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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


welcher größtentheils per Achse stattfindet, erklärt. Der Rest des Guldens geht für Schlafgeld, Kleider, Schuhwerk und Wäsche, sowie sonstige kleine Bedürfnisse auf, und es sei hier bemerkt, daß man an Feiertagen meist reinen Hemden und einem bessern Gewande begegnet. Was übrig bleibt, wird zurückgelegt und als Ersparniß in kleinen Zeiträumen nach Hause geschickt, wie denn überhaupt mit der Heimath ein äußerst lebhafter Verkehr unterhalten wird. Meinem Fenster gegenüber befand sich am Marktplatze des Fleckens die Postexpedition, die in den Arbeitspausen von den Italienern förmlich belagert war, welche die Aufgabe von Briefen oder Geldern sehr ernst nahmen. Insbesondere zog ein Buch die Aufmerksamkeit auf sich, das von Hand zu Hand wanderte, nachdem dessen Inhalt vorher in jedem einzelnen Falle auf das Eifrigste durchstudirt worden war. Es enthielt die Adressen aller an die Arbeiter eingelaufenen Briefe, um dem Beamten das zeitraubende Geschäft der Durchsicht derselben zu ersparen. Interessant war es dann, die Spannung, die Erregung, die Freude zu beobachten, mit welcher Briefe empfangen und abseits gelesen, oder auch Freunden und Bekannten mitgetheilt wurden. So wenig glaubwürdig es klingen mag: neben Polentamehl wurde nach nichts so sehr gefragt, als nach Tinte und Briefpapier, und an Feiertagen drängten sich die italienischen Arbeiter in Laden und Hausflur des Kauf- und Handelsherrn zu ***, um entweder ihren Schreibbedarf einzukaufen oder auf Kisten und Kasten ihrer Schreibseligkeit Genüge zu thun.

Die Statistik der Halbinsel weiß allerdings von minder erfreulichen Resultaten des Schulunterrichts zu berichten, als man aus Gesagtem schließen dürfte. Es mag hierbei Mittel- und Unteritalien schwer genug in die Wagschale fallen, um die Ziffer auf jenen geringen Stand niederzudrücken. Unsere Leute kommen hauptsächlich aus den Provinzen Belluno und Treviso, und es sei dahingestellt, ob ein so günstiger Stand der Volksbildung, wie er sich in diesem Falle darstellt, nicht noch der früheren österreichischen Regierung zu danken sei; finden wir ja auch viele Wälschtiroler unter der schreiblustigen Menge.

Im Punkte der Ehrlichkeit hörte ich von Seiten der Beamten nur Gutes über die Fremden berichten, wenn sich auch manch Bäuerlein beklagte, daß sie in Unterscheidung des Mein und Dein bezüglich der Baumfrüchte minder gewissenhaft seien. Gönnen wir ihnen den einen oder anderen rothwangigen Apfel als Zuspeise zu ihrer mageren Polenta, selbst wenn er nicht auf die unanfechtbarste Weise in ihren Besitz gelangt sein sollte! Kinder, und das sind sie, frohmüthige, gutherzige Kinder, haben selten ein Verständniß dafür, daß das, was in Garten und Feld wächst, nicht zum uneingeschränkten Genuß vorhanden sei, und wer hätte nicht schon einmal in seinem Leben eine Rübe aus dem Acker gezogen? Ehren wir die schwielige Hand, und bringen wir den sonnengebräunten Männern unsere Sympathien entgegen! Sie verlassen ihr schönes Vaterland, um bei harter Arbeit und in rührender Genügsamkeit das Brod der Fremde zu essen und vorzusorgen für Tage der Krankheit und des Alters, immer zufriedenen Gemüthes und dankbar für jede ihnen erzeigte Freundlichkeit.

Der lieben Stammgesellschaft aber in der Post zu * * * am grünen Alpensee freundlichen Gruß von ihrem

R. G.




Noch einmal der gezähmte Wolf.


In Nr. 20 der „Gartenlaube“ des laufenden Jahrgangs wird eine Geschichte von gelungener Zähmung eines jungen Wolfes erzählt. Brehm bringt in seinem „Thierleben“, Band 1, Seite 406 schon einige Nachrichten über gezähmte Wölfe. Alle diese Erzählungen betreffen aber nur junge, von ihren Stammgenossen ferngehaltene Thiere. Es dürfte daher vielleicht am Orte sein, an den Besitzer des gezähmten Wolfes eine Warnung ergehen zu lassen. Der älter gewordene Wolf fällt in die ursprüngliche Wildheit zurück, sobald er mit anderen wilden Wölfen zusammenkommt oder nur ihr Geheul hört. Es geht ihm wie dem scheinbar civilisirten Indianer, der ebenfalls wieder den Wigwam bezieht, sobald er unter seine uncivilisirten rothhäutigen Brüder kommt.

