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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Plaudereien aus Rom.
Von Hermann Oelschläger.
I.

Die Bedrängniß der katholischen Kirche. – Das Osterfest. – Der Papst in der Gefangenschaft. – Die Palmenweihe in St. Peter. – Ein galanter Monsignore. – Ein Spitzname aus dem Vatican. – Pariser Friseure und Pariser Tonsuren. – Zurückgetretener Scharlach. – Die Massenaudienzen bei Pio Nono. – Das „Gefängniß“. – Carricaturen auf den Papst. – Il grande Bismarck. – Die Witzblätter mit König, Papst und Garibaldi. – Der Einzug Garibaldi’s. – Sein Project der Tiberregulirung. – Garibaldi’s „Giuro“. – Das bürgerliche Auftreten der Königsfamilie.


Es ist wahr: wer von einem längeren Aufenthalte in Rom nichts Anderes und nichts Besseres mit nach Hause zu bringen wüßte, als römische „Plaudereien“, unterhaltende Causerien, schwatzhafte Feuilletons, wie sie das liebe Publicum daheim allwöchentlich wenigstens einmal in seinen Zeitungen zu finden liebt und wie sie aus den europäischen Hauptstädten Paris, Berlin, Wien, London allwöchentlich auch leicht genug in die Welt gesandt werden, um den wäre es schlecht genug bestellt. Ueber Rom, die Stadt der Städte, die Königin der Welt, über das Rom der alten Imperatoren, über das Rom der Päpste und der Renaissance, über das Rom der Gegenwart, das nun – ein unerhörtes Schauspiel in der Geschichte – zum dritten Male seiner Auferstehung und Verjüngung entgegen geht, wäre leicht besser zu berichten, als in „Plaudereien“, und Jeden, der den unwiderstehlichen, reinigenden und belebenden Zauber eines römischen Aufenthaltes an sich erfahren hat, wird es auch gewiß treiben, hierüber vor Allem ernsthaft zu berichten und so auf würdige Weise den Versuch zu machen, die in ihm ruhende Begeisterung auch auf Andere zu übertragen.

Und dennoch ist es um die nachfolgenden „Plaudereien“ nicht gar so schlimm bestellt, als es den Anschein hat. Hat doch neben der antiken Gemme oder neben dem antiken Marmorkopf, den Einem eine glückliche Fügung als kostbaren Besitz zugeführt hat, auch die Photographie des heutigen Tages ihre Berechtigung – warum nicht die „Plauderei“, wenn sie die Bilder, die Erscheinungen des heutigen Lebens zu fixiren und das Rom der Gegenwart zu schildern unternimmt, das von dem Rom Goethe’s und wie unsere Väter es kannten, schon so sehr verschieden ist und das sich täglich mehr von ihm entfernt?

Die Romfahrer der „heiligen Woche“ – um nur Eines hier gleich hervorzuheben – haben dies schmerzlich genug erfahren müssen. In hellen Haufen kamen sie nach Rom gewandert, Ostern festlich zu begehen, aber die alte Herrlichkeit der Kirche ist im Untergehen begriffen, und es ist wenig mehr von ihr zu sehen. Die frommen „Pilger“ sind da, wie früher – aber der Papst ist fort – in Gefangenschaft, sagen sie in Deutschland; er „will nur nicht kommen“, sagen sie in Rom. Die berühmten Musikaufführungen in der Sixtinischen Capelle sind sistirt, und am Ende – wie bei allem Unglücke immer noch ein Glück ist – kommt es nur den zierlichen Malereien Michel Angelo’s, auf deren Zerstörung man mit all’ dem heiligen Weihrauche und all’ dem heiligen Kerzendunste seit Jahrhunderten geradezu sündhaft losgearbeitet hat, ganz allein zu gute, daß in der Sixtinischen Capelle kein Gottesdienst mehr gefeiert und die Luft in ihr nunmehr frei und rein gehalten wird. Mit Noth und Mühe bekommt der Gläubige noch ein paar Reliquien zu schauen, auf die er sich schon das ganze Jahr gefreut hat, z. B. die Nägel und die Anschlagetafel des heiligen Kreuzes, die Säule, an der die Geißelung Christi vollzogen wurde, die wahrhaftige Abendmahlstafel, die Köpfe von Peter und Paul etc., und da auch die „heiligen Gräber“, was ihre Ausstattung anlangt, unter der allgemeinen Bedrängniß der Kirche bedenklich zu leiden scheinen, so kann man das hohe Fest der Charwoche und der Ostern in einer deutschen gut katholischen Stadt leicht mit größerem Prunke begangen sehen, als beim päpstlichen Stuhle. Zum Beispiel in München.

