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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Die Voraussetzung jener Wortmaler nun, daß diese nach einander gehörten oder gelesenen Worte die geweckten Vorstellungen in genügender Deutlichkeit vorhanden bleiben lassen, ist sehr unrichtig; die Annahme vollends, daß die mitgetheilte Reihe von Zügen in ihm sich zu einem Gesammtbilde vereinigen werden, gänzlich falsch. Man mache nur selbst den Versuch. Je ausführlicher die Schilderung, welche die Romanheldin portraitiren soll, desto sicherer haben wir am Schlusse, ja in der Mitte schon, den Anfang vergessen. Je karger aber die Zeichnung sich beschränkt auf ein paar Striche, desto besser gelingt es uns noch, sie zu ergänzen und eine Gestalt zu schauen. Das ist das Geheimniß der Phantasie, daß sie desto mehr leistet, je mehr man ihrer eigenen Thätigkeit überläßt, aber desto vollständiger lahm gelegt wird, je mehr man sie mit Gängelbändern umstrickt, um sie zu führen.

Um eine mäßige Anzahl durch Worte nach einander mitgetheilter Züge sogleich deutlich eingeprägt neben einander im Gedächtnisse haften zu lassen, daß sie sich in der Phantasie zu einem Gemälde zusammensetzen, dazu giebt es nur ein Mittel. Ein Beispiel der falschen und ein praktisch oft bewährtes der richtigen Wortmalerei wird es am besten einleuchtend machen:

König Gunther war ein großer Mann und hatte kräftige Hände, hellgraue Augen, ein längliches Gesicht, eine glatte Stirn, flachsiges dünnes Haar, eine große Glatze und einen röthlichen Schnurrbart mit langen Zwickeln.

Das wäre der falsche Portraitversuch. Man mag den Satz drei, vier Mal überlesen, ein lebendiges Bild setzt sich der Einbildungskraft aus ihm nimmer zusammen.

Nun habe ich aber zuvor erzählt: als Horand die Mär vorgetragen hatte vom Fluchschicksale Nibelung’s, des Ahnherrn der Mutter Gunther’s, da suchten die Höflinge im Gesichte des Königs ein Zeichen zu lesen, ob ihm das Lied gefallen oder mißfallen habe, um dann, je nach seinem Vorgange, Beifall oder Hohn zu äußern. Dann fahre ich fort:

Wie ziellos schien in der Zeitenferne
Zu haften das Abseh’n der hellgrauen Augen.
Des riesigen Mannes nervige Rechte,
Auf den Armgriff des Stuhls den Ellbogen stützend,
Spreizte kammgleich die Finger durch’s Kopfhaar,
Das ihm flachsig und dünn nur den Scheitel noch deckte,
Und stützte selber die sinnende Stirne,
Die, faltenlos glänzend, erhöht von der Glatze,
Sein langes Gesicht noch länger machte.
So schien er gefesselt der Mär zu folgen;
Nur die Finger der Linken des lauschenden Fürste
Zwirnten dabei die mächtigen Zwickel
Des röthlichen Schnurrbarts ein wenig schneller,
Als in wartender Spannung er sonst dies Spiel trieb.

Hier sind ganz dieselben Züge mitgetheilt. Aber lassen Sie sich die Stelle laut vorlesen, und Sie werden bestätigen was schon Hunderte mir versichert haben: daß König Gunther nun handgreiflich und athmend vor Ihnen sitze.

Der Unterschied zeigt das von mir beobachtete homerische Gesetz: um ein Bild zu wirken, müssen die mitgetheilten Züge ein fortschreitendes Geschehen darstellen und durch dieses Geschehen eine steigende Erwartung wecken.

(Schluß folgt.)




Die gefürchtetste Waffe aller Zeiten.


Das alte Wortspiel calamo ludimus“ (wir spielen mit der Feder; wir spielen mit der Gefahr) bezeugt deutlich, welch hoher Werth von jeher dem Schreibgeräthe beigelegt wurde, mochte dasselbe auch nur wie bei den Chinesen aus Pinsel und Tuschnäpfchen oder wie bei den alten Culturnationen aus gespitztem Rohre und Tintenfaß, welches Beides im Gürtel getragen wurde, bestehen. Wann man darauf gekommen, das Schreibrohr zuerst zu spalten, ist sehr unsicher; urtheilt man dem Namen nach, so kannten die Griechen und Römer nur gespaltene Schilfrohre, während bei den Arabern erst um’s zehnte Jahrhundert nach Christo die Kunst, das Rohr zu spalten, bekannt wurde. Man erzielte dadurch ein besseres Aufsaugen und Wiedervonsichgeben der Schreibflüssigkeit, sowie die leichtere Herstellung und Unterscheidung der Haar- und Grundstriche.

