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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Königsmoor des Nachts bei seiner Heerde. Am nächsten Morgen fand man den Stall erbrochen, den greisen Schäfer aber und seinen treuen Hund erschlagen und blutig darinnen. Die besten Hammel waren gestohlen; die übrigen Schafe irrten hirtenlos auf dem weiten Moor umher. Kein Nachforschen half; der Arm der irdischen Gerechtigkeit vermochte den Raubmörder nicht zu erreichen. Jahre waren vergangen. Da fand man eines Tages einen wildfremden bärtigen Mann, einen Zigeuner, am Thürpfosten des Stalles aufgeknüpft und in seiner Tasche das Geständniß des Mordes. Fern auf dem Moore, nahe dem Orte seiner That scharrte man ihn ein. Der ewigen Gerechtigkeit, der Qual des Gewissens und der Verzweiflung war er nicht entgangen. Im Stalle aber und in der Nähe desselben sah und hörte man seit jener Zeit entsetzliche, haarsträubende Dinge, so daß der Besitzer ihn verschloß und verfallen ließ.

Eine unter einer abergläubischen Landbevölkerung verlebte Kindheit hat leider allzuoft eine große Empfänglichkeit des Geistes für Geister- und Schauergeschichten zur Folge, die selbst im reiferen Jünglingsalter noch nicht ganz verschwindet. Auch mich hatte die Furcht vor dem Uebernatürlichen ergriffen. Die Angst, der einsame Schafstall könne der gefürchtete, jener Schrei der Todesschrei des Gemordeten sein, ergriff mich dermaßen, daß ich wie toll davonrannte, ohne mich umzusehen, ohne weiter auf Weg und Steg zu achten.

Als ich einigermaßen wieder zur Besinnung gekommen war, hatte ich jeden Anhaltspunkt in der Wildniß verloren. Ein Stoicismus der Verzweiflung überkam mich; ohne noch irgendwie um Moor und Sumpf, um Weg und Richtung mich zu kümmern, schritt ich in die Nacht hinein. Kaum spürte ich, daß ich stellenweise bis über die Kniee in den Morast einsank. Oft mußte ich mit aller Anstrengung von einem Riedbüschel zum andern springen, um nicht rettungslos in einer halbüberwachsenen Torfgrube zu verschwinden.

Rascher und rascher schritt ich vorwärts, so daß mir der Schweiß von der Stirne troff. Unmöglich war es mir, den Weg aufzufinden, den ich seit Verlassen des unheimlichen Stalles genommen. Mein Geist war in der seltsamsten Verfassung; die barocksten und wunderlichsten Einfälle jagten sich in meinem Hirne. Wie lange dieser traumartige Zustand andauerte – ich weiß es nicht. Nach der Uhr sah ich längst nicht mehr: auch die Zeit war mir gleichgültig geworden.

Der erste klare Eindruck, der mir nach solcher Wanderung zum Bewußtsein gelangte, war der, daß ich mich wieder auf trockenem Boden befand. Ich verweilte einige Augenblicke, um Luft zu schöpfen und mir die Stirn zu trocknen. Da vernahm ich plötzlich hell und deutlich das Gebell eines Hundes. Wunderbar erfrischend wirkte die Wahrnehmung, daß ich mich wieder in der Nähe menschlicher Wohnungen bewegte. Hatte die Aufregung meine Sehkraft verdoppelt, oder begann schon die Nacht dem jungen Tage zu weichen: ich sah in nicht allzuweiter Entfernung vor mir ein Dorf liegen. Meine Heimath war es nicht, das erkannte ich schon an dem geringen Umfange; es mußte, meiner Ortskenntniß nach, die Moorcolonie Horst sein. Mit neuem Muthe schritt ich darauf los, fühlte jedoch plötzlich wieder den Boden unter meinen Füßen schwinden und sank ein bis an die Kniee. Nur die gewaltigste Anstrengung machte es mir möglich, wieder auf’s Trockene zu gelangen.

Das war der letzte Moment, dessen ich mich klar entsinne. Vor Ermattung muß ich umgesunken und eingeschlafen sein.

Wilde Träume umgaukelten mein Hirn. Bald war mir’s, als sei ich jener einsame Wanderer eines alten Volksliedes, den die Geister mit ihrem bezaubernden Gesange weit, weit in das Moor gelockt, und der wohl nimmer das Sonnenlicht wiedergeschaut hätte, wäre nicht sein eilender Fuß gestrauchelt und er ermattet am Rande einer bodenlosen Torfgrube niedergesunken.

