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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

muß, und wenn es auch nur Scheinkäufe sind: der Makler erhält trotzdem seine Courtage oder Gebühr. Allmählich finden sich wirkliche Käufer, nach und nach wird, durch Zeitungsberichte und durch Empfehlungen der Banquiers, das Publicum herangezogen; und nun schwankt der Cours von „Leim“ zwischen 112 und 98, bis die Actien glücklich untergebracht sind, wo er dann sofort oder doch sehr bald einen jähen Sturz, bis etwa 70 oder 60, zu erfahren pflegt. Außer den unglücklichen Actionären kümmert sich fortan kein Mensch mehr um „Leim“. Itzig Meyer u. Comp. aber verrechnen sich mit den Consortial-Verschworenen. Der Mittelcours, zu welchem die Actien durchschnittlich „begeben“ sind, stellt sich auf

  105 Procent.
                 Davon ab:  
 Courtage an die Makler, Bonificationen an die
     Banquiers, Douceurs, Gratificationen und
     andere Spesen, zusammen
15
Bleiben 90 Procent.
 Der Cours, zu welchem die Consortial-
     Verschworenen „Leim“ übernahmen, war
70
 Mithin haben sie verdient 20 Procent,

was bei einem Pöstchen von 5000 oder 10,000 Thalern schon ein hübsches Sümmchen ausmacht, und bei einem Posten von 50,000 oder gar 100,000 Thalern eine sehr anständige Summe. Auch die „Nante’s“ halten ihren Schmaus. Der dicke Chorführer ist mit 10 Stück Actien à 200 Thaler „betheiligt“, so daß er 400 Thaler einstreicht, während den Andern nur je 5 Stück zugeschrieben sind, auf jeden von ihnen also ein Consortialgewinn von 200 Thalern entfällt. Davon fristen die armen Schlucker nun wieder eine Zeit lang ihr Leben, aber es giebt unter ihnen auch feine anschlägige Köpfe, und Einer oder der Andere arbeitet sich wohl rasch empor und spielt bald an der Börse eine wichtige Rolle.

Wie schon gesagt, werden den Consortial-Verschworenen selber keine Stücke ausgehändigt. Itzig Meyer u. Comp., die den Cours halten und daher alles Material, was etwa angeboten wird, wieder aufnehmen, könnten sonst leicht in die Lage kommen, „Leim“ von ihren eigenen Helfershelfern zu hohem Course zurückkaufen zu müssen. Werden die Actien aber nicht abgesetzt, dann sind die Verschworenen verpflichtet, die gezeichneten Posten zu dem verabredeten Consortialcours zu beziehen, was sie natürlich nicht gern und in der Regel nicht gutwillig thun. Ein solcher Fall ereignete sich unter Anderm bei Gründung der Dannenberger’schen oder eigentlich Liebermann’schen Kattunfabrik. Herr Richard Schweder, der den „Krach“ wohl schon in den Gliedern verspürte, hatte die „Einführung“ der Actien verzögert und verzögert, bis er endlich ganz plötzlich damit herausrückte. Er machte ein gründliches Fiasco, und sein Adjutant, Herr Paradies, mußte es ausbaden. Die Consortial-Verschworenen, die bei so vielen Gründungen mit Herrn Schweder Hand in Hand gegangen waren und jedes Mal so hübsch verdient hatten, wiesen jetzt „Kattun“ mit Entrüstung und Abscheu zurück, und als es zum Processe kam, gab der Richter, in Erwägung der eigentümlichen Umstände, ihnen Recht, und die „Preußische Boden-Credit-Actien-Bank“ mußte den ganzen „Kattun“ für sich behalten.

Allerdings war die „Einführung“, ohne „Subscription“ und ohne „Prospect“, ein bequemeres und kürzeres Verfahren, aber es gehörten dazu auch starke und kraftvolle „Hände“, zumal der Einführungscours fast regelmäßig nicht unbedeutend über Pari (100) gesetzt wurde, was dann sofort die Schweißhunde der Börse, die Fixer herbeilockte – jene ehrlichen Leute, welche ein Geschäft daraus machen, auf das Fallen der Course zu speculiren und die Course unter Aufbietung jedes Mittels herunterzureißen, wofür sie freilich zuweilen arg bluten müssen. Des bessern Verständnisses wegen folge hier ein Beispiel. Die Actien der „Producten- und Handelsbank“ – eine Schöpfung, zu der auch Wiener Gründer extra nach Berlin gekommen waren – wurden mit 116 eingeführt. Weil aber diese Actien nicht voll, sondern nur mit 40 Procent eingezahlt waren, betrug der Einführungscours thatsächlich 140. Gewiß eine colossale Unverschämtheit, da die Bank noch gar nichts gethan hatte, noch nicht einmal eingerichtet war!

