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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 20.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Ein kleines Bild.
Von Ernst Wichert.
(Schluß.)


„Ihr Bild, ihr Bild – Juliette’s Bild!“ bestätigte Arnold. „O, das ist eine wunderbare Schicksalsfügung! Ihr Bild – und gerade in diesem Augenblicke …! Das ist eine Mahnung des Himmels, das ist – – Ich habe nichts gesagt, Kruttke, kein Wort – verstehst Du? Das ändert Alles – Alles.“

„I, da soll doch –!“ brummte Kruttke unzufrieden. „Man soll sich doch über gar Nichts nicht freuen.“

Der Principal achtete nicht auf ihn. „Aber wer hat mir – das Bild geschickt?“ sprach er halblaut vor sich hin, das leere Couvert wieder und wieder mit den Augen durchsuchend. „Keine Zeile dabei – nicht einmal der Name des Absenders … Die Adresse von unbekannter Hand! Credillon –? Unmöglich. Aber sie selbst –? Wie käme sie zu dem Bilde? Und doch … doch! Nur sie kann … mein Herz sagt mir’s – nur sie! Ich werde, ich muß sie finden.“ Er verwahrte Bild und Couvert sorglich in seiner Brusttasche. „Kruttke,“ rief er, „packe sofort meine Sachen – Kleider, Wäsche – das Nöthigste für ein paar Wochen! Wir reisen noch heute Abend nach Lausanne ab. Beeile Dich! Mit dem nächsten Zuge, verstehst Du, mit dem nächsten Zuge!“ Er stürmte fort.

Kruttke blieb wie angedonnert stehen. „I, da hört doch die Weltgeschichte auf,“ knurrte er nach einer Weile. „Das verdammte Bild! Er ist wieder verhext.“ –

Arnold kam erst zu etwas ruhigerem Nachdenken über seine Lage, nachdem er im wildesten Tempo einige Straßen auf- und abgelaufen. Er erinnerte sich, daß er zu seiner Cousine hatte gehen wollen, um ihr einen Heirathsantrag zu machen, und mußte nun laut auflachen über dieses ganz unbegreifliche Vornehmen. Er befand sich auch wirklich auf dem Wege zu ihr: seines Onkels Haus war in wenigen Minuten zu erreichen. Sollte er umkehren? Sollte er abreisen, ohne Clärchen nur ein Wort zur Verständigung …? Das arme Mädchen! Wenn sie ihn wirklich liebte, wenn sie sich Hoffnungen hingegeben hätte, deren Erfüllung schon gewiß schien! Es war ja unter den Eltern und mit ihr schon Alles in Ordnung gebracht – sie erwartete ihn heute oder morgen. Und nun so unverdient eine Enttäuschung –? Aber da half kein Bemitleiden. Und wenn sie schon seine Braut gewesen wäre, Juliette’s Bild hätte die Verlobung aufheben müssen. Sie ist ja so einsichtsvoll, die liebe, freundliche, herzensgute Cläre. Sie wird verstehen, begreifen –

Dabei war er vor dem Hause angelangt. Das Herz hätte ihm nicht heftiger pochen können, wenn er vor der Thür einer Geliebten gestanden hätte, deren Ja oder Nein sein Lebensglück bedingte. Er hatte ein Unrecht abzubitten und wußte nicht, ob es ihm verziehen werden konnte. Er erkundigte sich bei der Magd, ob seine Cousine allein im Zimmer sei; dann trat er ein, ohne sich melden zu lassen: sie sollte wenigstens nicht länger, als durchaus nöthig, in Zweifel über seine Absichten sein.

Clärchen blickte erschreckt von ihrer Arbeit auf. Sie sah gar nicht aus, wie ein junges Mädchen, das einen Bräutigam erwartet. „Du kommst wirklich, Arnold?“ sagte sie mit langgezogenem Tone, der keineswegs auf eine angenehme Ueberraschung schließen ließ.

Das verwirrte ihn nun ganz. „Ja, ich meinte doch, daß meine Mutter und Dein Vater …“ stotterte er.

Sie legte das Strickzeug auf ihr Arbeitskörbchen, stand auf und reichte ihm die Hand. „Und Du, Arnold, Du selbst –?“

„Ich –?“ Er drückte diese schlaffe und weiche Hand gleichsam stoßweise. „Wenn Du mich anhören willst, liebe Clara …“

Ihre Augen überflossen feucht. „Sie hatten also Recht: Du hast wirklich den Muth, mir zu sagen, daß Du mich – liebst?“

„Nein, nein, nein!“ rief er, ihre Hand an seine Lippen ziehend und bei jedem „Nein“ küssend. „Das habe ich nie versprochen – das nie.“

Die Thränen rollten ihr über die bleichen Wangen. „Und ein Mädchen, das Du nicht liebst, willst Du zur Frau …? Arnold! wenn Du Ja sagst … ich habe ihnen mein Wort gegeben, und ich breche es nicht – aber überlege erst, frage Dich auf’s Gewissen …“

Das hatte er nicht erwarten können. Sie war also nur die gehorsame Tochter gewesen, hatte gehofft, daß er selbst ihr die Entscheidung ersparen werde. Ueberglücklich griff er in die Tasche, zog das kleine Bild hervor und hielt es ihr entgegen.

„Sieh das, bestes Kind!“ sagte er, „und urtheile nun selbst, weshalb ich jetzt noch kommen kann!“

„Juliette!“ rief sie überrascht. „Ja, sie steht zwischen uns, und – und …“ sie senkte den Kopf und wandte sich rasch ab.

„Und –?“ forschte er. Es lag in der Art, wie er sich unterbrach, etwas, das dazu herausfordern konnte. „Cläre – Du hast ein Geheimniß –“

„Frage nicht!“ wies sie ihn zurück.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_325.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)