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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Die Hofburg des ersten deutschen Kaisers.

Unter allen Gebieten der Alpen, welche Sommer um Sommer wachsende Schaaren von Naturfreunden an sich ziehen, ist wohl keines, das den Vergleich mit irgend einer landschaftlichen Weltberühmtheit weniger zu scheuen hätte, als das herrliche Salzkammergut, und wenn Ludwig Steub, der gemüth- und humorvolle Schilderer der Berge, sagt, im ganzen deutschen Reiche lägen wohl nicht drei so schöne und großartige Landstriche neben einander wie die von Reichenhall, Salzburg und Berchtesgaden, so kann man ihm das nicht nur unbedingt zugeben, sondern darf den Satz wohl dahin erweitern, daß auch über das deutsche Reich hinaus es schwer fallen dürfte, die ebenbürtigen Rivalen für diese drei Gebiete zu finden. Um das anmuthige Salzburg mit seiner reizenden Hügelbildung, mit den prachtvollen Wäldern und Gebäuden darauf ist alle Herrlichkeit der Landschaft in reichster Abwechslung ausgebreitet, der Salzach entlang in die bairische Ebene hinaus, hinein in die schauerlichen Fels- und Wasserklüfte von Hallein, seitwärts zu dem anmuthigen Reichenhall, das sich wie eine freundliche Pforte in den Beginn des Gebirges eingebettet hat, oder in das einsamere Berchtesgaden mit dem unvergleichlichen St. Bartlmä und der weltverlorenen Einsamkeit des Obersees. Man könnte nicht mit Unrecht das Bild eines kolossalen prachtvoll durchwirkten Königsmantels zur Bezeichnung dieses Landstriches gebrauchen, eines Königsmantels, der sich nach allen Seiten hin aus einander faltet; wenn aber dann Salzburg als die kostbarste Schließspange bezeichnet werden muß, welche das Riesenpallium zusammenfaßt, so kann man über das Juwel nicht im Zweifel sein, welches den Schmuck und das Kleinod dieses Geschmeides bildet.

Das Juwel ist der Untersberg, eigenthümlich, ausgezeichnet durch Gestaltung und Lage, vielbekannt durch den Sagenreichthum, der sich an ihn knüpft und auf seinem mächtigen Rücken, dessen höchster Punkt der Hochthron heißt, wirklich seinen Sitz wie auf einem hohem Throne bis zur Stunde aufgeschlagen hat.

Der Untersberg, ein ungeheurer Block aus Marmor oder Alpenkalk von sechstausend Fuß Höhe, liegt inselartig vorgeschoben vor der Bergkette und dem hohen Göll, daß man ihn sowohl von Salzburg wie von Reichenhall, namentlich aber von der Schönau aus übersieht, einem flachen Weidegelände, das sich längs des Gangsteiges hinzieht, auf dem man von der Ramsau her durch die „Engedein“ seitwärts auf die von Berchtesgaden zum Königssee führende Straße abbeugt. Es ist, als habe er sich von seinen Berggenossen absichtlich losgemacht und entfernt, um gleich einer kolossalen Sphinx über dunklen Geheimnissen zu sinnen. Der Anblick ist von hoher Schönheit, denn obwohl der Berg mit reichen Wäldern bedeckt ist, bleibt doch überall Raum genug, um die Spalten und Risse gewahren zu lassen, von denen er durchklüftet ist und in welchen hie und da der rothe Marmor zu Tage tritt, der zumal bei Abendbeleuchtung einen feenhaften Anblick gewährt. Es ist leicht begreiflich, daß die lebhafte Phantasie des Volks ähnliche Eindrücke empfing, daß ihm die Absonderung und Gestalt des Untersbergs geheimnißvoll dünkte und daß es daher keine bessere Oertlichkeit fand, seine zu Sagen gewordenen Erinnerungen räumlich unterzubringen. Welche Erinnerungen das waren, ist ziemlich bekannt, und die Forscher der alten Sagenwelt haben längst nachgewiesen, daß es die Gestalten der altgermanischen Helden- und Götterwelt waren, welche nach der Einführung des Christenthums zu Dämonen und Märchenfiguren geworden waren.

