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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


unter dem Geflügel sich eben so friedlich und harmlos herumtrieb, als ob Nichts vorgefallen wäre. Sein Herr rief ihn an – der Wolf kam freundlich wedelnd heran, zuthunlich wie immer. Der Pfarrer aber riß das Gewehr von der Wand und streckte ihn mit einem Schusse zu Boden. „Einmal einen Wolf gezähmt, und nicht wieder,“ sagte er zu meinem Freunde.

Die Geschichte bestätigt den Satz, den ich oben aussprach. Es st eine alte Erfahrung, daß der Mensch schließlich alle Thiere zähmen kann, daß aber die Zähmung erst gefestigt wird, wenn sie, wie bei unseren Hausthieren, eine lange Reihe von Generationen hindurch fortgesetzt wird. Die ursprüngliche Wildheit bricht aber am leichtesten in der Zeit durch, wo die Thiere mannbar werden. Möge sich also der Besitzer des gezähmten und jetzt noch zahmen Wolfes in Acht nehmen!

Da ich aber nun einmal bei Wolfsgeschichten bin, so möchte ich noch einige andere Notizen meines Freundes verwerthen.

Seiner Versicherung nach findet man in der bezeichneten Gegend von Asturien viele wirkliche Bastarde von Hund und Wolf, die mit Vorliebe zum Hüten der Schafheerden benutzt werden und einen ingrimmigen, tödtlichen Haß gegen die Wölfe an den Tag legen. Nach der oben erwähnten Begegnung fand mein Freund auf der andern Seite des Hügels eine Schafheerde, die von einem kleinen Mädchen und einem solchen Wolfshunde gehütet wurde. Er warnte das Mädchen vor dem umherstreifenden und offenbar hungrigen Raubthiere. „Bah, antwortete das Kind, auf seinen Hund zeigend, „wir fürchten uns nicht. Der nimmt es mit allen Wölfen Spaniens auf.“

Der Verwalter des dem Grafen von Toreno gehörigen Jagdschlosses la Muriella, welches mein Freund mehrere Jahre lang bewohnte, hatte einen solchen Wolfshund, der Turco hieß, ein großes, mächtiges Thier, so ähnlich einem Wolfe, daß er später von einem Bauer, der auf Wölfe lauerte, aus Irrthum erschossen wurde. Ein vortrefflicher Wächter, schlief Turco gewöhnlich auf der Schwelle des Zimmers meines Freundes, dem er sehr zugethan war. Von Zeit zu Zeit aber wurde das Thier unruhig, drängte sich mehr als gewöhnlich an seinen Herrn, schmeichelte demselben, sprang schnüffelnd um ihn herum und bellte kurz und laut, als habe er etwas zu verlangen. „Er hat Jagdlust,“ sagte der Verwalter, als mein Freund ihn das erste Mal um dieses sonderbare Benehmen des Hundes befragte, „er will Wölfe jagen.“ Der Verwalter nahm nun ein starkes, mit langen Stacheln besetztes Halsband von der Zimmerdecke und band es dem Hunde um. Turco bezeigte ungemeine Freude und rannte, nach Oeffnung der Thür, stracks dem benachbarten Walde zu. Meist blieb er dann zwei bis drei Tage aus und kam oft übel zerbissen, blutig und zerzaust zurück, offenbar sehr befriedigt und zufrieden mit sich selbst. Nach einem solchen Jagdzuge hatte Turco für einige Zeit Ruhe. Er war der Liebling sämmtlicher Bewohner des Schlosses.

