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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Opfer fielen. Es war furchtbar! Noch jetzt höre ich sie träumend und wachend in meinen Ohren gellen.

Endlich – eine Ewigkeit! – kam Hülfe. Die Thüren wurden erbrochen, und die Menge wälzte sich hinaus. Die frische Luft, der Gedanke der Rettung brachten Jeden wieder zur Besinnung. Man dachte jetzt nicht mehr an sich; jetzt, wo man gerettet war, gedachte man der Angehörigen. Da sah man Jammerscenen, welche die Feder zu schwach ist zu schildern. Mütter kreischten nach ihren Kindern; eine Tochter, die selbst durch einen fallenden Balken eine schwere Wunde davon getragen, suchte weinend nach ihrem bejahrten Vater. Die Polizei hatte die größte Mühe, die Menge von einem abermaligen Eindringen in die Kirche abzuhalten. Der Jammer und die Verzweiflung wollten kein Ende nehmen. Gar rührend war es aber, wenn einzelne Familienglieder, die sich im Gedränge verloren hatten, sich wieder fanden und einander lautlos und mit hellen Freudenthränen in die Arme fielen.

Langsam wurden die Todten und Verwundeten aus der Kirche geschafft. Jetzt erst stellte sich das Schreckliche heraus, daß Niemand von der eigentlichen Katastrophe direct getödtet war, sondern alle Getödteten erst dem Wahnwitz der sinnlosen Menge zum Opfer gefallen waren. – Die Verwundeten wurden in’s Parkhospital geschafft, wenn sie nicht von Angehörigen reclamirt wurden oder der Transport in’s eigene Haus nicht ausführbar war. Die Scenen, die sich hier entwickelten, riefen in ihren Details einen herzzerreißenden Eindruck hervor. Hier wurden die Verunglückten genäht oder verbunden; dort lag ein Mensch in jener apathischen Ruhe, die dem nahenden Tode vorangeht. Andere stöhnten und wanden sich in furchtbaren Krämpfen; wieder Andere zeigten im Gesicht den unsagbaren Ausdruck des Entsetzens, der keine Worte findet und jedem theilnahmsvollen Frager ein schreckliches Schweigen entgegensetzt, das mehr Grauen erregt, als ein blutüberströmtes Antlitz. An dem Schmerzenslager eines bildhübschen, durch vielfache Wunden entstellten Jungen stand ein verzweifelnder Vater, aus dessen Brust sich nur der leise, markerschütternde Ruf löste: ‚Mein Junge, Herr.‘ Dort lag ein junges, schönes Weib von achtzehn Jahren in den qualvollsten Convulsionen, umgeben von den angsterfüllten Verwandten, die dem vom Todesschweiße perlenden Gesichte Kühlung zufächelten oder die zuckenden Glieder hielten, und die würdige, ergraute Aufseherin flüsterte mit zitternden Lippen und thränenden Augen: ‚Wenig Hoffnung, mein Herr, sehr wenig Hoffnung.‘ Wie ergreifend war das Bild der reizenden Schwester, die mit der einen Hand den um sich schlagenden Arm der gräßlich Leidenden gefaßt hielt, während sie mit der andern die eigenen aufgelösten Locken zusammenzubinden suchte, die sich über die Augen verdunkelnd ergossen! Hier riß sich ein schwer Verwundeter den Verband von der klaffenden Kopfwunde, und der schnell zur Stelle eilende Arzt hatte Mühe, den fast Wahnsinnigen zur Vernunft zu bringen, bis die eintretende Erschöpfung des unglücklichen Patienten ihn von der traurigen Pflicht erlöste, dem Armen die Hände binden zu lassen. Dort bemühte sich ein Wärter, einem Anderen den Rock mit größtmöglichster Schonung abzuziehen, und der Verletzte begleitete jeden Ruck mit dem jammervollsten Stöhnen. Dort lag ein Knabe von zehn oder zwölf Jahren, dem Anscheine nach ohne besondere äußere oder innere Verletzungen, aber die Angst hatte ihm die Zunge gelähmt, so daß er außer Stande war, seinen Namen zu nennen. Man konnte nur so viel aus ihm herausbringen, daß er Nr. 18 Oak-Street wohne, und wir begaben uns zu seinen Eltern, um ihnen über den Verbleib und die Rettung des Sohnes Auskunft zu geben.

Blutige Kleidungsstücke lagen in schauerlichem Durcheinander auf dem Boden. Blutige Lachen bezeichneten die Stelle einer eben erst vorgenommenen Operation. Blutige Umrisse an den Wänden wiesen auf den Fleck hin, wo der Kopf eines Verwundeten geruht hatte. Dazwischen sah man die entsetzten Gesichter von Angehörigen, die ihre Eltern, Kinder oder sonstige Verwandten aufsuchten.

