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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

doch zunächst, weil sie die Unternehmungen für solide und rentabel, für gemeinnützig und einem wirklichen Bedürfnisse entsprechend hielten. Außerdem entstand im Publicum der Wahn, dem politischen Aufschwunge müsse eine ebenso reiche Blüthe der materiellen Wohlfahrt auf dem Fuße folgen, der Wohlstand sei plötzlich ein allgemeiner geworden. Freilich ein Irrthum, ein schwerer Irrthum! Lehrt doch die Geschichte, daß nach jedem Kriege, wo die Arbeit feierte, wo Handel und Wandel stockten, wo Zehntausende von Jünglingen und Männern Leben oder Gesundheit einbüßten und Zehntausende zu Wittwen und Waisen wurden, daß nach jedem großen Kriege naturgemäß eine Reaction, ein empfindlicher Rückschlag eintritt. Aber das Publicum wurde eben getäuscht, unter fortwährendem Hinweise auf die französischen Milliarden, von denen es selber doch so gut wie nichts bekam; es wurde durch diese und andere Vorspiegelungen getäuscht und bethört von den Gründern und Börsenrittern und von den mit ihnen verbündeten „Volkswirthen“ und Zeitungen.

Nachdem nun die Gründungen verübt waren und die allgemeine Ausplünderung sich vollzogen hatte – gleich nach dem Wiener Krach, wurde von der dortigen Presse, die, wie der Proceß Ofenheim bewiesen hat, fast durchweg im Solde der Börse steht, die Parole ausgegeben: „Wir haben Alle gesündigt. Die Börse und die Gründer haben geschwindelt, das Publicum aber hat gespielt und dadurch den Schwindel unterstützt. Wir sind Alle miteinander schuldig. Darum bedecken wir die Geschichte mit Schweigen und suchen wir sie zu vergessen!!“ – Diese famose Parole wurde auch in Deutschland begierig aufgenommen und in allen Tonarten variirt. Ja, man ging hier noch weiter und begann das Publicum geradezu anzuklagen, ihm Vorwürfe zu machen wegen seiner „Spielsucht“, ihm in’s Gesicht zu schleudern, daß es seiner „Spielsucht“ zum Opfer gefallen wäre, und ihm daher nur Recht geschehen sei. Diese Moral- und Strafpredigten wurden von denselben Leuten gehalten, die dem Publicum soeben das Fell über die Ohren gezogen hatten – von den Gründern und ihren Helfershelfern. So predigten die Wölfe und die Füchse den Schafen. Ist das nicht überaus rührend und erbaulich?!!

Durch solch freche Verdreherei der Begriffe und Thatsachen, geehrter Herr, entstand das Märchen von der „Spielsucht“ des Publicums überhaupt und von der „Gewinnsucht“ der „kleinen Leute“ insbesondere. Die Spiel- und Gewinnsucht hat sich im Verlaufe des Schwindels allerdings gezeigt, aber doch nur theilweise, nicht entfernt allgemein, und jedenfalls war sie ursprünglich nicht vorhanden, sondern sie wurde von den Gründern und Börsianern erst künstlich erzeugt, mit unzähligen Mitteln fortwährend genährt. Die „kleinen Leute“ namentlich, und selbst die gewöhnlichen Bürgerclassen, hatten bis 1870 von der ganzen Börse nur eine schwache Ahnung; sie kannten Actien kaum dem Namen nach, und der Courszettel war ihnen eine Tafel mit Hieroglyphen. Sie verwahrten ihre Ersparnisse im alten Strumpf; sie gaben ihr Geld auf die Sparcasse oder auf Grundstücke – bis der Gründungsschwindel auch sie aufblicken ließ, auch sie in seinen Strudel zog.

Jedes Blatt und jedes Blättchen legte sich einen Courszettel zu, errichtete eine ständige Rubrik für Börsennachrichten, brachte im Inseraten- wie im redactionellen Theil täglich Reclamen für neue Gründungen und neue Actien. Es entstand plötzlich eine neue Classe von Reisenden, der Börsenreisende für Stadt und Land, welcher von Haus zu Haus ging, in die Keller und in die Dachkammern stieg und seine – Actien anbot. Die Börse hatte überall, im kleinsten Städtchen und im abgeschiedensten Dörfchen ihre Agenten, welche dem Handwerker, dem Bauern dieses oder jenes Börsenpapier aufredeten, indem sie ihm Himmel und Erde versprachen und ihn gläubig, ihn sicher machten durch die Unterschriften, durch die stolzen vornehmen oder doch wohlcreditirten Namen, welche die Actie trug. Was Wunder, wenn die schlichten, ehrlichen Leute sich verlocken ließen und, durch kleine Gewinne vollends geködert, allmählich ihre ganze Habe der Börse in den Rachen warfen! Ich denke nicht daran, ihnen die „patriotische Märtyrerkrone“ aufzusetzen, wohl aber meine und behaupte ich: sie verdienen, als die Verführten, nur Bedauern und Entschuldigung; während die ganze Schuld, die unbedingte Verurtheilung – wenigstens vor dem Richterstuhle der Moral, denn gesetzlich sind sie nicht zu fassen gewesen – die Verführer trifft.