Dann wieder war mir’s, als sei ich jener Hirt im einsamen Stalle, als hole schon der Mörder aus zu dem tödtlichen Schlage; – schon fühlte ich, wie die wuchtige Keule mir den Schädel zerschmetterte – und erwachte, von Fieberfrost geschüttelt.

Leuchtend stand bereits die Sonne im Osten; es mochte etwa sechs Uhr Morgens sein. Kaum vermochte ich mich vom kalten Erdboden zu erheben; meine Glieder waren wie gelähmt und zerschlagen. Mühsam machte ich mich auf den Weg zu meiner kaum eine Stunde entfernten Heimath. Die Leute, welche mir begegneten und zur Arbeit wollten, starrten mich an, als sei ich ein dem Grabe Entstiegener. Als ich endlich völlig erschöpft das Vaterhaus betrat, erschraken meine Eltern nicht wenig vor meinem leichenblaßen Gesicht, meinen starren und übernächtigen Augen und meinen wirr um’s Haupt hängenden, Haaren. – Schon am Abende lag ich im heftigsten Fieber. –

Niemals werde ich die Erlebnisse dieser entsetzlichen Nacht vergessen.

August Freudenthal.




Aus den Frankfurter Parlamentstagen.
Stammbuchblätter deutscher Abgeordneter.
Von J. Loewenberg.


In der Handschriftensammlung, die aus dem Nachlaß des Generals von Radowitz an die königliche Bibliothek in Berlin übergegangen ist, befindet sich eine Anzahl Gedenkblätter von Abgeordneten der constituirenden Nationalversammlung, des deutschen Parlaments, das 1848 bis 1849 in Frankfurt am Main getagt hatte. Die Blätter stammen zum größten Theil aus der Zeit, in welcher die Hoffnungen auf außerordentliche Erfolge schon ziemlich herabgestimmt waren. Es ist zwar nicht anzunehmen, daß sie gerade für Herrn von Radowitz selbst bestimmt waren; die Parteistellung der meisten Männer zu ihm ist für diese Annahme zu verschieden, – Itzstein widmet sein Denkblatt ausdrücklich „unserem H. Mager“, dem würtembergischen Studienrath – immerhin aber sind sie zur Charakteristik der Männer, die sie geschrieben haben, interessant genug, um in unseren Tagen als heitere Erinnerung an überstandene Mißstände mitgetheilt zu werden.

Die Mittheilung ist wörtlich, nur daß den Namen der einzelnen Männer Heimath und Stand, Wahlkreis etc. zu leichterer Erinnerung hinzugefügt wurden.

Bassermann, Buchhändler aus Mannheim, Reichs-Unterstaatssecetär (Gestaltenseher in Berlin; Bassermann’sche Gestalten): Wer für die Menschen wirken will, der muß sie lieben und verachten zugleich. Frankfurt a. M., 21. December 1848.

Bauer, aus Bamberg: Nie verzagen! Auch heute nicht verzagen, wenn auch hier die Hoffnungssterne bleichen. In der Paulskirche am verhängnißvollen 21. Mai 1849.

von Beckerath, aus Crefeld, Reichsfinanzminister: Die Erinnerung, mitgewirkt zu haben zum Wohl des Ganzen, ist der edelste Besitz des Einzelnen. Frankfurt a. M., 9. Januar 1849.

Berger, aus Wien. Abg. für Schöneberg, Mähren: Der Zwiespalt der deutschen Vertreter ist die Einheit der deutschen Fürsten – das Grab der deutschen Freiheit. Frankfurt a. M., 22. März 1849.

Beseler, Wilhelm, aus Schleswig Holstein: Thue recht und scheue Niemand!

Beseler, G., aus Greifswalde: Langsam im Rath, schnell in der That. St. Paulskirche, den 23. März.

Biedermann, Professor aus Leipzig: Zum großen Werke auch das Kleinste beigetragen zu haben, ist belohnendes Gefühl. Frankfurt a. M., den 16. November 1848.

Buß, Professor aus Freiburg in Baden: Treue für die deutsche Nation – und Gerechtigkeit vor Allem.

Dahlmann, Professor aus Bonn, Abg. für Schleswig-Holstein: Die Freiheit ist kein Zustand des Genusses, nein, die spätreifende Frucht mannigfacher Entsagung und Arbeit. Frankfurt a. M., 5. December 1848.

Droysen, Joh. Gust., Professor in Kiel, Abg. für Schleswig-Holstein: Magnae molis erat Romanam condere gentem. (Es war ein schweres Stück, das römische Volk zu einen.) Ein Trost für Deutschland. In der Paulskirche, 23. Mai 1849.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_290.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2019)