Die plötzliche Angst, von der die Menschen bei derartigen Katastrophen erfaßt werden, macht sie vollständig kopflos, so daß bei dem durch den Schrecken eintretenden Gedränge mehr Opfer fallen, als der Einsturz selbst gefordert hat. Ebenso ist der Eindruck, welchen die wirklich Verwundeten hervorbringen, bei Weitem weniger peinlich als derjenige, den der Anblick der Qual der äußerlich nicht Verletzten, sondern innerlich Zerquetschten hervorruft. Und dann das widerliche Schauspiel, neugierige Menschen zu sehen, wie gestern im Stationshaus in Franklin Street, wohin die Leichen gebracht waren! Während der Regierungszeit Ludwig’s des Vierzehnten wurden die zahlreichen Hinrichtungen hauptsächlich von Frauen besucht, und auch gestern waren es wiederum Weiber, allerdings von der niedrigsten Sorte, die es sich nicht versagen konnten, das Bahrtuch aufzuheben, um sich die armen Verunglückten anzuschauen. Die Polizei hatte Mühe, den Pöbel von dem Eindringen in das Local abzuhalten, der sich drängte, eine Scene zu betrachten, von welcher der vernünftige Mensch nur im Nothfalle Augenzeuge wird.

Doch genug von den Schreckensscenen. Wie man stets den Sack zu macht, wenn die Katze heraus ist, so auch hier: Das baufällige Gebäude wird abgetragen und der Eigenthümer vor die Grand Jury gestellt. Das wird den Opfern etwas helfen!“




Keine Frühlingslieder! Jede Jahreszeit bringt ihre Gefahren mit sich. Angesichts der uns alljährlich im Frühlinge drohenden Ueberschüttung mit „Liedern des Lenzes“, mit „Bächlein“, „Bäumlein“ und „Blümlein“ richten wir an den gesammten deutschen Dichterwald die Bitte: Edle Sänger und Sängerinnen, schont unseres Lebens! Dämmt die „Bächlein“ hübsch ab, damit sie rauschend und rinnend, unser Heim mit ihren Wellen nicht unbarmherzig überschwemmen! Zieht die „Bäumlein“ fein säuberlich an’s Spalier, die „Blümlein“ an den Stock, damit sie, wuchernd und wachsend, unsere Laube mit ihren Ranken nicht schier erdrücken! Wir bitten recht schön: Keine Frühlingslieder an

die Redaction der Gartenlaube!




Kleiner Briefkasten.

In Sachen der Artikel „Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin“ sind, außer vielen Zustimmungen und Anerkennungen auch einige Anfragen, Reclamationen etc. eingegangen und von der Redaction dem Verfasser zur Beantwortung überwiesen.

Derselbe erklärt zunächst im Allgemeinen, daß er sich vollkommen bewußt ist, welch außerordentliche Tragweite diese Artikel haben, und daß er deswegen mit der größten Vorsicht zu Werke geht – besonders da, wo er Namen nennt und bestimmte Fälle anführt. Er berichtet – Thatsachen, und ist jederzeit im Stande, dieselben in authentischer Weise zu belegen.

Von den eingelaufenen Briefen beantwortet er hier folgende:

F. L. in Manchester. Da Sie sich mit Selbstbewußtsein einen Manchestermann nennen, ist es ganz in der Ordnung, daß Sie für den Nachdruck schwärmen, und daß Ihnen das Verbot an der Spitze dieser Artikel ein Gräuel ist. Echt manchesterlich ist auch Ihre Logik – und Sie scheinen sich auf Logik (!) etwas zu Gute zu thun – daß solch Verbot gewissermaßen eine Aufforderung des Redacteurs an die Mitarbeiter ist: „Gebt Euch nur nicht zuviel Mühe! Außer den paar Hunderttausenden Leser der ‚Gartenlaube‘ sieht Eure Artikel kein Mensch.“ – – Im Uebrigen ist der Verfasser allerdings nicht nur der Ansicht, sondern der festen Ueberzeugung, daß Herr Strousberg und die Strousbergerei das nothwendige Product der Manchesterdoctrin sind, daß die Manchesterschule den jüngsten Börsen- und Gründungsschwindel entschieden mitverschuldet und unterstützt hat und daß sie ihn selbst heute noch zu beschönigen sucht, weshalb sie auch bei uns in Deutschland so ziemlich Bankerutt gemacht hat.