Im Uebrigen, verehrter Herr, haben die „kleinen Leute“ allein den Kohl nicht fett gemacht. Dazu gehörten auch noch die wohlhabenden und Reichen, alle Classen und Stände ohne Unterschied. Das ganze Volk ist durch den Börsen- und Gründungsschwindel in Mitleidenschaft gezogen; unter zehn Personen sind immer neun, direct oder indirect, ausgeplündert oder doch geschädigt worden. Die Netze, welche die Börse auswarf, waren so zahlreich und so mannigfaltig, die Lockspeisen so raffinirt, daß sie Alles miteinander eingefangen hat: Arm und Reich, gebildet und Ungebildet, Gescheit und Einfältig, Jung und Alt, Mann und – – Weib!

Das, verehrter Herr, sollen eben meine Artikel nachweisen, und ich schmeichle mir sogar, die bisher erschienenen haben es zum Theil schon bewiesen.

Mit dem Ausdrucke meiner Hochschätzung

Ihr ergebener 
Otto Glagau.




Seltene Zähmung eines Wolfes. So viele Beispiele es auch von der mehr oder weniger großen Zähmung wilder Thiere giebt, so gilt doch der Wolf im Allgemeinen als unzähmbar, und selbst wo er seit seiner frühesten Jugend von Menschen aufgezogen ist, verleugnet sich seine tückische und blutdürstige Natur nur äußerst selten. – Ein Beispiel aber, daß Herr Isegrim vollständig zum Hausthiere und treuen Freunde seines Herrn werden kann, ist augenblicklich der Stadt Dorpat geboten und möchte als einzig in seiner Art dastehen. –

Ein junger Studirender der Medicin erhielt im vorigen Jahre einen nur einige Wochen alten Wolf männlichen Geschlechts und hat dieses Thier mit Sorgfalt und Liebe aufgezogen. – Von Haus aus mit Freundlichkeit behandelt und einem großen Hühnerhunde als Gesellschafter zugetheilt, vergalt er seinem Herrn alle Mühe und Sorge für ihn durch die treueste Anhänglichkeit. Er ist vollständig gezähmt, hört auf den Namen „Filou“ und leistet einem Pfiffe oder Rufe seines Herrn unbedingt Folge, kurz, bietet ganz das Bild eines wohl erzogenen treuen Hundes. Sein Blick hat nichts von dem sonst so tückischen Ausdrucke seiner Race, sondern frei und offen sieht er jedem Besucher in’s Gesicht und vergilt die kleinste Liebkosung mit freundlichem Schwanzwedeln und Anspringen.

Nur wenn sein Herr zu Hause ist, wird Filou losgelassen, sonst verbringt er seine Zeit in seiner mit einem Holzgitter versehenen Wohnung auf dem Hofe. Aber die Freude muß man sehen, wenn ihm die Thür geöffnet wird! In mächtigen Sätzen stürmt er hinaus, springt dann an seinem Herrn hinauf, leckt ihm mit freundlichstem Wedeln Füße und Hand und ließ auch mir bei meinem neulichen Besuche von seinen Liebkosungen reichlich zu Theil werden, indem er mir an die Schulter sprang und das Gesicht leckte. Das Gebahren des Thieres schließt dabei jede Furcht vor Gefahr, die etwa in uns aufsteigen könnte, aus. Ein ganz besonders schönes Schauspiel gab es, als sein treuer Freund, der Hühnerhund Zampa, herbeigerufen ward und nun das Jagen und Spielen der beiden Thiere begann. Auf Commando ihres Herrn mußten sie übereinander wegspringen, der Wolf über den Hund, der Hund über den Wolf. Dann wurden sie gegeneinander gehetzt, und nun ging es im tollsten Laufe über den großen Hof, bald der Wolf verfolgt von dem Hunde, bald umgekehrt. Wenn sie sich erreichten, wirbelten sie in einem Knäuel übereinander, und es war merkwürdig anzusehen, wenn der Wolf den Hals des Hundes ganz in seinem Rachen hatte, sich dabei aber sehr hütete, seinem Freunde wehe zu thun.