„Eines Tages,“ erzählt mein Freund, „hörten wir in der Nähe des Schlosses ein Mädchen überlaut schreien: ‚Turco! Turco! Hülfe!‘ Wir eilten an die Fenster und sahen, kaum hundert Schritte vom Schlosse, einen großen Wolf, der ein junges Schaf gepackt hatte und mit diesem im Rachen auf die Landstraße hinaufsprang, die etwas höher längs dem Felde hinlief, und so die benachbarte Höhe nach dem Walde hin zu gewinnen suchte. Das Thor wurde schnell geöffnet, und Turco seine mit furchtbarem Geheul dem Wolfe nach. Ein anderer Wolfshund, welcher ein dem Walde näheres Gehöft hütete, rannte, ebenfalls laut heulend, herzu und schnitt dem Wolfe den Rückzug nach dem Walde ab. Dieser ließ das Schaf fallen und suchte sich zu retten. Die beiden Hunde hatten ihn aber bald ereilt und fürchterlich zerfleischt zu Boden gerissen. Der mit einem Knittel herzueilende Bauer des Gehöftes hatte keine Mühe, den Wolf vollends zu erschlagen. Die beiden Sieger waren kaum verletzt. Turco kam in das Schloß zurück und legte sich so ruhig auf seine Schwelle, als hätte er nur einen gewöhnlichen Spaziergang gemacht.“

Alle diese Bastarde sind, nach der Versicherung meines Freundes, von männlichen Wölfen mit Hündinnen erzeugt und gelten in der Gegend für unter sich fortpflanzungsfähig.

Carl Vogt.




Blätter und Blüthen.


Die bequemsten Wanderungen sind diejenigen, welche man an Winterabenden oder Regentagen des Sommers daheim am trauten Familientische in die schöne Welt hinein macht. Landkarten und Bilderbücher sind die freundlichen Reisebegleiter, und wer soll der Führer und Wegweiser sein? Könnte man immer einen vielgereisten Menschen dazu finden, der nach eigener Anschauung lehrreich berichten könnte, so würde das freilich das Beste sein. Da aber solche Vielgereiste sehr selten sind, so nehmen wir um so dankbarer ein gutes Buch in die Hand und folgen ihm, als dem ruhigsten und geduldigsten Wegweiser. Der jüngste derselben hat soeben in der Meyer’schen Buchhandlung in Detmold als „Fr. Hobirk’s Wanderungen auf dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde“ zu erscheinen begonnen, bringt im ersten Bande „Skizzen und Bilder aus Nord- und Mitteldeutschland“ und wird die große Wanderung mit dem fünfundzwanzigsten Bande in Australien beschließen. Die Stoffauswahl erscheint im ersten Bande sehr befriedigend, wenn auch die Behandlung einzelner, gerade in der Gegenwart das Interesse besonders an sich fesselnder Gegenstände, wie z. B. der „Teutoburger Wald“, eingehender hätte sein dürfen. Von dem Bilderschmucke des Werkes haben wir in dem Hermannsdenkmal (S. 357 der Gartenlaube), unsern Lesern eine Probe mitgetheilt. Jedenfalls werden die späteren Lieferungen in der Auswahl und Behandlung der Stoffe noch mehr Werthvolles bieten, und auch der sorgfältige Druck der Illustrationen wird dem betreffenden Herrn Maschinenmeister geläufiger werden.


Noch einmal die Papierwäsche. In dem interessanten Aufsatze unseres Blattes (Nr. 23 des des Jahres 1874) „Leipzigs Industrie“ hat der Verfasser mit Recht die großen Vortheile und die nationalökonomische Bedeutung der sogenannten „Papierwäsche“ hervorgehoben. Um vollkommen gerecht zu sein, müssen wir jedoch noch ergänzend hinzufügen, daß das Verdienst, diesen neuen Geschäftszweig in Deutschland eingeführt zu haben, vor Allem den Herren A. und C. Kaufmann in Berlin gebührt, indem die genannte Firma die erste und größte Fabrik von Papierkragen, Manschetten und Chemisetten in Berlin in’s Leben gerufen hat, in welcher mehrere hundert Arbeiter, meist junge Mädchen unter männlicher Aufsicht, beschäftigt werden. Die Gesammtproduction beläuft sich täglich auf 1200 bis 1500 Groß Kragen, Manschetten und Chemisetten, von denen eine fleißige Arbeiterin täglich 3000 bis 4000 Stück liefern kann, womit sie wöchentlich ungefähr vier bis fünf Thaler verdient. Für die Güte auch dieses Fabrikats spricht sowohl der riesige Absatz, der sich nicht allein auf ganz Deutschland, sondern hauptsächlich auf England erstreckt, sowie die Auszeichnung, die den Herren Kaufmann auf der letzten Wiener Ausstellung durch Verleihung der Fortschrittsmedaille zu Theil geworden ist, der einzigen, welche in diesem Industriezweige überhaupt vergeben wurde.