Abonnent seit 1858. Nummer 5 der Artikel wird Ihnen bewiesen haben, daß weder in Betreff des Namens noch des Wohnorts des bewußten Herrn ein Irrthum obwaltet.

Herrn S. G. in Leipzig. Es ist dem Verfasser nicht ganz klar, weshalb Sie reclamiren und ihm Unwahrheit vorwerfen. Hoffentlich sind Sie nicht Mitgründer der famosen „Altenburger Zuckerfabrik“, und zu den unglücklichen Actionären scheinen Sie auch nicht zu gehören. Ihr Brief bestätigt nur, was der betreffende Artikel sagt, daß nämlich in dem Subhastationstermin das Meistgebot (circa 200,000 Thaler, wie es dort heißt, während Sie genau 212,000 Thaler angeben) von einem Gläubiger ausging. Daß auch Nicht-Gläubiger geboten, aber, wie Sie einräumen – weniger, thut doch nichts zur Sache, und ist nach der Fassung des Artikels auch gar nicht ausgeschlossen. Mag nun im nächsten, endgültigen Termin wirklich ein höheres Gebot erzielt werden – für den armen Actionär ist es gleichgültig, da, wie Sie anführen, an 400,000 Thaler Buchschulden vorhanden sind. Der Artikel hat nur die betrogenen Actionäre im Auge; die Herren „Gläubiger“ werden sich schon zu salviren wissen.

Herren Ernst und Hermann W. in Rheine und Ilsenburg. Auch Sie sind, „als die nächsten männlichen Anverwandten“ des inzwischen Verstorbenen, zu einer Reclamation kaum legitimirt. Dennoch mögen Sie erfahren, daß der Betreffende u. A. nach Ausweis des Handelsregisters des Berliner Stadtgerichts unter den Gründern der wenig erbaulichen „Schloßbrauerei Schöneberg“ figurirt.

Postsecretär B. R. M. in Berlin. Sie sind entrüstet, daß „die ärgste aller Schwindeleien“, die „Berlin Charlottenburger Chemische Fabrik“, noch nicht zur Sprache kam. Es ist nun aber nicht gut möglich, Alles auf einmal zu behandeln; selbstverständlich wird auch gar nicht beabsichtigt, alle Gründungen vorzuführen – die Artikel würden dann kein Ende nehmen. Jedoch kommt die Gruppe der Chemischen Fabriken, die sämmtlich mehr oder weniger faul sind, allerdings an die Reihe, und da soll dann auch die Ihrige ein Plätzchen finden. Inzwischen lassen Sie sich’s zum Troste gesagt sein, daß solcher Gesellschaften, wo die Actionäre „nie einen Pfennig Zinsen erhielten und auch keinen Groschen vom Capitale wiedersehen werden“, noch Dutzende existiren und daß die Zahl Ihrer Leidensgefährten Legion ist.

Im Uebrigen bemerkt der Verfasser, daß er künftighin nur solche Anfragen beantworten kann, die ein allgemeines Interesse bieten, und daß er anonyme Zuschriften unberücksichtigt lassen wird.

     Berlin, im März 1875.

Otto Glagau.




Zum Ehrengeschenk für Arnold Ruge

gingen in Markbeträgen ferner ein: F. A. Brockhaus in Leipzig 100. –; Dr. L. Hermann in Aschaffenburg 21. –; B. Winkler in Breslau 10. –; Dr. Heimann in Wiegschütz 100. –; G. L. Gaiser in Hamburg 150. –; G. Rd. in Freiburg a. U. 3. –; F. G. in Windsheim 10. –; Primaner der Realschule in Eschwege 4. –; C. Dzondi in Auerbach (Voigtl.): In dankbarer Erinnerung seines liebevollen Lehrers auf dem Pädagogium zu Halle 30. –; Walther Wigand in Leipzig 300. –; O. L. in Fr. 15. –; Wilhelm Meyer in Gera 100. –; Edm. Schlesinger in Pforzheim 5.–; August Kuby, Weinhändler in Edenkoben 50. –; J. Schmitt, Billeteur in Gunzenhausen 3. –; Reinhold Wünschmann in Leipzig 30. –; Gerichts-Assessor Schirmer in Kinsheim 5. –; Director Pfähler in Dr. 75. –; Adolf Samter in Königsberg 100. –; Dr. W. in Uslar: Einer der selbst mitgekämpft und mitgelitten hat, 3. –; J. Löwengard in Frankfurt a. M. 30. –; H. Meinck in Stralsund 20. –; Gustav Mayer in Leipzig 50. –; Kreisrichter a. D. Dr. Lehmann in Berlin 75. –; Wilhelm Jentges in Crefeld 100. –.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_260.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)