Man sollte denken, daß mit solcher Dressur die äußerste Möglichkeit erreicht worden wäre, aber noch eine ganz andere Probe hat Filou bestanden, als das Vorführen auf einem, wenn auch großen, doch verschlossenen Hofe.

Bei einem Besuche, den sein Herr kürzlich seinem Bruder, einem Gutsbesitzer, auf dem Lande machte, wurde das Thier mitgenommen und da man nicht wissen konnte, wie es das Fahren in einem offenen Schlitten aufnehmen würde, mit dem Hinterkörper in einen Sack gesteckt. – Doch schon nach kurzer Zeit hatte Filou sich völlig beruhigt und wurde von seiner Umhüllung befreit, worauf er sich das Fahren nach dem zwanzig Werst entfernten Gute an der Seite seines Herrn wohl gefallen ließ. Hier auf dem Gute wurden täglich große Spaziergänge mit ihm durch Wald und Flur gemacht. – In offenem Felde schoß er wie ein Pfeil davon, seinen Herrn in weitem Bogen umkreisend, doch ihn fortwährend im Auge behaltend, im Walde dagegen blieb er stets hart an seiner Seite, aus Furcht, ihn vielleicht verlieren zu können. Filou ist jetzt nach Dorpat zurückgekehrt; er ist elf Monate alt, beinahe völlig ausgewachsen, hat einen schönen wohlgepflegten Pelz und ein furchtbares Gebiß, das die Thatsache bestätigt, daß auch der stärkste Hund einem Wolf schwerlich gewachsen ist.

Dorpat, den 26. März 1875.

Th. H.




Zum Ehrengeschenk für Arnold Ruge


gingen wiederum ein, in Markbeträgen: Christ. Scholz in Mainz 100. –; Dr. Pfeiffer in Cassel 50. –; G. E. in Dresden 30. –; Fettl in Burtscheid 15. –; T. B. in Sondershausen 6. –; Arnold’sche Buchhandlung in Leipzig 60. –; Advocat Knorsch in Düsseldorf 30. –; Stammtisch in Müller’s Hôtel in Leipzig 10. –; Dr. Gust. Kühne in Dresden 75. –; Buchhändler O. Seehagen in Berlin 50. –; Dr. M. Carriere in München 50. –; A. D. in Berlin 20. –; Albert Traeger in Cölleda 30. –; F. und A. Schl. in Berlin 75. –; Geh. Rath von Dusch in Karlsruhe 20. –; Georg Kestner in Dresden 75. –; Ein alter Universitätsfreund Ruge’s der mit diesem in Halle in der Knappei 1822 drei Wochen lang zur Ersparung von Heizungskosten eine Stube bewohnte 3. –; G. in Dresden (durch Expedition der Dresdener Presse) 100. –; Dr. F. A. Wille in Zürich 100. –; Consul Heimann in Bradford 150. –.

Außerdem durch eine Privatsammlung in Breslau 266. –. und zwar von (die Namen sind im Manuscript theilweise sehr unleserlich geschrieben): Dr. Steuer 6. –, Rechtsanwalt Leonhard 6. –, Laßwitz 6. –, Sturm 6. –, Dr. Ahn 6. –, Lorig 3. –, Berger 6. –, Friedländer 10. –, Dr. Elsner 3. –, Freund 3. –, Dr. Chech 3. –, Rechtsanwalt Franck 6. –, Rechtsanwalt Wiener 6. –, Friedenburg 6. –, Zorn 3. –, Mockrauer 3. –, Tipauf 3. –, Semrau 3. –, Eppenstein 6. –, Friedenthal 6. –, Wehlau 3. –, Herber 3. –, Cohn 3. –, Dr. Kemper 3. –, Schweitzer 6. –, Punjsheim 6. –, Kanger 6. –, Wolff 6. –, Förster 6. –, Wachler 6. –, Bülow 6. –, Swerin 6. –, Meinecke 6. –, Anderssohn 6. –, Bock 6. –, Korn 6. –, Mettotiner 6. –, Hübner 3. –, Molinari 6. –, König 6. –, Pohr 3. –, Werner 3. –, Heimann 6. –, Dr. Lidy 6. –, Randtberg 6. –, Amsartrieverui 6. –, Möbner 6. –, Ainauer 6. –, Friedenthal 6. –, v. Trebstein 3. –, Riemann 6. –, Pracht 3. –, Storch 6. –,

Wir fordern wiederholt alle Freunde Ruge’s auf, dem wackern Kämpfer ihre Theilnahme zuzuwenden. Es handelt sich hier nicht um eine Unterstützung, sondern um eine Ehrengabe für den unermüdlichen Verfechter der freien Wissenschaft, dessen Lebensabend dadurch zu einem sorgenlosen Feierabend erhoben werden soll.

Die Redaction.
E. K. 


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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