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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Eine arme Mehlverkäuferin aus der Vorstadt Mariahilf war in harte Bedrängniß gerathen und wandte sich in ihrer Noth an die Goßmann. Was ihr diese aus eigenen Mitteln hätte geben können, wäre nicht genug gewesen. Da mußte gründlich geholfen werden, und es wurde geholfen. Friederike machte sich auf und verkaufte selbst das Mehl in dem Laden der Frau vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht. Man kann sich denken, wie groß das Gedränge im Laden war, und wie die Dukaten der armen Frau nur so zuflogen. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht durch die Stadt verbreitet, daß die Goßmann Mehl verkaufe, und der Andrang wurde schließlich so stark, daß die löbliche Polizei sich in’s Mittel legen zu müssen glaubte und den Gewerbeschein der merkwürdigen Mehlmesserin sehen wollte, wodurch sich übrigens die eifrige Verkäuferin durchaus nicht beirren ließ, vielmehr ließ sie es darauf ankommen, daß man ihr später, wenn sie ihr Werk vollendet haben würde, den Proceß mache.

Bei all ihren Erfolgen blieb Friederike Goßmann doch immer bescheiden in ihrem Wirkungskreise und sie war, wie beim Publicum, so auch bei ihren Berufsgenossen und -genossinnen, der Liebling. Mit besonderer Verehrung sah sie zu der großen Tragödin Julie Rettich empor, und neben dieser nannte sie sich selbst immer nur das Radieschen des Burgtheaters. Halm soll – nebenbei bemerkt – eigens, für dieses Radieschen sein „Wildfeuer“ geschrieben haben.

Sie war noch keine zwei Jahre am Burgtheater engagirt, als sie ihren jetzigen Gemahl, den Grafen Anton Prokesch-Osten, damals Officier, auf einem Balle kennen lernte. Ihre Herzen fanden sich gleich, und es war zwischen ihnen bald ausgemachte Sache, daß sie sich angehören sollten für’s ganze Leben. Mit Bezug auf dieses Bündniß erzählt man sich in Wien ein Geschichtchen, das ich hier reproduciren will, weil es mir, mag es sich nun buchstäblich zugetragen haben oder nicht, charakteristisch zu sein scheint für die betheiligten Personen.

Eines Tages überbringt ein „guter“ Freund der Künstlerin die Nachricht, daß der Vater ihres Auserkorenen seinem Sohne diese Heirath verboten habe. Kaum hatte sich aber der Freund empfohlen, als ihr der alte Graf selbst in den Wurf kam, und aufgeregt von dem Gehörten, richtet sie die directe Frage an ihn, ob es wahr sei, was man ihr hinterbracht habe. Der Graf, der als Diplomat – er war Botschafter in der Türkei – sich schon in mancher schwierigen Lage befunden hatte, der in der Schlacht von Waterloo wacker Stand gehalten hatte, er fühlte sich in so schiefer Situation, wie vielleicht noch nie. Allein ein Blick in die Augen des geängsteten Kindes, dem um sein Lebensglück bange war, gab ihm seine Haltung wieder, und er antwortete, selbst bezaubert von der kleinen Fragestellerin, die solcherweis ihr Schicksal selbst in die Hand genommen hatte: „Allerdings habe ich es meinem Sohne verboten, allein wenn ich mein Sohn bin, so habe ich Verstand genug, meinem Vater unter gar keiner Bedingung zu gehorchen.“ – Ich bin selbst zu wenig Graf und zu wenig bejahrter Vater eines heirathslustigen Husarenofficiers, um ein competentes Urtheil über diese Geschichte zu fällen, allein ich denke, daß sie Jeden, der das Herz auf dem rechten Flecke hat, wohlthuend berühren muß. Derartige kecke Gefühlsäußerungen, wie sie sonst wohl auffällig erscheinen würden, finden ihre Begründung in der durchaus naiven und kindlichen Charakteranlage der Goßmann; hat sie doch einmal in Königsberg auf offener Bühne bitterlich geweint, weil das Theater leer war, und sie konnte damals erst weiter spielen, nachdem sie sich rechtschaffen ausgeweint hatte. Dann aber spielte sie wieder mit sprühendem Humor, mit ungezügelter Schelmerei und rührender Gefühlswärme.