Schon im Mittelalter hatte man außer der handschriftlich im siebenten Jahrhundert nach Christo zuerst erwähnten Kielfeder, welche den Gebrauch des Schreibrohrs nach und nach verdrängt hatte, „Federn aus eysern, silbern und erzen Blechlein“, welche in Nürnberg gefertigt wurden, ihres hohen Preises wegen aber (das Stück kostete bis zu einem halben Gulden) nur selten in Gebrauch kamen.

Die Kielfedern der Gänse, Schwäne, Raben wurden ihrer Billigkeit und leichten Beschaffbarkeit wegen nur schwer von der in unserer Zeit fabrikmäßig hergestellten Stahlfeder verdrängt; für letztere sprach hauptsächlich die große Zeitersparniß, indem das zeitraubende Schneiden der Kiele wegfiel. Das Härten und Abziehen der Federposen, um denselben ein glasartiges Aussehen zu geben, wurde an vielen Orten fabrikmäßig betrieben und man färbte wohl auch zur größeren Schönheit die Federfahnen bunt. Man hatte auch mit der Maschine geschnittene Federn aus Horn und Kiel (in neuester Zeit sogar aus Kautschuk) zum Einstecken in Federhalter, und dieselben entsprachen auch bei manchen Anhängern des Alten ihrem Zwecke, wenn man nämlich eine geringere Dauerhaftigkeit und einen höhern Preis gegenüber der Stahlfeder nicht in Betracht zieht; allein diese Producte können sich auf die Dauer neben der Stahlfeder nicht halten, weil die letztere die subtilste Unterscheidung in den Spitzen, dem Schliffe und den Formen gestattet und dabei an sich gleichbleibender Elasticität diesem Producte Nichts sich an die Seite setzen läßt.

Die Verdrängung der Galläpfel- und Eisenoxydtinten durch anilinhaltige Tinten wird wesentlich zur längeren Dauer der Stahlfedern beitragen, wenn man von dem Uebelstande des jetzt häufiger nothwendig werdenden Reinigens der Feder absieht, der eine Folge der Anwendung von Anilintinten ist.

Versetzen wir uns in eine deutsche Volksschulclasse vor etwa fünfundzwanzig Jahren, so sehen wir den Classenersten beim Beginn des Schreibunterrichts den Classenschrank aufschließen, um denselben das umfangreiche, mit den Nummern der Schüler versehene Federgestelle zu entnehmen. Der Lehrer setzt sich inzwischen, mit scharfem Federmesser bewaffnet, zurecht und ein großer Theil der Schüler strömt herbei, um ihre in Empfang genommenen Federn schneiden zu lassen. Die hierbei abfallenden Schnitzel werden eifrig von der hoffnungsvollen Jugend aufgenommen, um als leichtbeschwingtes Geschoß zum Fortschnellen mit Daumen und Zeigefinger zu dienen. Verirrt sich einmal ein solches Federschnitzel, um statt eines Mitschülers das Lehrerantlitz zu berühren, so erfolgt eine kurze Züchtigung auf die ausgestreckte Hand des muthmaßlichen Thäters, und nach dieser Unterbrechung wird im Geschäft fortgefahren. Besonders schwierig ist es dabei, einen richtigen Spalt herzustellen. Mancher arme Schüler sah mit Entsetzen den Spalter die Feder über den ganzen Kiel hinunter aufsprengen, ja wohl gar den Spalt zahnartig auseinanderklaffen, Umstände, die den Kiel meist für die fernere Verwendung untauglich machten. Der Federschnabel durfte nur einen ganz kurzen Spalt haben und alles, was darüber hinausragte, fiel dem Messer zur Beute. Abgesehen von der nicht geringen Geschicklichkeit, welche das Federschneiden seitens des Lehrers erforderte, kommt der geschilderte Zeitaufwand, seit Einführung der Stahlfedern, dem Unterricht selbst zu Gute. Die gemachte Beobachtung, daß die Handschriften von jener Zeit ab viel leserlicher geworden sind, ist gewiß nicht unbegründet. Obgleich man zu Ende der zwanziger Jahre schon vollständig eingerichtete Stahlfederfabriken in England hatte und die erste und einzige deutsche Stahlfederfabrik seit dem Anfang der fünfziger Jahre existirt, fand doch die Stahlfeder erst Ende der fünfziger Jahre Eingang in den Volksschulen. Wenn noch heutzutage, zumal von älteren Beamten, am Gebrauch der Kielfeder festgehalten wird, so ist dies eine Folge der Anwendung einer eigenthümlich verschnörkelten, wenn auch (gleichmäßige Durchführung vorausgesetzt) nicht unschönen Schrift, des sogenannten Roßberg’schen Ductus, einer Abart der deutschen Currentschrift, welche auch in manchen deutschen Volksschulen vor nicht zu langer Zeit heimisch war.

Betrachten wir unsere gewöhnliche Schulfeder in Stahl, so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_253.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)