So dachten auch die Fixer, und sie begannen die Actien zu werfen, ein Pöstchen nach dem andern in blanco zu verkaufen; das heißt, ohne es zu haben. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Die Gründer hielten fest, nahmen die Blanco-Abgaben bereitwilligst auf und drückten den Fixern Zoll um Zoll die Gurgel zu. Als der Ultimo, der letzte Tag im Monat und damit der Zeitpunkt der Lieferung kam, mußten die Fixer sich mit einem Verlust von 7 Procent „decken“, und die Gründer, als die alleinigen Besitzer des Materials, hätten ihnen eine noch weit höhere Buße dictiren können. Solche Strangulirung aber nennt man an der Börse eine Schwänze.

Der Einführungsmodus war das beste Mittelchen für die Agiotage oder den Courswucher, welcher sich nicht wesentlich von der sogenannten Halsabschneiderei unterscheidet. Herr Richard Schweder führte noch im Januar 1873 die Actien der Kohlenzeche „Louise Tiefbau“ mit 115 ein, während heute der Cours 50 steht und höchst wahrscheinlich noch viel tiefer sinken wird. Die famose „Dortmunder Union“, gegründet von den Herren Miquel und von Hansemann in Berlin, Wilhelm von Born in Dortmund, Abraham von Oppenheim in Köln, Rothschild in Frankfurt etc., – erschien an der Börse mit 110, wurde dann bis 228 hinaufgetrieben und steht jetzt circa – 20!!!

Wie die „großen Häuser“ die wuchtigsten Gründungen vollführten, so waren sie auch die eigentlichen Meister des Agiotagespiels, bei dem sie Millionen einstrichen. Rothschild, Bleichröder, Hansemann, Jakob Landau und Wilhelm Behrens in Hamburg, denen sich wieder Herr von Kardorff und Graf Hatzfeld zugesellten, componirten die „Deutsche Reichs- und Continental-Eisenbahnbau-Gesellschaft“, mit einem Grundcapital von zehn Millionen Thaler. Die 40procentigen Interimsscheine wurden mit 55 bis 65 Thalern untergebracht, während sie heute etwa mit 22 Thalern bezahlt werden!! Das Stärkste aber leistete doch die „Discontogesellschaft“ mit den Herren von Hansemann und Miquel an der Spitze. Wenn der Schlichte Menschenverstand darauf schwört, daß 2 × 2 = 4 ist, so bewies die „Discontogesellschaft“, daß an der Börse eine höhere Rechenkunst gilt. daß hier 2 × 2 sowohl 5 wie 3 sein kann, je nach den Umständen und Zeitverhältnissen.

Wie die „Preußische Boden-Credit-Actien-Bank“ sich eine Filiale in der berüchtigten „Preußischen Credit-Anstalt“ zulegte, so schuf auch die „Discontogesellschaft“ ein Tochter-Institut, die seitdem ebenso anrüchige „Provinzial-Discontogesellschaft“, mit einem Grundcapital von zehn Millionen Thaler. Die Actien, worauf 40 Procent eingezahlt, kamen an die Börse mit circa 125 und gingen bei solcher Einzahlung bis etwa 150. Von diesem Cours wurden die fehlenden 60 Procent abgezogen, und somit 40 Thaler mit 65 bis 90 Thaler bezahlt!! Damals waren nach der Rechnung der Discontogesellschaft 2 × 2 = 5. Inzwischen sind auf die Actien noch 20 Procent nachgezahlt, aber trotzdem werden sie gegenwärtig nur mit circa 75 notirt. Von diesem Cours gehen ab die fehlenden 40 Procent, und es werden demnach 60 Thaler mit etwa 35 Thalern bezahlt!! Das aber bedeutet, daß bei der Discontogesellschaft 2 × 2 heute nur 3 ist.




Amerika hinter dem Schleier.
Von Moritz Busch.

Wie die Vereinigten Staaten das Land der Secten sind, so sind sie auch das Land der geheimen Gesellschaften, und zwar erstrecken dieselben ihre Werbungen und Wurzelverzweigungen bis in die untersten Regionen der Bevölkerung hinab, und selbst in den höheren Unterrichtsanstalten bestehen deren unter den Schülern, wie uns unter Andern Aldrich[1] von einem Club der „Tausendfüße“ (centipedes) auf der Schule zu Rivermouth erzählt. Das alte Europa begnügte sich, von den Carbonari

  1. Im dritten Band der „Amerikanischen Humoristen“. (Leipzig. Grunow.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_238.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)