Wir sind bald am Ende unserer Skizze, und so dürfte es sich geziemen, hier einige Rollen aus dem reichen Repertoire der Künstlerin namhaft zu machen, durch welche sie ihre vornehmsten Triumphe feierte. Viele von den Stücken, die sie getragen hat, haben nur wenig künstlerische Bedeutung, und wenn doch Leben und Farbe in sie kam, so war es oft nur dem glücklichen Naturell und dem Spiele der Goßmann zu danken. Wir nennen an erster Stelle natürlich „Die Grille“, dann die Julien in „Sie schreibt an sich selbst“ und in „Ein Autograph“, die Lorle in „Dorf und Stadt“, Hermance in „Kind des Glücks“, endlich den Taugenichts von Paris, das Gänschen von Buchenau etc.

Nach ihrer Verheirathung bezog sie eine reizende Villa in Gmunden; in dieser befindet sich ein merkwürdiges Sanctuarium der Künstlerin. Die Wände sind bedeckt mit Cartons, welche ihre Rollen zum künstlerischen Vorwurfe haben; die Möbel sind überzogen mit den Bändern, welche dereinst an den ihr geworfenen Kränzen flatterten; in zahlreichen Urnen ruht die Asche verbrannter Blumen; ein dickes Album enthält die Gedichte, die der Gefeierten gewidmet wurden – so ruht sie auf ihren Lorbeeren, in einem Alter, in welchem für gewöhnlich anderen Menschenkindern die Ruhmessonne, wenn sie ihnen überhaupt leuchtet, erst aufzugehen beginnt. Einmal vermählt, konnte sie nicht mehr so ausschließlich ihrer Kunst leben, wie früher, aber die mächtige Liebe zu derselben wollte nicht schwächer werden, und so nahm sie denn Narkosen in Form von Orientreisen und Krokodiljagden ein. Auf eine ihrer Orientreisen gab ihr David Fr. Strauß folgendes Gedichtchen mit auf den Weg:

Wenn Dein Fuß die heil’gen Stätten,
Holde Pilgerin, betreten,
Bitt’ ich, wenn sie nach mir fragen.
Ihnen meinen Gruß zu sagen.

Zwar vom Ketzer, dem sie grollen,
Werden sie den Gruß nicht wollen:
Doch ihr Zorn wird schnell vergehen,
Wenn sie auf die Botin sehen.

Den im Eingange dieses Aufsatzes erwähnten kleinen literarischen Ausnahmefall bildet die im „Sport“ veröffentlichte Schilderung einer Krokodiljagd am Nil. Es heißt unter Anderem darin: „Ein Krokodil nur zu sehen, ist der anfänglich noch bescheidene Wunsch, – darauf schießen zu können, wäre doch schön, meint man später, und endlich regt sich die wilde Lust, eines zu besitzen.“ Ist das nicht allerliebst, die Grille mit ihrer wilden Lust ein Krokodil zu besitzen? Bei der geschilderten Jagd hat natürlich ihr Gemahl dem Krokodil die tödtliche Kugel mitten durch das Herz gejagt, wenn auch noch ein anderer Jäger dem Unthier durch einen Schuß in’s Auge den vollständigen Garaus machte.

Balduin Groller.




Dereinst.


Das ist im Feld derselbe Rain,
Wo wir gegangen Hand in Hand,
Als in der Sommersonne Schein
Der Halme Goldfluth wogend stand;
Kornblumen wandst in’s Haar Du ein,
     Die Lerchen lustig sangen: – –
Das ist im Feld derselbe Rain,
     Wo wir dereinst gegangen.

Das ist im Wald derselbe Ort,
Wo wir gesessen manches Mal;
Durch’s grüne Laubdach fort und fort
Glitt glänzendweiß des Mondes Strahl.
Hier Haidekraut, Wildfarren dort –
     Ich werd’ es nie vergessen: – –
Das ist im Wald derselbe Ort,
     Wo wir dereinst gesessen.

Das ist vor’m Dorf die stille Statt,
Wo oft die Schrift gelesen wir,
Die Liebe eingegraben hat
Auf Kreuz und Steinen weinend hier;
Bin wandernsmüd und todesmatt
     Alleine dort gewesen. – –
Am frischen Grab an stiller Statt
     Die Schrift konnt’ ich nicht lesen.

G. v. D.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_231.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)