Einer meiner Freunde, welcher acht Jahre lang in den Waldgebirgen Asturiens mit forstlichen Aufgaben beschäftigt war, giebt nur darüber einige Notizen, die vielleicht nicht uninteressant sein dürften. Wölfe sind dort außerordentlich häufig; alle Bauern kennen sie und ihre Gewohnheiten, und mein Freund selbst begegnete ihnen öfter. „Eines Tages,“ sagte er mir, „kehrten wir ermüdet von einem langen Ritte nach Cangas de Tineo heim, einer kleinen Stadt, am Rande des großen Waldes von Muriella, den man fast einen Urwald nennen könnte, gelegen. Ein Begleiter führte unsere Pferde nach, die kaum den steilen Abhang hinauf konnten – so müde waren sie. Ein Wolf kam quer über eine Waldwiese, brach durch die Hecke, stellte sich in die Mitte des Pfades und betrachtete in etwa dreißig Schritt Entfernung uns und unsere Pferde sehr aufmerksam. Ich machte meine Pistolen schußfertig, denn ein Gewehr hatte ich nicht; leider aber ließ mich mein Begleiter nicht zum Schusse kommen. Er sprang, ein lautes Huh! brüllend, gegen den Wolf vor – dieser rannte, offenbar erschreckt, im vollen Laufe davon. Der Wolf gilt hier allgemein für ein feiges Raubthier; einen aufrecht stehenden Menschen, sagen die Bauern, greife er nie an; sobald aber der Mensch am Boden liege, falle er über ihn her. In der That wurde ein Bauer, der in der Nähe eines Wolfes, um den er sich gar nicht weiter kümmerte, an einem Graben arbeitete, von diesem augenblicklich überfallen, als er in Folge eines Fehltrittes sich überschlug und in den Graben stürzte.“

Dies nur, um zu beweisen, daß Wölfe in Asturien genugsam bekannt sind, und nun zur Geschichte eines zahmen Wolfes, die sich während der Anwesenheit meines Freundes zutrug.

Ein Landpfarrer im Gebirge, ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn, wie alle Geistliche jener Gegend, erschoß eine säugende Wölfin, fing das Junge und zog es groß. Der junge Wolf wurde zahm wie ein Hund, begleitete seinen Herrn auf Wegen und Stegen, war gehorsam auf Ruf und Wink, lief neben dem Maulthiere her, das der Pfarrer ritt, und wurde von diesem öfter auf den Markt nach Cangas mitgenommen, wo er von Jedermann gekannt war, sich wie ein Hund streicheln ließ und mit jeglichem Gethier in Frieden lebte. Niemals hatte der Pfarrer bemerkt, daß sein Wolf ein anderes Thier angegriffen hätte. Mit den Hunden im Dorfe hielt er vortreffliche Freundschaft und diese mit ihm.

Eines Abends ritt der Pfarrer nach seinem etwa zwei Stunden von Cangas entfernten Dorfe zurück. Der Wolf, der wohl zwei Jahre alt war, trottete neben ihm, wie gewöhnlich, durch den Hohlweg, der auf beiden Seiten mit Kastanienhecken bepflanzt war, welche die freie Aussicht hemmten. Etwa in der Entfernung einer halben Stunde vom Dorfe, im Augenblicke, wo der Hohlweg endete, ließ sich seitwärts auf einer Höhe das Geheul einiger Wölfe hören. Der zahme Wolf stutzte einen Augenblick; dann sprang er aus dem Wege heraus und jagte, ohne auf den Ruf seines Herrn zu hören, in vollem Laufe den heulenden Stammgenossen zu. Der Pfarrer war schnell entschlossen. Er sprang aus dem Sattel, gab dem Maulthiere mit der Peitsche einen tüchtigen Hieb über den Rücken, in der Hoffnung, daß es das Dorf noch glücklich erreichen werde, und kletterte auf den nächsten Baum. Das Maulthier rannte in voller Carrière dem Dorfe zu und verschwand in der zunehmenden Dunkelheit; das Wolfsgeheul dauerte noch eine Zeitlang in derselben Richtung fort, dann verstummte es.

Der Pfarrer blieb die Nacht über auf dem Baume sitzen und verließ sein kaltes und luftiges, aber sicheres Quartier erst, als der Tag zu hellen begann. Einige hundert Schritte von dem Baume fand er sein Maulthier zerrissen im Wege liegen, und da bei der frühen Stunde noch Niemand auf dem Felde war, so blieb ihm nichts übrig, als sich selbst mit Zaum und Sattelzeug zu bepacken und dasselbe nach Hause zu tragen, wo er auch wohlbehalten anlangte.

Der Wolf blieb zwei Tage lang weg. Am dritten Tage, als der Pfarrer eben nach dem Frühstücke durch das Fenster seinen Hof überblickte, sah er seinen Ausreißer, der mitten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_407.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)