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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

lebensgroßes Original, von Ludovika Simanoviz in Oel ausgeführt, sich im Besitze des Herrn Karl Krieger zu Möckmühl in Württemberg befindet; es stellt Schiller’s Schwester, noch jugendlich und mädchenhaft, in weißem Anzuge mit blauem Besatze und lockigem, von einem himmelblauen Bande durchflochtenem Haare dar. Unser Holzschnitt ist nach einem Stahlstiche wiedergegeben, welcher das jüngst erschienene schätzenswerthe Buch „Schiller’s Briefwechsel mit seiner Schwester Christophine und seinem Schwager Reinwald, herausgegeben von Wendelin von Maltzahn“ (Leipzig, Veit u. Comp.) ziert. Diesem vortrefflichen Werke des bekannten Lessingherausgebers, das allen Schillerverehrern hiermit auf’s Wärmste empfohlen sein möge, verdanken wir auch zum größten Theil die oben mitgetheilten Einzelheiten aus dem Leben dieser liebenswürdigen Frau. Maltzahn empfing die Briefe meistens schon im Jahre 1858 von der am 25. November 1872 verstorbenen Freifrau Emilie von Gleichen-Rußwurm, der jüngsten Tochter Schiller’s (siehe Gartenlaube 1874, Nr. 43).

Nicht weil Christophine die Schwester Schiller’s war und weil sein erlauchter Name ihr Leben verklärte – denn das war ein Geschenk des blinden Glücks – nein, weil sie zu ihrem Theil dazu beitrug, daß unser Schiller das wurde, was er zu unser Aller Heil geworden, weil sie, Geist von seinem Geiste, mit ihm strebte und kämpfte, mit ihm bangte und litt und in sanfter Weiblichkeit und zarter Seeleninnigkeit den gewaltigen, oft unbändigen Genius in ihm erziehen half – weil sie das Alle that in Stille und Einfalt und ohne sich ihres reichen Antheils an der Größe ihres Bruders bewußt zu werden, darum wird Christophine im Andenken ihrer Nation fortleben als eine der besten unter den deutschen Frauen, deren köstlichste Merkmale immerdar diese zwei waren: fromme Sitte und Bescheidenheit.




Die Stufen der menschlichen Freiheit.
Ein Pfingstwort an das deutsche Volk.
Von Franz von Holtzendorff.


Goethe hat darauf aufmerksam gemacht, wie verschieden die Vorstellungen sind, welche mit dem zauberhaften Worte der Freiheit verbunden werden. Das sehnsuchtsvolle Lied „Freiheit, die ich meine“, würde, wenn nicht das Versmaß uns den Tonfall vorzeichnete, wahrscheinlich mit dem stärksten Accent auf Ich von der Mehrzahl gesprochen werden. Manchen Wörtern ergeht es wie den Scheidemünzen, die am häufigsten von Hand zu Hand gehen, und durch die Alltäglichkeit des Gebrauchs die Deutlichkeit ihres Gepräges verlieren. Bis vor hundert Jahren bedeutete Freiheit in der Sprache der Gelehrten vorwiegend soviel wie „Privilegium“, eine besondere Auszeichnung gewisser Personen und Stände, zumal des Adels und der Geistlichkeit. Die ständische Gliederung der mittelalterlichen Gesellschaft beruhte auf den „Freiheiten“ der Fürsten, Grafen und Ritter, der Corporationen und Zünfte. Es wimmelte die alte Zeit von Freiheiten, ohne daß es eine staatsbürgerliche Freiheit gegeben hätte.

Als die Aufklärungsperiode ihr Werk begann, forderte die Welt in den Schriften der Dichter, in den Liedern der Sänger, auf den Schlachtfeldern von Nordamerika, in den Straßenkämpfen der Revolution, die Freiheit der Völker und der einzelnen Menschen. Eine neue Staatslehre war aus dem Bruche mit den staatlichen und kirchlichen Ueberlieferungen entsprungen; die Menschenrechte der Freiheit und Gleichheit erklangen wie eine Auferstehungsmelodie durch das Zeitalter, welches zu Ehren des Zopfes den Nationen den Krieg erklärt hatte. Dem Erbrechte der geschichtlichen Thatsachen, der Unfreiheit der Bauern, der Verkümmerung des Bürgerthums, den Anmaßungen der privilegierten Classen stellte sich damals der Satz entgegen: „Frei ist der Mensch geboren, unverjährbar ist dieses Recht seiner Natur, obwohl durch Fürsten und Regierungen zerstört oder gefesselt. Freiheitsfeindlich ist der Staat, der mit seiner Allmacht die natürliche Freiheit des Menschen eigennützig verdirbt.“ Selbst heute noch ertönt dieses Klagelied von der freiheitsfeindlichen Allmacht des Staates in mancher Kanzelrede nach. Seit beinahe neunzig Jahren kämpft Frankreich in seinen Verfassungswirren für die Durchführung dieses Gedankens. Auf den Trümmern der niedergerissenen Staatsmacht soll die Freiheit der entfesselten Gesellschaft errichtet werden. Noch immer stehen die meisten Franzosen unter dem Banne des Wahnes, daß eine schwache Staatsregierung für die Freiheit der Völker wünschenswerth sei.