Wie im Kyffhäuser der Kaiser Barbarossa schlafend sitzt, so haust im Untersberge Kaiser Karl der Große und wird sich, wenn sein Bart dreimal um den Tisch gewachsen sein wird, erheben, um auf dem Walserfelde eine große Schlacht zu schlagen, welche Deutschland die Einheit und die Freiheit bringt. Der Kaiser ist von einem großen Gefolge und einem Heere umgeben, und wie anderwärts Wuotan mit der „wilden Jagd“ auszieht, wenn Krieg in’s Land kommt, so zieht „Kaiser Karl mit seiner Armee“ aus dem Untersberg, wenn irgend ein großes Ereigniß zu erwarten ist. Die ganze Armee und das Gefolge bestehen aber ausschließend aus Zwergen, den sogenannten „Untersberger Maul’n“, mit welchen die geschichtliche Sage direct an den Volksmythus von den Nörgeln und Wichteln anknüpft, dessen eigentliche Heimath die Alpen sind. Dieser ist dort, namentlich in Tirol, noch vollkommen zu Hause, die Nörgeln oder Zwerge sind gutartige Geschöpfe, die den Menschen wohl necken, ihn aber nicht schädigen, sondern ihm wohl hie und da sogar behülflich sind; sie sind Christen, und dadurch erklärt es sich, daß, wenn der Kaiser mit ihnen „ausfährt“, der Zug immer nach irgend einer großen berühmten Kirche geht. In dieser wird dann solennes Hochamt gehalten. Vorübergehende sehen dann die Fenster erleuchtet, sie hören Orgelspiel und Gesang, und wer muthig genug ist, zu einem Fenster emporzuklettern, der sieht die ganze Kirche mit zierlichen schwarzgekleideten Zwerglein angefüllt, welche höchst ernsthaft und feierlich alle Ceremonieen verrichten.

Noch sind es nicht Viele gewesen, welche sich dessen vermessen, denn die Zwerge sollen dabei keinen Spaß verstehen. Fragt man darnach und giebt sich die Mühe, der endlosen Kette des „Hörensagens“ nachzugehen, so wird man schließlich den Faden in unverfolgbare Fasern sich verlieren sehen. Nachdem die guten Zwerge sich lange nicht mehr heraus bemühten, glaubten ultramontane Wühler auch in ihnen einen brauchbaren Hebel zu erkennen, um gläubige Bauerngemüther zu alarmiren; nach ihren Blättern sollen demnach die Maul’n in der letzten Sylvesternacht wieder ausgezogen sein; leider aber haben sich die Erfinder nicht einmal die Mühe genommen, vorher die nöthigen Materialstudien zu machen oder die Komödie fest einzustudiren, sonst würde der Bauer, der den Zug gesehen haben will, nicht eine Menge „weißgekleideter Menschen“ erblickt haben, während doch die echten Untersberger sonst immer schwarz und zwerghaft erscheinen.

Die Thätigkeit der kleinen Kobolde beschränkt sich aber meistens auf den Berg selbst: dort lassen sie ihrer Neckerei freien Spielraum, und wer sich auf denselben begiebt, wird von ihnen nur zu häufig irre geführt. Die Wege sind nämlich sehr schwierig und mitunter sogar bedenklich, so daß solche Erscheinungen sehr leicht erklärlich werden. Hie und da haben sie Manchem schon Sand und Steine gegeben die sich in Gold verwandelten, manchmal wurde auch schon ein Menschenkind in das Innere des Berges geführt, wie ein Hirtenknabe, der die Kegel aufsetzen mußte, oder ein Fuhrmann, dem man seine Weinladung abnahm und mit guten, aber uralten, unbekannten Goldmünzen bezahlte. Lazarus Aigner, ein Gehülfe des damaligen Stadtschreibers zu Reichenhall wurde 1529 von einem Mönche hinangeführt und hat diesen Besuch in einem noch vorhandenen Büchlein beschrieben. Er schildert darin die ganze unterirdische Herrlichkeit des Kaisers und diesen selbst; es ist ein großer alter Mann mit großem weißem Bart, der auf einer Wiese spazieren geht. Die Sage hat sich also in diesem Zuge selbst vergessen; sie erinnerte sich nicht, daß ja der Kaiser am Tische sitzen und schlafen mußte.

Derlei Vergeßlichkeiten kommen übrigens hierbei öfter vor. Ein Beispiel bietet der weltbekannte dürre Birnbaum auf dem Walserfelde, der grünen und blühen soll, sobald der Kaiser im Berge auferstehe. Wenn man von Salzburg aus dem Untersberge zugeht, kommt man an dem Schlosse Leopoldskron vorüber auf die Moosstraße, welche durch das Walserfeld führt und von Erzbischof Firmian mit schweren Kosten durch diese unwirthliche Bodenstrecke gebaut wurde, um sie durch Ansiedler cultiviren zu lassen. In diesem Walserfelde stand ein ziemlich unansehnlicher Birnbaum, welcher den neugierigen Reisenden als der mythische Pyrophor gezeigt wurde. Man übersah dabei in der Eile beiderseits die Kleinigkeit, daß der Baum, sollte er der echte sein, dürr sein mußte, während der vorgezeigte grünte. Auf die Frage eines Vorwitzigen, wie dieser Widerspruch wohl befriedigend zu lösen sei, war der besitzende oder benachbarte Landmann keineswegs verlegen und meinte, wenn das große Ereigniß, das der Birnbaum zu verkünden habe, heran nahe, werde er zuvor eiligst verdorren, um dann so recht demonstrativ neu blühen zu können.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_250.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)