Seite:Die Gartenlaube (1875) 383.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Räume; der erste gehört der betreffenden Aufseherin an; der zweite dient dem besuchenden Arzte als „Audienzzimmer“; hier nimmt derselbe den Bericht der Aufseherin entgegen. Der dritte Raum enthält eine kleine Küche. Wie schon vorhin bemerkt, bereitet man in der großen Küche nur die allgemeine Kost, wird aber für den einen oder andern Kranken vom Arzt etwas Besonderes verordnet, so wird dies hier sofort gekocht. – Der Fußboden jedes Krankenzimmers ist mit Eichenholz getäfelt, und die Wände sind mit dem wohlbekannten Keene’schen Cement bedeckt.

Um einen etwaigen Ausbruch von Feuer sogleich dämpfen zu können, sind in jedem Gebäude die umfassendsten Einrichtungen in Bezug auf Löschapparate getroffen worden. Wasserröhren, die an fast jeder Stelle geöffnet werden können, und Schläuche, die sich in einer Secunde befestigen lassen, findet man im ganzen Hospital vor. Die Wasserreservoirs zu diesem Zwecke sind von den übrigen gänzlich abgesondert und befinden sich in dem Thurme jedes Gebäudes; sie werden durch eine eigne Leitung der Vauxhall-Wasserwerk-Gesellschaft gespeist. Durch das ganze Gebäude sind Telegraphendrähte gelegt worden, so daß man von jedem beliebigen Punkte aus in die verschiedenen Zimmer des Hospitals telegraphiren kann.

Das Thomas-Hospital beschäftigt an Aerzten zwei rathgebende Doctoren (Ehrenmitglieder), vier „ordentliche“ Doctoren, Seniores, und vier Assistenzärzte, einen Accoucheur und einen Assistenzaccoucheur, vier Wundärzte und vier Assistenzwundärzte, einen (deutschen) Augenarzt und einen Zahnarzt. Hausärzte: ein Assistenzarzt und ein Assistenzwundarzt. Im Hospitale befinden sich ferner ein erster Apotheker und ein Chemiker. – Die Hausärzte erhalten nebst freier Wohnung und Kost jährlich hundert Pfund, während die übrigen Doctoren nur fünfzig Pfund, natürlich ohne Wohnung oder dergleichen, erhalten. Die Stelle ist daher eine Ehrenstelle, welche nur an bedeutende Capacitäten vergeben wird.

Mit dem Hospitale verbunden und doch wieder ganz von demselben abgesondert, ist eine hier befindliche „Schule“ für angehende Aerzte, die das alleinstehende Gebäude Block Nr. 9 einnimmt. Sie wird von etwa zweihundert Studenten besucht, die wenigstens drei Jahre hier verbleiben müssen. Von ihnen wird folgendes Honorar entrichtet: für das erste Jahr vierzig Pfund, für das zweite ebenfalls vierzig Pfund, für das dritte zwanzig Pfund und für jedes folgende zehn Pfund; eine Summe jedoch von hundertfünf Pfund, die beim Eintritte gezahlt wird, berechtigt den Betreffenden, eine beliebige Anzahl von Jahren in der Schule zu verbringen. Für dieses Honorar werden die Studirenden im Hospitale zur selbstständigen Praxis vorbereitet und dürfen ebenfalls die Vorlesungen besuchen, welche von den älteren Doctoren und deren Assistenten gehalten werden und Alles umfassen, was auf der Universität in diesem Fache gelehrt wird, nur mit dem großen Unterschiede, daß hier die Theorie mit der Praxis verbunden wird. Diejenigen Studenten, die ihre Examina am besten bestehen, empfangen ein Diplom und werden darnach als Hausärzte verwandt. Jedem Doctor werden mehrere Studenten beigegeben, und ebenso jedem Wundarzte. Das Hospital zählt etwa vierunddreißig Studenten als Assistenten der Doctoren und ebenso viele als Assistenten der Wundärzte, die, wie gesagt, aus den zweihundert jungen Männern gewählt werden. Von diesen wohnen eine Anzahl im Hospitale selbst, um zu jeder Zeit bereit sein zu können. Andere wieder, die sich der Arzneikunde widmen, werden dem Apotheker untergeordnet und bezahlen für drei Monate fünf Guineen extra. Wiederum Andere bezahlen fünfundzwanzig Guineen für einen neunmonatlichen Cursus praktischer Chemie, während Solche, welche die Bibliothek zu benutzen wünschen, eine Guinee für die Zeit ihres Aufenthaltes zu bezahlen haben. Das Museum dieser Schule ist sehr reich ausgestattet und enthält sehr werthvolle seltene Sachen. Der pathologische Theil allein zählt dreitausend Specimina. Man hält dieses Museum für eines der reichsten Englands. Das Gebäude, in dem sich die Schule befindet, enthält ausgezeichnete Räumlichkeiten. Es findet sich darin ein großes anatomisches Museum, ein „chemisches“ Museum, Vorlesungszimmer, Bibliothek, Laboratorium, „post mortem“-Zimmer etc., welche alle in der besten Weise eingerichtet sind.