Rotteck-Jubiläum. Am 16. Juli sind es hundert Jahre, daß Karl von Rotteck zu Freiburg im Breisgau geboren wurde. Es genügt, Namen wie Rotteck, Welcker, Itzstein, Wessenberg zu nennen, um an Zeiten zu erinnern, in welchen ganz außerordentliche Kraft des Geistes und Charakters in Kämpfen verbraucht, ja hingeopfert wurde, die für den Augenblick keinen andern Erfolg hatten, als den, daß sie dem triumphirenden Ansturm der Reaction in dem erweckten Volksgeiste einen Damm entgegensetzten. Das Volk konnte den unerschütterlichen Kämpfern mit keinem andern Lohn danken, als mit seiner treuen Anhänglichkeit, Liebe und Verehrung; wie aber führte die herrschende Gewalt sich gegen sie auf? Einen Rotteck, den Gelehrten und Geschichtsschreiber, erklärten die großen Geister des deutschen Bundes für unfähig zu akademischen Vorträgen und zur Redaction einer Zeitung; er kämpfte fortan nur noch als Volksvertreter und Schriftsteller für das Volk und seine Ueberzeugung, aber dies mit ganzer Seele. Seine Reden im badischen Landtage, sein Geschichtswerk und sein und Welcker’s „Staatslexikon“ waren die schärfsten Freiheitswaffen jener Zeit und sind sein unvergängliches Denkmal. Ein steinernes setzte ihm sieben Jahre nach seinem Tode (Rotteck starb am 25. November 1840) seine dankbare Vaterstadt. Da kam, nach dem Jahre 1848, eine neue Reactionsblüthe, und sie mußte auch ihrer würdige Früchte sammeln. In einer Juninacht 1851 ließ der damalige Stadtdirector (seinen Namen mögen wir nicht niederschreiben), – ob aus eigener Reactionsdienstwonne oder noch besonders dazu ermuthigt, ist einerlei – dieses Volks-Denkmal heimlich und gewaltsam zertrümmern und beseitigen. – – Erst am 25. Mai 1862 weihte die Stadt ihm ein neues Denkmal, dessen Abbildung wir unsern Lesern in Band X, Seite 565 der „Gartenlaube“ gebracht haben. Darauf hinweisend, fordern wir hiermit alle treuen Freunde der Volksfreiheit und Nationalehre auf, Rotteck’s Ehrentag so zu feiern, wie sein Wirken es verdient und wie es unserer Zeit würdig ist.


Dem Körner-Tableau in unserer heutigen Nummer wollen wir, um falschen Auffassungen vorzubeugen, nur noch hinzufügen, daß das darauf dargestellte Grab zu Wöbbelin eine Ansicht desselben aus den ersten Jahren nach Körner’s Tode wiedergiebt. Heute hat die deutsche Nation die Stätte, wo unser Held und Sänger ruht, bekanntlich längst in würdiger Weise geschmückt und ausgezeichnet.


Berichtigung. Im letzten Artikel von Otto GlagauHäuserschacher und Baustellenwucher“ sind beim Drucke zwei Zeilen miteinander vertauscht worden. Es muß heißen: Joseph Dorn und Dr. Emil Lehmann sind Mitgründer des Bauvereins „Königstadt“. Kammerherr von Prillwitz ist Mitgründer des Bauvereins „Thiergarten“.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_408.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)