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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


diese Proclamation unbeachtet blieb, so erging am 18. October eine zweite, die für die erwähnten Counties das Privileg der Habeascorpusakte aufhob, und dem inzwischen dort eingerückten Militär die Weisung ertheilte, alle Personen, welche auf glaubwürdige Weise beschuldigt würden, Teilnehmer an jener gesetzwidrigen Verbindung zu sein, in Haft zu nehmen und dem Marschall der Vereinigten Staaten zur Untersuchung und Aburtheilung zu übergeben. Diese Maßregeln wurden sofort in Vollzug gesetzt. Die Mitglieder der Kukluxvehme wurden, wo sie nicht flüchteten, eingezogen; die Gerichte sprachen ihr Urtheil, und das Schreckenssystem, welches fast ein Jahr auf den Negern und den wenigen republikanisch gesinnten Weißen jener Landstriche gelastet, hatte ein Ende. Schon am 2. November waren allein in York-County hundertzwei Kuklux-Men eingesperrt, über zweihundert, die eingestandnermaßen Mitglieder der Verbindung gewesen, auf Handgelöbniß in Freiheit und hundertzwanzig bis hundertfünfzig andere auf der Flucht vor dem Arme der Gerechtigkeit und in den Wäldern verborgen.

Wie groß die Zahl der geheimen Gesellschaften in Amerika ist, mag die aus glaubwürdiger Quelle geschöpfte Mittheilung zeigen, daß im Jahre 1860 allein in der Stadt New-York zweihundertneunzig Logen, Oddfellowlager, Druidenhaine und ähnliche Clubs bestanden. Der verbreitetste Geheimbund ist derjenige der Freimaurer. Auch dieser war hier nicht immer so harmlos wie in Deutschland und spielte wenigstens einmal, wenn auch nur gezwungen, eine Rolle in der Politik. Im Jahre 1826 verschwand zu Batavia im Staate New-York der Freimaurer William Morgan, der wegen eines Zerwürfnisses mit seiner Loge seine Verpflichtung zur Geheimhaltung der Ordensmysterien durch Veröffentlichung derselben zu brechen im Begriffe stand, auf räthselhafte Weise. In der Dunkelheit der Nacht war – so erzählte man – ein Wagen mit Vermummten vor seiner Thür erschienen, und nach einiger Zeit wieder weggefahren, wie man glauben mußte, mit ihm. Denn am anderen Morgen war Morgan fort. Die fertigen Druckbogen seines Werkes waren ebenfalls weggeschafft, das noch nicht gesetzte Manuscript desgleichen, der Satz, der in der benachbarten Druckerei der Correctur harrte, durcheinander geworfen. Morgan blieb verschwunden. Jemand wollte ihn in Begleitung einiger Männer, die ihn als Gefangenen bewacht hätten, in einem Orte an der canadischen Grenze gesehen haben. Damit hörte jede Spur von ihm auf. Selbstverständlich machte der Vorfall das größte Aufsehen, und allenthalben nahm man an, jene Vermummten seien Freimaurer gewesen, und der Unglückliche sei nach der Drohung des alten Masoneneides, welche auf den Bruch desselben, soweit er Schweigen über die Geheimnisse des Ordens fordert, allen Ernstes Hinrichtung durch Abschneiden des Halses und Ausreißen der Zunge setzte, bestraft worden. Der Umstand, daß das Verlangen nach einer Untersuchung der Sache bei den Behörden auf Schwierigkeiten stieß, bewirkte große Entrüstung, und aus dieser ging allmählich die Partei der „Antimasons“ oder Freimaurerfeinde hervor, die sich die Ausschließung aller Ordensangehörigen von städtischen und Staatsämtern sowie von der Vertretung im Congreß und den Staatenlegislaturen zum Zweck setzte und, nachdem sie die erste Zeit auf den westlichen Theil des Staates New-York beschränkt gewesen, sich auch über die Neu-Englandstaaten sowie über Pennsylvanien und Ohio ausbreitete, so daß sie, als die Union sich zum Wahlkampfe von 1831 rüstete, ein beachtenswerthes Gewicht in die Wagschale der Entscheidung zu werfen im Stande war.

Ob Morgan wirklich hingerichtet worden ist, ist nie bewiesen worden und wird jetzt auch wohl nie bewiesen werden. Charakteristisch aber war die Antwort, die mir einst ein angesehener Kaufmann in Cincinnati gab, als ich ihn an den Morgan’schen Fall erinnerte und die vielfach verbreitete Muthmaßung, er sei ein Opfer des Masoneneides gewesen, bezweifeln wollte. „Was wollen Sie?“ entgegnete er, „jeden Augenblick bin ich bereit, einen solchen Verräther in solcher Weise strafen zu helfen.“

Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß ich mich freue, zu wissen, daß wir Deutsche in dieser Hinsicht mit den Amerikanern nichts gemein haben. Die „Germania“ möge also hieraus kein Capital schlagen – es wäre Falschmünzerei.