In Deutschland ist die Wissenschaft während desselben Zeitraumes, nachdem sie eine Zeitlang den französischen Meistern gefolgt war, zu einer ganz andern Grundanschauung über das Verhältniß zwischen Staat und Staatsbürgern gelangt. Jener glückliche Naturzustand angeborener Freiheit besteht nur in der Glaubenslehre für jene zwei ersten Menschen, die nicht geboren waren, sondern fertig geschaffen das Paradies beherrschen sollten. Aus geöffneten Hünengräbern, aus entdeckten Gebirgshöhlen, in ausgegrabenen Torfmooren und in den bloßgelegten Pfahlbauten der Seen entziffert die wissenschaftliche Forschung den Satz: In der Geschichte begegnet uns der Mensch zuerst im Zustande der Unfreiheit und Unvollkommenheit, im Kampfe um sein Dasein mit der Natur, als Barbar, dessen Keule überall über dem Haupt des Schwächeren schwebt.

Langsam wirkte das Werk der Erziehung, welches den Menschen allmählich in jene harte Schule der Freiheit führte, welche den Namen des Staates trägt. Die erste Ursache aller höheren Gesittung und Freiheit ist die durch einen bereits geläuterten Naturtrieb bewerkstelligte Gründung staatlichen Gemeinlebens vermittelst der Unterordnung Aller unter eine herrschende Gewalt, welche den Schwächeren stützt, den äußeren Feind abwehrt, den Ringkampf mit widerstrebenden Naturmächten erleichtert, den Hausfrieden der Familie gegen die Pfeilspitzen räuberischer Nachbarn sichert.

Schon diese erste Großthat der langsam reifenden Menschheit ist aber gleichzeitig eine That der Selbstbschränkung für Diejenigen, welche sie vollbringen, das Werk einer höheren Anlage, welche manchen Naturvölkern fehlt. Um dauernd in der Gemeinschaft des Staates leben zu können, bindet sich der Mensch an einen begrenzten Flächenraum der Erde, an sein Gebiet, indem er auf das Wanderleben des dem Wilde nachstürmenden Jägers oder Heerden treibender Nomaden verzichtet. In den Früchten des Ackerbaues belohnt sich die Seßhaftwerdung der Völkerstämme. Auch auf der einfachsten Grundlage des Ackerbaues stehend, erscheint ein Staatsvolk unendlich höher, als jagende Horden oder herumschweifende Hirtenvölker. Es ist ein trügerisches Ideal jugendlicher Phantasie, wenn sie unter der Führung amerikanischer Romanschriftsteller in den Wildnissen der Urwälder sich ansiedelt und von Freiheit träumt. Der Geschichtsschreiber belehrt uns, um wie viel vollkommener trotz aller Bedrängnisse die ersten europäischen Ackerbauer an den Küsten des atlantischen Oceans gewesen sind im Vergleiche zu den „ glücklichen Wilden“, denen keine räumliche Schranke gezogen war. Eine Leben spendende Macht ist der Staat. Aus den spärlichen Ansiedlern, welche vor zweihundertfünfzig Jahren aus England, Holland und Frankreich nach dem nördlichen Amerika zogen, ist ein Volk von vierzig Millionen geworden, während die schrankenlos herumschwärmenden Indianerstämme heute nichts sind als zerstrümmerte und dem völligen Untergange verfallene Ueberreste eines verkommenen Geschlechts.

Der erste, uranfängliche Staat entlegenster Jahrtausende nimmt jeden einzelnen Menschen, der ihm als Staatsbürger zugehört, völlig für sich in Anspruch; zuweilen ist sogar, wie bei den Spartanern, die Familie nichts anderes als eine Züchtungsanstalt für Staatszwecke. Jeder Einzelne fühlt, denkt, handelt wie sein Nebenmann, gleichsam dauernd in Reih’ und Glied eingestellt während jener ewigen Kriege, die unter benachbarten Stämmen geführt wurden. Indem aber allmählich einzelne Staaten zur Uebermacht über andere gelangen, erwacht in den Staatsbürgern das Bewußtsein, daß sie nicht mehr ganz für den Staatszweck aufgeopfert zu werden brauchen. Es entsteht der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_332.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)