Ja, der Papst! Es ist ganz unglaublich, mit welcher Hartnäckigkeit er den Anblick seiner geheiligten Gestalt der Menge entzieht und mit welcher bewundernswerthen Ausdauer er die Rolle eines Gefangenen im Vatican spielt. Jedermann, der Rom in früheren Tagen kannte, weiß von den glänzenden Aufzügen zu erzählen, in denen der Papst ehedem in goldener, mit sechs Rappen bespannter Staatscarosse, von seinen Schweizern begleitet, die eine oder andere der Kirchen Roms besuchte, wie es eben der Festtag mit sich brachte. Die Straßen, durch die er, in dem Glaswagen Jedermann sichtbar und beständig nach links und rechts segnend, fuhr, waren mit frischem Sande bestreut und von den Thürmen der Kirchen hallte feierlich das Geläute der Glocken. Seit aber Victor Emanuel an jenem denkwürdigen 20. September durch die Porta Pia in Rom seinen Einzug hielt, hat Pius der Neunte den Vatican nicht mehr verlassen; ja selbst den Monte Pincio, der noch heute mit seinen unvergleichlichen Anlagen in den Abendstunden der Sammelpunkt der vornehmen römischen Welt ist und den der Papst in seiner leutseligen Weise früher so gern besuchte, hat er nicht wieder betreten. Da aber das Sprüchwort „Wie der Herr, so der Diener“ auch in Rom gilt, so sind auch die bekannten Cardinalscarossen von der Erde verschwunden, jene schweren, vergoldeten, wappengezierten Kutschen, in denen die „Eminentissimi“ früher durch die Straßen Roms fuhren, zwei derbe, meist schwarze Pferde voran, hintenauf drei reichgalonnirte Diener im Dreispitz, von denen einer den bekannten unvermeidlichen rothen Regenschirm trug.

In dem herrlichen St. Peter ist der Hochaltar verwaist, denn der Papst liest hier keine Messe und hält kein Hochamt mehr; die Loge, von welcher er früher über das zu Tausenden lautlos versammelte Volk auf dem weiten Peters-Platze mit gehobener Stimme den Ostersegen sprach – urbi et orbi – hat sich seit Jahren nicht mehr geöffnet, und – so ist es am Ende nur erfreulich, zu sehen, daß die Welt auch ohne den Papst in ihrem Laufe bleibt und daß sie seinem Grolle zum Trotze sich in ganz tüchtiger Weise fortentwickelt – auch ohne den Ostersegen.

Bei jenen einzelnen kirchlichen Functionen in der Peterskirche, die nicht ganz und gar unterlassen werden können, ist der Papst gegenwärtig durch einen seiner Monsignori vertreten, wie denn am Palmsonntage Monsignore Ricci, Maestro di Camera, die Vertheilung der von ihm gesegneten, benetzten und schließlich noch beräucherten Palmen an die versammelten Prälaten im Namen Sr. Heiligkeit vornahm. In weißen oder grauen, mit violetter Seide ausgeschlagenen Pelzkragen nahten sich die frommen Herren einzeln, knieten vor dem Monsignore Ricci nieder, küßten die dargebotene Palme zweimal und nahmen dann dieselbe mit gebührender Ehrfurcht in Empfang. Die in großen Körben herbeigeschleppten Palmen waren nach drei Rangclassen gebunden und geschmückt, die der ersten am größten und kostbarsten, die der letzten sehr klein und sehr unansehnlich. Das gemeine Volk, das Laienpublicum wurde mit gemeinen Olivenzweigen abgespeist, die der Monsignore Ricci mit sehr verdrießlichem Gesichte gleichfalls persönlich vertheilte und um die sich die allezeit in erster Linie stehenden Engländerinnen trotzdem förmlich gerissen haben. Die ganze unendliche Ceremonie hat für den unbetheiligten Zuschauer wenig Erhebendes; sie wird sogar, wenn man die Komödie im Ganzen betrachtet, welche hier erwachsene Leute unter allerlei Ceremonien-Firlefanz vor dem gaffenden Volke aufführen, peinlich und erinnerte mich im besten Falle an meine Knabenzeit und an die am Schlusse jedes Jahres übliche Preisvertheilung.

Trotzdem ist es ganz unglaublich, mit welcher Demuth diese hohen Würdenträger der Kirche die Palmen empfingen und davontrugen. Aber man muß sich dadurch nicht täuschen lassen. Einen dieser Monsignori hatte ich einmal in einer Gesellschaft kennen zu lernen die Ehre gehabt und schon damals hatte er mir durch sein überaus weltliches, eitles und geckenhaftes Benehmen große Freude bereitet. Seine tiefschwarzen Haare glänzten und dufteten von den feinsten Oelen; seine Füße staken in den denkbar zierlichsten Schuhen; seine schmalen weißen Finger funkelten von den kostbarsten Ringen, und Alles, was er that, ob er nun stets auf’s Neue das Lorgnon zu den Augen führte oder ob er mit einer Dame sich unter tausend eleganten Verbeugungen unterhielt,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_350.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)