ersten Begegnung kein Theil im Zweifel über den anderen sein kann. Jeder gesellschaftliche Verkehr braucht eine formelle Einleitung, und da eine gemeinsame Reise unter allen Umständen häufige Berührungen –“

„Herr Arnold Rose, Kaufmann – meine Tochter Juliette,“ unterbrach Blanchard vorstellend, um weitere, jedenfalls unliebsame Erörterungen abzuschneiden. Das Mädchen verneigte sich flüchtig und nickte gleich wieder den Freundinnen zu. Rose konnte sich von einer nochmaligen Aufnahme des Gesprächs keinen Erfolg versprechen. „Wird sich mit der Zeit schon von selbst machen!“ tröstete er sich, stieg auf und trieb die Pferde an.

Vater und Tochter waren bald in eifriger Unterhaltung. Beide hatten viel zu fragen und zu erzählen. Alle kleinen Erlebnisse der letzten Wochen wurden ausgetauscht; Juliette hatte zu lachen und zu weinen und wieder zu weinen und zu lachen. Mit zärtlichster Sorge erkundigte sie sich immer wieder nach der Mutter, und des Bruders ungewisses Schicksal schien sie tief zu bekümmern. Dazwischen lief denn eine lebhaft humoristische Schilderung der Confusion im Pensionat bei der Nachricht von der Annäherung des Feindes; wie Demoiselle Tallandier ihre Lockenperrücke in der Eile verkehrt aufgesetzt und Madame Roland in der Küche alle ihre Recepte verwechselt habe. Es folgten heftige Exclamationen über die Unhöflichkeit des Feindes, alle diese Unruhe über eine friedliche Erziehungsanstalt gebracht zu haben, Klagen über das unglückliche Frankreich, das von seinen Generälen verrathen werde, Ausbrüche des Zornes gegen den Feind, dann wieder Berichte von Siegen, die als ganz zuverlässig gemeldet seien. Blanchard, der sich sonst so gern aus derselben Tonart äußerte, war jetzt auffallend zurückhaltend und still. Erst als das Gespräch die inneren Angelegenheiten des Landes zu berühren anfing, betheiligte er sich lebhafter dabei. Juliette war eine eifrige Republikanerin – wäre sie von Adel, sagte sie, so würde sie Legitimistin sein – er dagegen war Bonapartist gewesen und konnte sich noch immer nicht entschließen, Napoleon ganz aufzugeben. Darüber kamen beide in den muntersten Wortstreit. Arnold glaubte, sich jetzt einmischen zu dürfen, wendete sich zurück und warf eine Bemerkung in das Gespräch. Es folgte aber keine Antwort darauf, sondern die Unterhaltung war damit ganz abgebrochen. Juliette zog die Capote tiefer über die Stirn und hielt ihren Pelzmuff vor Mund und Kinn.

Arnold hatte aber doch wieder einen Blick aus ihren wunderbaren Augen erhascht. Seiner Eitelkeit schmeicheln konnte derselbe freilich nicht, es hätte denn die Feindseligkeit, die sich darin aussprach, für eine besondere Art von Theilnahme erachtet werden müssen. Wunderbar waren diese Augen doch, von einem tiefen Graublau und wie in einem feuchten Glanz schwimmend, der alles Licht einzufangen schien, um es in Blitzfunken auszuströmen. Der sprechende Gesichtsausdruck des Bildes wurde nun begreiflich; seine Anziehungskraft ließ sich gleichsam erklären, denn die Sonne hatte etwas von diesem Sprühfeuer aufgefangen, festgehalten und auf das Papier gefesselt. Nur daß die Wirkung Auge in Auge noch viel anregender, herausfordernder war. Jener Zug von naiver Freude an sich selbst, der das Bild so reizend machte, ließ sich jetzt nicht bemerken, aber das Bemühen, eine stolz abweisende Haltung anzunehmen, hatte doch etwas fast komisch Gezwungenes und, ganz der Absicht entgegen, gar nicht Imposantes. Arnold, der sich unausgesetzt in Gedanken mit der reizenden Feindin beschäftigte, mußte in sich hinein lachen über ihre patriotischen Schauspielerkünste, die ihn sicher doch ärgern sollten. Er ärgerte sich durchaus nicht, aber er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit fühlbar zu machen, daß er denn doch nicht nur für den Kutscher der Herrschaften gelten wollte und rücksichtsvollere Behandlung erwartete.

Nachdem die Fahrt unter mancherlei Hindernissen, namentlich durch Streifcorps herbeigeführt, die entweder Auskunft über die feindlichen Stellungen verlangten oder bei der Prüfung der Legitimation der Reisenden vorsichtig waren, mehrere Stunden gedauert hatte, wurde bei einem Wirthshause Station gemacht. Blanchard führte sogleich seine Tochter in’s Zimmer und überließ, ohne auch nur ein freundliches Wort zu sagen, Rose die Sorge für Wagen und Pferde. Als Letzterer nach einer Viertelstunde ebenfalls in die Wirthsstube trat, saßen die Beiden bei einem frugalen Male an einem kleinen Tische, der so gegen den Kamin vorgeschoben war, daß ein Dritter nicht mehr Platz daran finden konnte. Er merkte die Absicht. Blanchard schien sich zu geniren; er bückte sich tiefer, als nöthig, auf seinen Teller nieder und bearbeitete etwas lärmend mit Messer und Gabel ein Stück Fleisch. Juliette aber wendete das Köpfchen und suchte den näher Tretenden durch einen Blick fernzuhalten, der etwa sagen wollte: wir wünschen allein zu sein, mein Herr. Sie war also die Veranstalterin dieser künstlichen Absonderung und feierte nun ihren Triumph, da er wirklich einen Augenblick in Verlegenheit kam, wie er sich dieser Kriegserklärung gegenüber benehmen solle. Aber ein Rückzug war jetzt gefährlich. „Wir werden an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_225.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)