Schließlich bemerke ich noch, daß ich für viele der angeführten Einzelheiten meinem Freunde, dem Herrn Dr. W. M. Ord, zu danken habe, der mir manche Stunde seiner werthvollen Zeit freundlichst zur Verfügung stellte, um mich persönlich durch das Hospital, dem er als Arzt angehört, führen und mir die Einrichtungen desselben erklären zu können.

E. Woltmann.



Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin.
Von Otto Glagau.
6. Häuserschacher und Baustellenwucher.

Die „Wohnungsfrage“ steht in Berlin schon lange auf der Tagesordnung, aber die allgemeine „Wohnungsnoth“ begann erst nach dem deutsch-französischen Kriege, zugleich mit der Schwindelperiode, und sie ist zum großen Theil das Werk der Börsianer und Gründer.

1867 standen hier Wohnungen leer circa 8600
1868 6100
1869 3500
1870 1800
1871 2000
1872 1100

Diese 1100 im Jahre 1872 leeren Wohnungen waren jedoch entweder aus Ursachen eines Neu- oder Umbaues gar nicht zu vermiethen, oder aber es wurden dafür zu übertriebene Preise verlangt und sie gehörten fast ausschließlich zu den größeren Miethsgelassen, von drei und mehr Zimmern. Thatsächlich fehlte es am 1. April 1872 an circa 500 kleinen Wohnungen; hunderte von ordentlichen Familien, die bis dahin ihre Miethe regelmäßig gezahlt hatten, lagen plötzlich obdachlos umher, campirten vor den Thoren, auf freien Plätzen oder in Rohbauten, Ställen etc.

Bis zur Schwindelperiode erforderte in Berlin die Miethe etwa ein Sechstel des Einkommens. Auch schon ein unverhältnißmäßig hoher Procentsatz, der von ungesunden Verhältnissen zeigt. Aber 1871, 1872, und auch noch 1873 stiegen die Miethen fast von Quartal zu Quartal, in zwei bis drei Jahren um das Doppelte und Dreifache. Der Miethzins verschlang jetzt durchschnittlich ein Viertel, ja nicht selten ein Drittel der Gesammteinnahme. Er nöthigte die Familien zur größtmöglichsten Einschränkung auf allen anderen Gebieten und erzeugte namentlich unter den sogenannten gebildeten Ständen, die kein eigenes Vermögen besitzen, sondern nur von ihrem Gehalte oder Jahreseinkommen leben, ein heimliches Proletariat.

Mit dem Börsen- und Gründungsschwindel schmolz die Zahl der kleinen billigen Wohnungen zusehends, und es vermehrten sich erstaunlich die großen kostbaren Miethsräume. Quartiere im Preise von bis 2000 bis 5000 Thalern jährlich waren bis dahin selten gewesen; jetzt wurden sie häufig. Eine Unmasse von Banken und Actiengesellschaften etablirte sich und verschwendete in Localitäten, mit denen sie prahlten und lockten. Ein Heer von Directoren und Verwaltungsräthen, Banquiers und Maklern, Procuristen und Agenten wuchs empor, die sich alle elegant oder gar luxuriös einrichteten. Den Gründern oder Börsianern war keine Wohnung zu theuer; sie überboten sich in den Preisen; sie verdrängten die bisherigen Insassen und trieben die Miethen systematisch in die Höhe. Sie hatten „es“ ja dazu; sie wollten repräsentiren und genießen, wollten glauben machen an den befruchtenden Segen der französischen Milliarden, an den allgemeinen Wohlstand, an die ungeheure Vermehrung des Nationalvermögens. Die Gründer und Börsianer setzten sich in den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_383.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)