Die Wahrzeichen der deutschen Kaiserstadt.
Von Ferdinand Meyer.
1. Der „Neidkopf.“ – Die „Rippe.“


„Berlin hat keine Geschichte!“ So lautete noch vor wenigen Jahren das geflügelte Wort, wenn man von einer historischen Vergangenheit der heutigen Kaiserstadt im Hinblick auf jene Städte des deutschen Vaterlandes sprach, die im grauen Alterthum als mächtigere Zeitgenossinnen auf die kleine, unbedeutende Schwesterstadt an der Spree vornehm herabblickten.

Freilich reden die Steine hier nicht von Karl dem Großen, wie in Aachen; eben so wenig zeugen gothische Dome von geistlichen Herren und mächtigen Bischöfen, wie in Straßburg, Köln und Magdeburg, ja selbst in Brandenburg. Aber wenn seine Geschichte auch nicht aus solchen Denkmälern spricht, so bleibt Berlins Vergangenheit doch eine mächtige, deren richtigeres Verständniß und größere Würdigung erst seit einem Decennium durch den „Verein für seine Geschichte“ herbeigeführt worden ist.

Zu den Dingen nun, die dem Aeußeren einer Stadt ein historisches Gepräge verleihen, gehören auch jene Wahrzeichen, deren die älteren Städte noch viele besitzen, und die mit den sich daran knüpfenden Sagen und Ueberlieferungen gleichsam als dämmernde Sterne aus dem Dunkel der Vergangenheit herüberleuchten. Auch Berlin hat solche Wahrzeichen noch aufzuweisen, obgleich Unverstand und Pietätlosigkeit mit einem Theil derselben, als vermeintlichem „altem Gerümpel“ aufgeräumt – zuletzt mit der Gerichtslaube und ihrem ältesten Stadtzeichen, dem Kolk. Wir lassen denselben außer Betracht, weil er, der Stadt entfremdet, von dem durch Kaiser Wilhelm auf dem „Babelsberge“ wieder errichteten Lobium herabschaut.

Ein anderes Wahrzeichen ist der sogenannte „Neidkopf“ an dem Hause Nr. 38 der Heiligegeiststraße. Zwei Ueberlieferungen knüpfen sich an das einem Medusenhaupt ähnliche, von Schlangen statt der Haare umwundene Zerrbild, dessen neidischer Blick und ausgereckte Zunge nach dem gegenüberliegenden Hause Nr. 11 gerichtet sind.

König Friedrich Wilhelm der Erste, dieser wunderbare Natursohn, dessen Bestreben darauf gerichtet war, aus seinen Unterthanen gute Hauswirte und Soldaten zu machen, liebte es, die Stadt zu durchstreifen, um das Leben und Treiben seiner Berliner zu beobachten, nicht unerkannt in schlichter Kleidung, sondern in voller Uniform, zu der auch jener verhängnißvolle Rohrstock gehörte – ein Schrecken aller Faullenzer und Müßiggänger in den Straßen der Residenz. Auf diesen seinen Streifzügen war dem Monarchen in der Heiligegeiststraße ein Goldschmied aufgefallen, dessen Werkstatt in dem Parterre eines elenden, baufälligen Hauses sich befand. Hier saß der fleißige Mann oft bis spät in die Nacht hinein, mit seiner Kunst sich beschäftigend.

Eines Abends, als der geschäftige Hammerschlag des Meisters noch weithin durch die lautlose Stille der Straße ertönte, trat plötzlich der König in die Werkstatt. Anfänglich eingeschüchtert durch den unerwartet hohen Besuch, schwand die Befangenheit des schlichten Meisters bei des Königs herablassenden Fragen nach seinen Verhältnissen. In offener Weise schilderte er seine bedrängte Lage, die ihn oftmals zwinge, größere Arbeiten wegen mangelnder Auslagen für edles Metall zurückweisen zu müssen. Diese Offenheit gefiel dem Monarchen; er bestellte bei dem Meister ein goldenes Tafelservice, zu dessen Anfertigung das erforderliche Metall aus der Schatzkammer geliefert wurde. Der glückliche Goldschmied begab sich sofort an die Arbeit, und öfter besuchte ihn der König, um sich von dem Fortgang des unter den Händen des Künstlers sich gestaltenden Werkes zu überzeugen. Als das Service vollendet war, bemerkte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_241.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)